Ein illustres Trio tritt ab

Emy Lalli, Erika Ziltener und Silvia Seiz-Gut haben die SP-Fraktion im Kantonsrat während vieler Jahre geprägt; bei den Wahlen vom 12. April treten sie nun nicht mehr an. Über ihre persönlichen Erfolge und Ärgernisse im kantonalen Parlament geben sie im Gespräch mit P.S. Auskunft.

 

Was war seinerzeit Ihre Motivation, für den Kantonsrat zu kandidieren?

Silvia Seiz: Für mich war dasselbe wichtig, was mich bereits während meiner 16 Jahre als Gemeinderätin motiviert hatte: Ich wollte mich auch ausserhalb der Partei-Gremien aktiv politisch betätigen. Dass ich vom Gemeinderat in den Kantonsrat wechselte, hatte vor allem damit zu tun, dass sich die beiden Parlamente inhaltlich unterscheiden: Vor allem die Arbeit an Gesetzen reizte mich. Doch bei uns in der SP 11 waren viele Jahre lang dieselben Leute im Kantonsrat, weshalb ich drei Mal kandidiert habe, bis es klappte. Dafür blieb ich dann gleich achteinhalb Jahre…

Emy Lalli: Nachdem ich mich hauptsächlich in der SP 9 engagiert hatte, wurde ich angefragt, ob ich auf die Kantonsratsliste möchte. Gemeinderätin wollte ich nie werden, doch der Kantonsrat reizte mich; in einem bürgerlich dominierten Parlament Akzente zu setzen, erschien mir als die zwar schwierigere, aber auch lohnendere Herausforderung. Allerdings hatte man mir nicht gesagt, dass ich zuoberst auf die Liste gesetzt würde und Ruedi Winkler nur auf den fünften Platz… das machte mich nervös, bis man mir bestätigte, Ruedi sei einverstanden. Er schaffte sodann die Wahl mit den meisten Stimmen, und mit mir gewannen wir einen fünften Sitz dazu.

Erika Ziltener: Ich war zwar Co-Präsidentin der SP 10, doch auf die Kantonsratsliste kam ich als «Zebra-Frau», und die Prognose lautete, «du kommst auf den fünften Platz, wirst also nicht gewählt, aber es wäre schön, wenn es genug Frauen hätte, um die ganze Liste abwechslungsweise mit Frauen und Männern zu füllen». Nach der Wahl war ich auf dem vierten Platz,  womit ich auf dem ersten Ersatzplatz landete und ein halbes Jahr vor Legislaturende nachrücken konnte. Nach diesen ersten sechs Monaten und einem super Start dank Willy Spieler wusste ich, dass der Kantonsrat genau das Richtige für mich war; deshalb wollte ich unbedingt wiedergewählt werden.

 

Was hat Sie dazu bewogen, der Arbeit im Kantonsrat so lange treu zu bleiben?

Silvia Seiz: Die Arbeit im Kantonsrat ist anders ist als jene im Gemeinderat, aber mindestens so spannend: Ich hatte beispielsweise nicht damit gerechnet, dass die Region, aus der jemand kommt, so wichtig sein kann wie seine/ihre Partei – und dass es manchmal gar nicht so einfach ist, sich mit einer Idee nur schon in der eigenen Fraktion durchzusetzen. Gut gefallen hat mir auch, dass ich in ‹meinen› Themengebieten Soziales und Gesundheit in die Tiefe gehen und Erfahrungen machen sowie Kontakte pflegen konnte, zu denen ich sonst wohl kaum gekommen wäre. Bei den Wahlen machte ich zudem immer das beste Ergebnis, was aus meiner Sicht belegt, wie wichtig es ist, in seinem Quartier beziehungsweise Dorf sehr gut vernetzt zu sein.

Emy Lalli: Dass man sich manchmal wundert, was die VertreterInnen von abgelegeneren Dörfern wie beispielsweise Sternenberg beschäftigen kann, ist auch mir nicht fremd. Als ich im Kantonsrat anfing, galt zudem noch das System der Spezialkommissionen, in die man nach Bedarf gewählt wurde. Damit konnte es einem passieren, dass man sich in Gebiete einarbeiten musste, von denen man zuvor keine Ahnung gehabt hatte. Das war zwar anstrengend, aber auch spannend. Dass man mich bei uns im Dorf, das der Kreis 9 immer noch ist, kennt, hat ebenfalls eine Rolle gespielt, wenn es jeweils um die Frage ging, ob ich weitermachen wollte: Ich bin jedenfalls stolz darauf, dass ich stets viele Fremdstimmen holte – und vor allem immer mehr Stimmen als Lorenz Habicher von der SVP.

