Egal

Kürzlich war es mir mal komplett egal. Ich bin ja nicht unbedingt zurückhaltend so insgesamt, aber ich überlege mir in der Regel durchaus, wie ich etwas sagen oder schreiben sollte, damit es nicht missverstanden wird, ob ich es überhaupt sagen soll oder nicht, und ach ja, nicht zu vergessen, in der Wut, ich weiss, soll man doch besser noch einmal drüber schlafen, bevor man reagiert. Kürzlich war mir das einfach egal, es ging um den Post einer Genossin aus dem Kantonsrat. Die Frauen seien gerade im Streik, schrieb sie am 14. Juni, es war kurz nach 11 Uhr. 

 

Daraufhin passierte alles, was einen solchen Streik an und für sich rechtfertigt und was so dermassen sinnbildlich ist für das Thema, dass ich gar nicht mehr recht wusste, ob ich jetzt Freude haben sollte ob diesem Lehrstück oder doch eher Wut. 

 

Nach diesem Post nämlich, dass die Kantonsrätinnen nicht im Ratssaal sondern im Streik seien, kommentierte als erstes ein Mann mit einem wirklich extrem lustigen Witz («ah, deshalb ist es so ruhig»). Gleich danach kommentierte ein weiterer Mann: «Ob es für den Kanton Zürich sinnvoll ist anstatt die politische Arbeit im Kantonsrat zu machen zu streiken muss jede Person selber wissen» (die fehlenden Satzzeichen fehlen auch im Original). Und auf diese beiden Aussagen kamen augenblicklich drei Frauen, die sich ausführlich rechtfertigten, Argumente für den Streik aufzählten und sich insbesondere bemühten klarzumachen, dass sie keine Abstimmung verpasst und auch sicher ihre Arbeit als Kantonsrätinnen jetzt nicht weniger gut gemacht hätten.  Man habe sich nur für ein gemeinsames Foto zusammengefunden, keine fünf Minuten habe das gedauert! Und man habe im Übrigen gleichentags schon am frühen Morgen Unterschriften gesammelt, noch vor der Ratssitzung! Er sehe keinen Grund für einen Frauenstreik, schreibt ein anderer lapidar auf all das, klar, nicht als Frage, nicht als Beitrag zu einer Diskussion, er schreibt es als Gesetz.

 

Und dann war es mir eben komplett egal und ich erklärte nicht, rechtfertigte nicht, sondern schrieb, so ungefähr, dass ihre Meinung hier nicht gefragt und es abgesehen davon typisch sei, dass Männer genau so und nicht anders auf diese Aktion zum Frauenstreik reagierten. Worauf einer schrieb, das sei jetzt ganz fest unanständig von mir (wo ich noch nicht mal ein Schimpfwort brauchte, möchte ich noch betonen). Das Lehrstück erreichte damit die Vollendung, denn das Zielen auf die persönliche Ebene und vor allem die Form, statt den Inhalt, wenn die Frau nicht pariert, ist sozusagen die Krönung und Sinnbild für das Beziehungsgefälle zwischen Mann und Frau. 

 

Männer und Frauen sind noch immer nicht auf Augenhöhe. Das, ganz ehrlich, tut manchmal einfach wahnsinnig weh. Wir sind, im Grundverständnis vieler Männer, Menschen, die man mit weniger Sorgfalt, weniger Interesse, weniger Respekt behandeln kann. Das führt dazu, dass Meinungsäusserungen von Frauen, Forderungen, Diskussionsbeiträge, Analysen, ganz selbstverständlich erst einmal, so als Standardreaktion, nicht ernst genommen werden. Das wiederum führt dazu, dass Frauen sich ständig in einem Erklärungs- und Rechtfertigungsnotstand befinden. Was darin resultiert, dass Frauen meinen, wirklich besser und härter als Männer arbeiten zu müssen. Die Diskussion auf Facebook hat mir das schmerzlich vor Augen geführt. 

 

Der Frauenstreik ist der Protest gegen diese Ungleichheit. Solange es diese gibt, ist es mir bis auf Weiteres egal. 

 

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