Natascha Wey: «Es ist wichtig, genauer hinzuschauen, wer Efas unterstützt. Kein grosser Arbeitnehmer:innenverband hat zugestimmt.» (Bild: zVg)

«Efas ist ein Lobbyprojekt aus der Küche der Versicherer»

Die Abstimmung über die einheitliche Finanzierung der Leistungen (Efas) am 24. November könnte das Gesundheitssystem verändern – aber nicht zum Besseren, meint Natascha Wey. Die Generalsekretärin des Vpod erläutert im Gespräch mit Tim Haag, weshalb die Gewerkschaften die Reform ablehnen und welche Risiken sie in der Reform sehen.

Eine Freundin von mir ist Pflegefachfrau. Manchmal erzählt sie von den körperlichen und psychischen Belastungen des Berufs, von Nachtschichten und der Verantwortung, allein dutzende Patient:innen zu betreuen. Wenn ich das höre, klingt die Idee von Efas und der verstärkten Ambulantisierung wie eine längst überfällige Entlastung für das Pflegepersonal. Täuscht dieser Eindruck?

Natascha Wey: Genau so wird es im Abstimmungskampf gerne dargestellt: Als würde die Ambulantisierung die Probleme im Gesundheitswesen lösen. Doch das ist eine Illusion. Unsere Gesellschaft altert, und der Pflegebedarf steigt kontinuierlich an. Bis 2040 werden wir fast doppelt so viele über 80-Jährige haben wie heute, eine Altersgruppe, die besonders viel Pflege benötigt. Selbst mit mehr ambulanten Behandlungen bleibt die Nachfrage in der stationären Versorgung hoch. Pflegekräfte werden weiterhin Nacht- und Schichtdienste leisten müssen – sowohl in Spitälern als auch in Pflegeheimen. Jetzt zu sagen, Efas löse das Problem der Arbeitsbedingungen in der Pflege, ist zynisch gegenüber allen, die sich für die Pflegeinitiative eingesetzt haben, die genau diese Verbesserungen fordert und noch immer nicht vollständig umgesetzt ist.

Efas setzt stark auf Ambulantisierung als Mittel zur Kostensenkung. Ist das ein realistischer Ansatz, um die Gesundheitskosten nachhaltig zu reduzieren?

Die Idee klingt verlockend, aber die Realität ist komplexer. Die steigenden Kosten im ambulanten Bereich resultieren nicht hauptsächlich aus der Verlagerung von stationären zu ambulanten Behandlungen, sondern vor allem durch teure Medikamente und die unkontrollierte Abrechnung durch Spezialärzt:innen. Das Sparpotenzial durch Ambulantisierung ist begrenzt. Eine Studie des Bundesamts für Gesundheit schätzt mögliche Einsparungen auf bis zu 440 Millionen Franken jährlich – bei Gesamtgesundheitskosten von über 90 Milliarden Franken sind das Tropfen auf den heissen Stein. Zudem sind solche Prognosen unsicher. Es ist keineswegs garantiert, dass Efas zu den erhofften Kosteneinsparungen führt.

Welche Rolle spielt die derzeitige Tarifstruktur dabei, ob Spitäler mehr ambulant behandeln können oder nicht?

Die Tarifstruktur ist ein zentrales Hindernis. Ambulante Tarife sind oft nicht kostendeckend, viele Spitäler machen in diesem Bereich Verluste. Es gibt keinen finanziellen Anreiz, mehr ambulant zu behandeln. Ohne kostendeckende Tarife nützt auch Efas wenig. Wir brauchen grundlegende Anpassungen, damit ambulante Behandlungen für die Spitäler wirtschaftlich tragbar sind.

Oft wird auf unsere Nachbarländer verwiesen, in denen die Ambulantisierung weiter fortgeschritten ist. Können wir von diesen Beispielen lernen, oder sind die Bedingungen in der Schweiz anders?