Erika Ziltener: Als ich im Kantonsrat anfing, waren die «Aktion Gsundi Gsundheitspolitik» und die neue Spitalbewegung sehr aktiv mit Kundgebungen usw., kurz: In ‹meiner› Gesundheitspolitik war damals viel los. Gleichzeitig nahmen verschiedene Entwicklungen wie die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ihren Anfang, die in eine aus unserer Sicht falsche Richtung zielten; die Arbeit ging uns also nie aus. Und nicht zuletzt haben sich meine Aufgaben als Kantonsrätin, als Dozentin in Gesundheits- und Krankenpflegeschulen und als Leiterin der Patientenstelle Zürich ideal ergänzt.

 

Was stufen Sie rückblickend als Ihre grössten Erfolge ein?

Emy Lalli: Mein persönliches Highlight war mein Präsidialjahr 2004/05. Es fing schon gut an – ich bin heute noch stolz darauf, dass ich bei der fraktionsinternen Ausmarchung bereits im ersten Wahlgang das absolute Mehr erzielte –, und es war und blieb spannend. Ich habe es sehr gern gemacht.

 

Für viele KantonsrätInnen ist das Präsidialjahr der krönende Abschluss; Sie jedoch sind in die Fraktion zurückgekehrt und haben dort weitergearbeitet: War das von Anfang an so geplant?

Emy Lally: Nein, ich wusste ja nicht, wie es werden würde. Aber es war schön, vom ‹Bock› herab zu regieren und praktisch jeden Abend irgendwo eine Rede zu halten, Apéros zu besuchen, mit verschiedenen Menschen zu reden. Doch nach diesem Jahr war mir auch klar, dass ich noch nicht genug hatte von der politischen Arbeit im Kantonsrat. Zudem war ich ja nicht die erste, die nach dem Präsidialjahr weitermachte. Dass es allerdings nochmals ganze zehn Jahre werden würden, hätte ich damals nicht gedacht.

 

Und was waren die grössten Erfolge aus Sicht der Gesundheitspolitikerinnen?

Erika Ziltener: Mich hat es sehr gefreut, dass aufgrund eines Vorstosses von mir bereits in meiner Anfangszeit ein Pilotprojekt für die Einsetzung von SpitalfachärztInnen aufgegleist wurde. Auch die Hausarztmedizin wurde von unserer Fraktion angeregt, und als die Hebammenschule geschlossen beziehungsweise in einen anderen Kanton hätte ausgelagert werden sollen, erwischten wir zum Glück ein Medienloch…

 

Wie meinen Sie das?

Erika Ziltener: Damals lief offensichtlich sonst nichts, also hatten die Medien offene Ohren für unsere Argumente, und es gelang uns, die Hebammenschule zu halten. Grundsätzlich ist die Gesundheitspolitik aber schon unglaublich bürgerlich geprägt, weshalb wir froh sind, dass es uns gelungen ist, auf eine hohe Qualität der Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung zu pochen und sie im Gesetz zu verankern.

Silvia Seiz: Ein weiteres Beispiel: Beim Pflegegesetz konnten wir erreichen, dass der Kanton bei den ambulanten Pflegekosten seinen Anteil verdoppelte. Grundsätzlich gehöre ich jedoch nicht zu jenen KantonsrätInnen, die sich mit möglichst vielen Vorstössen zu profilieren suchten. Ich war dafür immer gut darin, mit verschiedenen Leuten zu reden und sie zu überzeugen; entsprechend habe ich viele kleine Erfolge erzielt, von denen nie etwas in der Zeitung zu lesen war. Beispielsweise, als am Unispital das Reinigungspersonal ausgelagert werden sollte: Mir war wichtig, dass diese Frauen weiterhin einen anständig bezahlten Job haben sollten; ob als Angestellte des Unispitals oder als Ausgelagerte, interessierte mich weniger. Das stiess beim VPOD zwar nicht nur auf Wohlwollen, doch schliesslich setzte sich die Erkenntnis durch, dass man manchmal mehr erreicht, wenn man nicht unbedingt mit dem Kopf durch die Wand will.

Emy Lalli: Auch in der Sozialpolitik bekamen wir die bürgerliche Mehrheit zu spüren; Vorwürfe, wir machten zu wenig, finde ich deshalb nicht angebracht. Wir hatten alle Hände voll zu tun, das bereits Erreichte zu bewahren und die bestmöglichen Kompromisse herauszuholen. Als Linke in der Sozialpolitik ist es keine Option, mit Pauken und Trompeten den Ton angeben zu wollen – dieser Schuss kann nur nach hinten losgehen.

Erika Ziltener: Genau. Wir können die besten Vorstösse schreiben, die man sich denken kann – aber wenn sie keine Mehrheit finden, kommen wir keinen Schritt weiter. Ich habe mal einen Vorstoss für dir Rückforderung der zuviel bezahlten Prämien gemacht; er wurde nur von der eigenen Fraktion, den Grünen und ein paar Zugewandten unterstützt, ging also bachab. Doch einer von der SVP nahm den Vorstoss auf, änderte einen Satz, brachte ihn eine Woche später in den Rat – und siehe da, er wurde überwiesen. Das ist nun mal die Realität in der Sozial- und Gesundheitspolitik im bürgerlich dominierten Kantonsrat.

