Ein fahrender Felsen gegen Depressionen und Traumata

Die Zürcher NGO «ClimbAID» baut einen mobilen Boulder-Felsen für junge Geflüchtete im Libanon. Die Reise geht bald los.

 
 

Von Manuela Zeller

 
 
Ein kleiner weisser Laster mit seltsamem Aufbau steht auf dem Gelände des Zirkus Chnopf. Wer das aktuelle Projekt von «ClimbAID» kennt, errät: Hier entsteht ein «rolling rock», ein fahrender Felsen. Auf die Ladefläche wurde ein Alu-Gerüst verschraubt, dieses wiederum wurde mit Platten verkleidet, auf die dann schliesslich die bunten Klettergriffe geschraubt werden. «Boulder» heisst auf Deutsch Fels, «bouldern» nennt sich der Sport, bei dem ohne Seil und dafür mit Matte bis auf eine Höhe von etwa 3 Metern geklettert wird.
Soweit ist es allerdings noch nicht, die Platten werden gerade erst abgeschliffen, es fehlt noch der Überhang am Heck. Entsprechend gross ist der Zeitdruck, in ein paar Wochen soll’s losgehen, der kleine Laster wird in den Libanon verschifft und soll dort Gutes tun. «Man hat herausgefunden, dass Klettern gegen Depressionen und Traumata hilft», erklärt mir Beat Baggenstos, Initiator des Projekts und Gründer der kleinen Zürcher NGO «ClimbAID». Er habe selbst die Erfahrung gemacht, dass Klettern gut gegen Stress hilft, als er noch bei einer Bank gearbeitet hat. Inzwischen hat er seinen Bürojob gekündigt und engagiert sich mit «ClimbAID» dafür, dass auch Geflüchtete von der positiven Wirkung des Sports profitieren können. Die NGO organisiert Boulder-Sessions für Geflüchtete. Bisher in Zürich und Kriens, dank dem rollenden Boulder-Felsen bald auch im Libanon.

 
 
Klettergruppen in der Schweiz
In Zürich und in Kriens gibt es zurzeit mehrere «ClimbAID» Klettergruppen, solche für unbegleitete minderjährige Asylsuchende, die in Heimen untergebracht sind, und eine für alle Altersklassen. In der Boulderhalle «Minimum» in Zürich und im «Cityboulder» in Kriens haben Geflüchtete die Gelegenheit, sich auszupowern, Selbstvertrauen aufzubauen und nicht zuletzt auch Kontakte zu knüpfen. Er und seine KollegInnen von «ClimbAID» seien keine TherapeutInnen, erklärt Baggenstos, er habe allerdings viel gelesen zum therapeutischen Klettern und von kurzem sogar einen Workshop mit Alexis Zajetz vom «Institut für Therapeutisches Klettern» organisiert. «Es gibt zwar ganz gezielte Spiele und Übungen fürs therapeutische Klettern, es tut aber schon gut, einfach drauflos zu klettern». Der Sport sei gut geeignet, weil nicht nur Kraft und Ausdauer, sondern auch motorische und mentale Fähigkeiten gefördert würden.
Das «Minimum» in Zürich-Altstetten und «Cityboulder» in Kriens würden sowohl den Geflüchteten als auch den Freiwilligen Leiter­Innen den Eintritt erlassen und das Material kostenlos zur Verfügung stellen, freut sich Baggenstos, nur so sei es möglich, das Training für die Geflüchteten kostenlos anzubieten.

 
 
Mit dem Felsen in den Libanon
Nun sollen bald auch Geflüchtete im Libanon auf die Matte. Viele SyrierInnen und PalästinenserInnen sind in den Libanon Geflüchtete, manche vor Jahrzehnten, andere vor wenigen Jahren. Beat Baggenstos hatte das Land letztes Jahr besucht, wo er für eine kleine Hilfsorganisation Freiwilligenarbeit geleistet hatte. «Und ich war natürlich auch klettern, es gibt Klettergärten und eine lokale Kletter-Community im Libanon». So sei er auf die Idee gekommen, mit den jungen Geflüchteten klettern zu gehen. «Ich hatte mir überlegt, gemeinsam zu den Kletterfelsen zu fahren, es hat sich aber schnell herausgestellt, dass das keine gute Idee ist.» Die Klettergärten sind in Gebieten, in denen Geflüchtete nicht gerne gesehen würden. «Schliesslich habe ich nach einer Lösung gesucht, um den Felsen zu den Jugendlichen zu bringen.»
Mit dem Boulder-Mobil wollen Baggenstos und sein Team regelmässig die gleichen Orte besuchen und dort mit den Jugendlichen Boulder-Sessions abhalten. Die Umsetzung des doch relativ kühnen Plans habe sich als komplizierter herausgestellt, als er gedacht hatte, lacht Baggenstos. «Ursprünglich wollten wir den Lastwagen im Libanon umbauen, es war aber unmöglich, vor Ort ein passendes Fahrzeug aufzutreiben». Und auch die Konstruktion sei relativ komplex, ein Architekt habe die Pläne gezeichnet, und Alu schweissen und die Holzverschalung zu schreinern sei ebenfalls anspruchsvoll. Und schliesslich brauchte es kletterbegeisterte Menschen, die arabisch sprechen und Lust haben,einige Monate im Libanon zu verbringen.
Das Boulder-Mobil soll vorerst während sechs Monaten im Libanon unterwegs sein. Ziel ist, dass sich nach und nach auch KlettererInnen im Libanon für das Projekt engagieren. «Wir wollen, dass Menschen verschiedener Herkunft zusammenarbeiten und gemeinsam klettern», erklärt Baggenstos den Hintergrund des Projekts. Wie es nach dem halben Jahr weitergeht, ist noch unklar. «Ich suche nach Lösungen, damit das Projekt langfristig funktionieren kann», erklärt Beat Baggenstos. Im Moment wird es noch hauptsächlich durch private Spenden getragen.

 
 
www.climbaid.org

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