Egoismen

Die Idee der guten Tat ist in «Willkommen»  nur der Auslöser für einen Reigen von persönlichen Positionsbezügen.

 

Teil einer Wohngemeinschaft zu sein, erfordert Rücksichtnahme und Empathie, die im Zweifel aber schnell zugunsten der Betonung von Anciennität zurückgestellt wird, wenn ein Privileg auf dem Prüfstand steht – oder eine latente Kränkung. An­drea Zogg adaptiert das deutsche Erfolgsstück «Willkommen» auf Zürcher Verhältnisse. Ein jetziger Mieter, Benny (Sebastian Krähenbühl), plant sein Zimmer gerne ein Jahr lang jemandem (oder einer Familie) aus der naheliegenden Asylunterkunft zur Verfügung zu stellen und stellt diese Idee im Plenum zur Disposition. Das individuell gefühlte Verhältnis zu AusländerInnen kocht die Emotionen zwar schnell hoch, wird aber bald von ganz anderem Unverdautem in einer Dringlichkeit abgelöst, als gings ums Überleben. Klipp und klar ist Doro (Sabina Deutsch). Sie bringt ihren Standpunkt gerade heraus auf den Punkt. Der Idealfall für eine Mediation. Aber ihre Haltung ist nicht politisch korrekt. Die Hausherrin Sophie (Anja Martina Schärer) stellt Doros direktes Gegenteil dar. Sie würde die Not der anderen gerne für die eigene Selbstverwirklichung via endlich mal einem glückenden Kunstprojekt brauchen. Anna (Wendy Güntensperger) sieht sich vom Zeitdruck genötigt, ihre Schwangerschaft zu gestehen und wünscht, ihren Kindsvater hier einzuquartieren. Jonas (Reto Stalder) enthält sich praktisch allem – er ist eh bald wieder weg. Langsam aber sicher kommt die gesamte Klaviatur menschlicher Egoismen zum Vorschein. Die Mühe um den Schein verblasst neben der Durchsetzung von Eigeninteressen. Ein i-Tüpfelchen auf diese Auslegeordnung platziert der Kindsvater Ahmed (Nicola Perot), der als Secondo eine mit Doros Klarheit vergleichbare Brandrede über seine gelebten Erfahrungen mit Lebensnachteilen als konstant Vorverurteilter präsentiert. Insgesamt wird «Willkommen» zur Aufforderung, die einzig wahre Haltung zu zeigen: Brutale Aufrichtigkeit.

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