Silvia Seiz: Unser Vorstoss für mehr Qualität in der Pflege Demenzkranker ging ebenfalls bachab, doch unterdessen liegt ein Vorschlag des Regierungsrats für eine Demenzstrategie auf dem Tisch, die sogar finanzielle Unterstützung vorsieht: Dass wir im Parlament oft unterlagen, heisst noch lange nicht, dass wir ins Leere hinaus arbeiteten; wir wirkten einfach mehr im Hintergrund – und das ist tatsächlich nicht jedermanns Sache.

 

Womit wir bei Ihren grössten Niederlagen beziehungsweise Ärgernissen wären.

Silvia Seiz: Mit Gesundheits- und Sozialpolitik kann man sich als Linke im bürgerlichen Kantonsrat nicht profilieren; vielmehr kriegt man permanent eins aufs Dach. Man braucht einen starken Willen und ebensolche Nerven.

Nach dieser Legislatur wird es noch weniger SozialpolitikerInnen in der SP-Fraktion haben – ausgerechnet jener Partei, die das Soziale im Namen hat, scheint es an Menschen zu fehlen, die sich im Kantonsrat dafür einsetzen wollen. Mit einem Leistungsausweis als Sozialpolitikerin wird man heutzutage halt nicht National- oder Bundesrätin… Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass bei parteiinternen Tagungen, in denen verschiedene Themen zur Diskussion standen, in letzter Zeit die Finanzen und das Wohnen der Sozial- und Gesundheitspolitik vorgezogen wurden.

Erika Ziltener: Ich finde es auch schade, dass die NZZ das Ratsprotokoll nicht mehr abdruckt; früher wurde unsere Politik dadurch immerhin öffentlich gemacht. Was mich aber bis heute sehr reut, ist, dass wir den Spitalfonds nicht durchgebracht haben; er wurde nicht nur im Kantonsrat abgelehnt, sondern ging auch in der Volksabstimmung deutlich bachab. Da sollte die SP unbedingt dranbleiben und diesen grossen Fehler korrigieren. Generell hat sich für mich die Kombination Unterrichtstätigkeit/Patientenstelle/Kantonsrat aber so gut bewährt, dass ich rückblickend nicht mehr bei jedem meiner Erfolge beziehungsweise Misserfolge aus dem Stand sagen kann, ob ich sie in der einen oder andern Funktion erzielt habe.

Emy Lalli: Mich reut es immer noch, dass wir die Vorlage «Chancen für Kinder», mit der wir Ergänzungsleistungen für Familien forderten, nicht durchgebracht haben, und es hat mich auch verletzt, dass mich die Fraktion vor vier Jahren per Zufallsentscheid nicht mehr in die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit gewählt hat. Wie erfolgreich – oder eben nicht – wir im Parlament waren, ist anderseits immer nur die eine Seite; auf der anderen kommt es gerade in der Sozialpolitik häufig vor, dass die vorhandenen Gesetze und Regeln zwar ausreichten, jedoch nicht adäquat befolgt werden: Da wird zum Beispiel in einem stossenden Fall von Sozialhilfemissbrauch der SKOS die Schuld gegeben, dabei gäbe es gemäss ihren Richtlinien durchaus Sanktionsmöglichkeiten; die Gemeinden müssten sie nur ergreifen.

 

Wie leicht fällt Ihnen der Abschied – und was packen Sie als nächstes an?

Emy Lalli: Die Kontakte werde ich sicher vermissen, den Austausch mit den KollegInnen, auch dass wir als Mitglieder dieses gesitteten Parlaments problemlos parteiübergreifend ein Bier trinken gehen konnten, obwohl die Diskussionen im Rat durchaus hart geführt wurden.

Die stets stärkere Polarisierung der SVP gibt mir allerdings ebenso zu denken wie die vielen Lügen, mit denen sie in der Sozialpolitik hausiert. Was die Zukunft betrifft, bleibe ich in der Sozialbehörde, doch meine politische Karriere ist nun abgeschlossen.

Erika Ziltener: Ich war sehr gerne Kantonsrätin, und der Rat wird mir vielleicht auch fehlen, aber ich freue mich auf mehr Zeit, die mir nun zur Verfügung steht, und werde mein Pensum auf der Patientenstelle aufstocken. Zudem kann ich von einem Vorteil der langjährigen Parlamentsarbeit, der breiten Vernetzung, ja auch in Zukunft noch profitieren.

Silvia Seiz: 25 Jahre aktive Politik sind genug, finde ich. Meine weiteren Engagements behalte ich bei, aber ich kann mir auch gut vorstellen, künftig ab und zu mal einen Tag frei zu haben. Allerdings kandidiert meine Chefin in aussichtsreicher Position für den Kantonsrat; sollte sie gewählt werden, muss ich mein Arbeitspensum aufstocken.

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