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«Ein politisches Kampfblatt würde nicht funktionieren»
Pascal Turin und Lorenz Steinmann machen kein Büro auf – für sie muss es gleich das Rathaus sein: Ihre Online-Zeitung rathuus.ch erscheint seit Anfang Jahr. Noch eine Online-Zeitung mit Schwerpunkt Lokales? In einer Zeit, in der sich mit Journalismus im Allgemeinen und mit Lokaljournalismus im Besonderen kaum mehr Geld verdienen lässt? Zeit für einen Besuch auf der Redaktion von rathuus.ch an der Stauffacherstrasse 180, freudige Begrüssung durch Redaktionshund Waldo inklusive.
Vier Gratiszeitungen weniger…
Bereitwillig legen die beiden offen, warum sie es sich leisten können, auf rathuus.ch «komplett werbefrei» ihre Artikel zu publizieren, sich über Abos zu finanzieren und dabei «politisch unabhängig» zu sein: Ende Dezember wurden die vier kostenlosen Wochenzeitungen der Lokalinfo AG von Autoimporteur Walter Frey – ‹Zürich 2›, ‹Züriberg›, ‹Zürich Nord› und ‹Zürich West› – eingestellt. Dies, nachdem die ‹Tagblatt der Stadt Zürich AG› von Christoph Blocher per 1. Januar 2025 die Verlagsrechte der vier Zürcher Quartierzeitungen übernommen hatte. Die Lokalinfo AG gibt jedoch weiterhin den ‹Küsnachter›, den ‹Stadt-Anzeiger› (Opfikon, Glattbrugg), den ‹Klotener Anzeiger›, den ‹Anzeiger von Wallisellen›, die ‹Volketswiler Nachrichten› und den ‹Kilchberger› heraus. An den meisten Orten sind die Lokalzeitungen gleichzeitig das Amtsblatt. Die Redaktionsleitung der Lokalinfo AG hat Pascal Turin inne, für die Mantelseiten, Sonderthemen und Stellvertretungen ist Lorenz Steinmann zuständig, beide mit einem 80-Prozent-Pensum. «Eigentlich bin ich Redaktionsleiter, jetzt aber leider ohne eigene Zeitung», fasst der 36-jährige Pascal Turin zusammen, während der 59-jährige Lorenz Steinmann erklärt, er sei ganz einfach «der Springer». Leise Wehmut darüber, nicht mehr wie früher in Zürich Vollzeit für eine Zürcher Lokalzeitung zu arbeiten, ist bei beiden unüberhörbar. Also gründeten sie kurzerhand ihre eigene Firma namens Waldos Welt GmbH und machten sich daran, die ersten Artikel für rathuus.ch zu schreiben.
…ein «Rathuus» mehr
Mit ihren Jobs im Rücken besteht immerhin keine Gefahr, dass die beiden verhungern, falls nicht halb Zürich subito und für wahlweise 6, 11 oder 20 Franken pro Monat ein Abo kauft und sich die zwei, drei Artikel pro Woche reinzieht, die sie zurzeit produzieren. Aber was genau haben sie mit dem «Rathuus» vor? Pascal Turin stellt zuerst einmal klar, rathuus.ch sei nicht als Konkurrenz zum P.S. oder zu tsri.ch gedacht, sondern wenn schon als Ergänzung: «Es gibt immer mehr Menschen, die sich nicht mehr für Politik interessieren. Dem möchten wir entgegenwirken und gleichzeitig dazu beitragen, dass die Zürcher:innen, die wissen wollen, was in der Lokalpolitik passiert, eine Auswahl haben.» Es gehe ja nicht darum, für ein Jahresabo gleich einen Tausender hinlegen zu müssen, fügt er an: «Viele Medien kann man heute günstig auf Probe abonnieren oder monatsweise bezahlen. So können sich auch junge Menschen mehr als eine (Online-)Zeitung leisten.» Zurzeit hat rathuus.ch 28 zahlende Mitglieder, die zusammen 285 Franken pro Monat abliefern. Die Büromiete kostet die beiden Macher 450 Franken. «Unser Ziel sind 100 zahlende Mitglieder per Ende Jahr», sagt Pascal Turin.
«Keine Angst, jemanden hässig zu machen»
Doch wie «unabhängig» sind sie bzw. ist ihr Produkt? Beide sind sich einig, dass ihr Produkt funktioniert und sie unabhängig arbeiten: «Ich habe auch während meinen 19 Jahren bei der Lokalinfo nie einen Maulkorb bekommen», sagt Lorenz Steinmann, und Pascal Turin fügt an, «wir lassen uns von niemandem dreinreden». Das hätten sie übrigens bei der Lokalinfo AG gelernt: «Walter Frey hat einst ein politisches Kampfblatt mitherausgegeben, die ‹ZüriWoche›, das hat mit der Zeit nicht mehr funktioniert. Die vier Zürcher Lokalblätter hat er dann als Forumszeitungen für alle gesehen. Dass das in einer rot-grünen Stadt wie Zürich nicht funktionieren kann, wenn nur die Bürgerlichen eine Plattform bekommen, versteht sich von selbst», sagt Lorenz Steinmann. Zudem hätten sie «keine Angst, jemanden hässig zu machen», sind sich die beiden schmunzelnd einig.
Was die Themen betrifft, über die auf rathuus.ch zu lesen sein wird, nennen sie vorab den Gemeinderat als «Inbegriff» der Lokalpolitik, aber auch kantonale Themen wie etwa den Kantonsrat oder die Schule. Lorenz Steinmann ist für städtische Belange zuständig, Pascal Turin für kantonale. Plötzlich in der ganzen Stadt bzw. im ganzen Kanton Augen und Ohren offen zu halten, sei aber gar nicht so einfach: «Den Zürich Nord oder den Zürichberg kenne ich wie meine Hosentasche», sagt Lorenz Steinmann, «in anderen Quartieren an Menschen heranzukommen, die einem Auskunft geben, ist zumindest am Anfang gar nicht so einfach.» Was die beiden schon an Artikeln auf ihrer Plattform zu bieten haben? Ein Blick auf rathuus.ch verräts.