Ein Ritter wird zum Bauernopfer

Eine Bundesratswahl besteht aus einer ganzen Reihe von Ritualen und Gepflogenheiten, die Aussenstehende nicht immer durchblicken können. Eines davon ist die «Nacht der langen Messer», die in erster Linie ein gutes Geschäft ist für die Bar des Hotels Bellevue, weil sie da Herrgöttli für acht Franken verkaufen können. Allerdings sind die Umsätze wohl doch nicht so hoch, weil sie es nie schaffen, genügend Personal aufzubieten, dass man auch in nützlicher Frist zu seinem Getränk kommen könnte. Dann wird da nett geplaudert, mit Journalist:innen, Lokalpolitiker:innen und Lobbyist:innen. Was aber sicher nicht passiert ist, dass da irgendeine Stimme bewegt wird. Zur Bundesratswahl gehört eben auch, dass sich niemand in die Karten blicken lässt. Die einen verwedeln, andere schwindeln, wieder andere sagen vielleicht die Wahrheit. Aber es ist wie bei diesen Logikübungen nicht ganz einfach zu unterscheiden, wer nun ein Schurke und wer ein Ritter ist.Tatsächlich war diese Bundesratswahl offener als vergangene. Und damit gab es in der Bellevue-Bar wenigstens etwas Stoff, um darüber zu spekulieren. SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann, die sich in der Vergangenheit mit guten Prognosen einen Namen machte, lag diesmal falsch. Sie tippte auf Ritter. 

Die Mitte hat selber dazu beigetragen, dass sich die Begeisterung über das Ticket in Grenzen hielt. Mit ungeschickter Kommunikation liess sie zu, dass die Favorit:innen tröpfchenweise absagten. Nur einer wollte: Markus Ritter, Nationalrat und Bauernpräsident. In buchstäblich letzter Minute erlöste dann der Zuger Regierungsrat Martin Pfister seine Partei, indem er dafür sorgte, dass die Mitte doch noch mit einem Zweierticket antreten konnte. Jetzt ist er Bundesrat. Zwei Wahlgänge dauerte es und dann stand der Sieger fest. Martin Pfister schaffte die Wahl mit 134 Stimmen, Markus Ritter erhielt 110 Stimmen. Eine Stimme ging noch an eine unbekannte dritte Person. Eine Nationalrätin fehlte aus gesundheitlichen Gründen. Bereits im ersten Wahlgang verfehlte Martin Pfister die Wahl nur knapp, eine Stimme fehlte ihm zum absoluten Mehr.

Für grosse Begeisterung sorgt seine Wahl vor allem in seinem Kanton. Bei der Bundesversammlung sind die Gefühle wohl gemischter. Für SP und Grüne war es eine Wahl zwischen einem Vertreter der Zuger Finanzpolitik und einem Bauernlobbyisten. Eine Wahl also zwischen «Geld und Gülle», wie es SP-Nationalrat Fabian Molina ausdrückte, oder zwischen SVP und FDP, wie es die Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone in der ‹Arena› formulierte. Es war wohl weniger eine Wahl mit grossen politischen Unterschieden – was ja in einer Auswahl innerhalb einer Partei nicht überrascht – sondern eine des Temperaments. Symptomatisch dazu eine Antwort aus einem Fragebogen, den CH-Media beiden Kandidaten vorgelegt hatte, mit der Bitte um kurze Antworten. Eine Frage war: Sind Sie für oder gegen eine Elternzeit von 36 Wochen? Pfisters Antwort: «Dagegen.» Ritters Antwort: «Dagegen. Sind Sie wahnsinnig?» 

Tatsächlich trat Ritter mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein auf. Mit markigen Sprüchen präsentierte er sich als Macher, als einer, der im VBS aufräumen könne. Er soll sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein, heisst es. Gereicht hat es nicht. Vermutlich hat er sich mit zu vielen verscherzt, auch in seiner eigenen Partei. Fairerweise muss man sagen, dass im ganzen Bundesratswahlkampf klar wurde, dass Ritter Dossierkenntnisse besitzt und sich auch akribisch vorbereitet. Selbst auf ein Hearing mit dem Frauendachverband Alliance F, wo er als klar Gesellschaftskonservativer nicht auf viele Stimmen hoffen konnte. Pfister hingegen zog am Anfang bei fast allem den Joker und blieb immer recht im Allgemeinen oder dann im Kanton Zug. Die NZZ schreibt, dass diese Taktik aufgegangen sei: «Pfister wartete ab und schaute zu, wie sein Konkurrent mit jeder forschen Formulierung seine potenziellen Wählerinnen und Wähler verschreckte. Danach musste Martin Pfister einfach sich selbst treu bleiben, seine liberale Haltung in gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Fragen betonen und hin und wieder sagen: ‹Ich bin eine valable Alternative zu Markus Ritter.›» Pfister gab sich also besonnener und bescheidener. Und konnte damit punkten. 

Der frühere Zürcher Stadtpräsident und SP-Nationalrat Elmar Ledergerber soll einmal gesagt haben, dass das VBS ein geschützter Arbeitsplatz für den dümmsten Bürgerlichen sei. Das VBS hat in der neusten geopolitischen Lage aber massiv an Bedeutung gewonnen. Bis dahin war der grösste Stress des VBS jeweils der Beschaffungsdruck, wie der grüne Nationalrat Balthasar Glättli zu sagen pflegt. Der Druck also, das viele Geld, dass die bürgerliche Mehrheit dem Departement immer bereitwillig zur Verfügung gestellt hat, auch gescheit auszugeben. Dieser Druck ist nach wie vor da, in einem Markt, der nicht einfacher geworden ist. Der Druck ist vor allem aber auch gewachsen, weil mit diesen Beschaffungen weit mehr Erwartungen verbunden sind. Erwartungen, denen das VBS vielleicht nicht immer gewachsen ist. Die negativen Nachrichten über das VBS häuften sich in der letzten Zeit. Dabei hat es Viola Amherd sicher besser gemacht, als es die Schlagzeilen vermuten lassen. Aber ganz alles richtig gemacht, hat sie auch nicht. Gerade beispielsweise bei der Ruag. Den Neuen erwartet damit eine nicht einfache Aufgabe, aber auch eine grosse Chance, denn er kann alle Schlüsselstellen neu besetzen und im Zweifelsfall alle Verantwortung auf die Vorgängerin abschieben. 

Nun ist die Schweiz nicht bedeutend genug, um eine grosse geopolitische Rolle zu spielen (wobei das die Grönländer vielleicht auch einmal dachten). Aber dennoch wird es in dieser Frage in den nächsten Jahren innenpolitisch entscheidende Weichenstellungen geben müssen. In welche Richtung bewegt sich die Schweiz in einer Welt, die aus den Fugen gerät? Versucht sie sich, wie Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter vorgibt, opportunistisch bei der Trump-Regierung einzuschmeicheln, oder sucht sie, wie der Nationalrat es in einer Erklärung verlangte, eher die Annäherung an Europa? Die Neutralitätsinitiative der SVP – die in erster Linie eigentlich eine Anti-Sanktionsinitiative ist – ist dafür eine erste Bewährungsprobe. Sie dürfte bei der Bevölkerung abgelehnt werden. Aber es wird dennoch entscheidend sein, wie entschlossen sich der Bundesrat auch gegen diese Vision einer verengten und egoistischen Schweiz entgegenstellen kann. Pfister ist dabei Europa wohl näher als Ritter. Wie überzeugend er dabei sein wird, ist aber noch völlig offen.