Vergleiche mit dem Ausland sind mit Vorsicht zu geniessen. In anderen Ländern wurde die Ambulantisierung durch gesetzliche Vorgaben und Regulierungen vorangetrieben, nicht allein durch finanzielle Anreize. Zudem unterscheiden sich die Gesundheitssysteme und die demografischen Entwicklungen erheblich. 

Efas verspricht unter anderem eine Entlastung der Prämienzahlenden. Wo sehen Sie die Gefahren, dass dieses Versprechen nicht gehalten wird?

Sehr lange war die Prämisse dieser Vorlage, dass sie verteilungsneutral sein soll. Dass sie jetzt plötzlich als Prämienentlastungswunder dargestellt wird, ist eine relativ neue Entwicklung im Abstimmungskampf. Wenn die Kantone ihre finanzielle Verantwortung in der Langzeitpflege abgeben, werden die steigenden Kosten direkt auf die Versicherten abgewälzt. Bereits heute sind die medizinischen Kosten in Pflegeheimen hoch – durchschnittlich etwa 4400 Franken pro Person und Monat. Dank der Restfinanzierung der Kantone wird ein grosser Teil dieser Summe abgedeckt. Fällt diese Unterstützung weg, steigt die finanzielle Belastung erheblich. Mit dem Einbezug der Langzeitpflege fallen pro Monat Pflegeheimaufenthalt durchschnittlich 600 Franken mehr an Prämien an. Unsere Befürchtung ist, dass wir alle das zu spüren bekommen – durch steigende Prämien und höhere Selbstbehalte.

Sie haben Bedenken geäussert, dass Efas zu einem verstärkten Spardruck in der Langzeitpflege führen könnte. Wie könnte sich das konkret auf die Pflegequalität auswirken?

Wenn Pflegeeinrichtungen unter erhöhten Kostendruck geraten, besteht die Gefahr, dass an Personal und Qualität gespart wird, wie übrigens auch eine offizielle Efas-Studie des Bundes festhält. Mit Pauschaltarifen entsteht ein Anreiz, Kosten zu senken, indem weniger qualifiziertes Personal eingesetzt wird oder Pflegekräfte mehr Patient:innen in kürzerer Zeit betreuen müssen. Das führt zu einer «Billigpflege», die weder den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen gerecht wird noch für das Personal tragbar ist. Die Qualität der Pflege würde leiden, und das müssen wir unbedingt vermeiden.

Wie bewerten Sie die Rolle der Versicherer bei der Entstehung von Efas?

Efas ist im Kern ein Lobbyprojekt aus der Küche der Versicherer, die sich weitgehend durchgesetzt haben. Die Reform wurde massgeblich von Vertreter:innen der Versicherungsbranche vorangetrieben, die Kosten verlagern und ihre  Macht ausbauen wollen. Gleichzeitig nutzen die Kantone die Gelegenheit, sich aus der teuren Langzeitpflege zurückzuziehen. Am Ende zahlen die Versicherten die Rechnung. Zudem droht eine weitere Privatisierung des Gesundheitssystems, was die demokratische Kontrolle erschwert und die Macht der Versicherer erhöht.

Trotzdem wird Efas von verschiedenen Seiten als wichtiger Schritt zur Modernisierung unseres Gesundheitssystems gesehen, und einige Gesundheitsverbände stehen dahinter. Was entgegnen Sie diesen Befürworter:innen?

Es ist wichtig, genauer hinzuschauen, wer Efas unterstützt. Kein grosser Arbeitnehmer:innenverband hat zugestimmt. Der VPOD hat ein klares Nein beschlossen, und der Berufsverband des Pflegepersonals hat Stimmfreigabe erteilt – was kein Ja ist. Die Unterstützung kommt hauptsächlich von Arbeitgeberverbänden und den Versicherern. Während diese sich Kosteneinsparungen und mehr Einfluss erhoffen, werden die Anliegen des Pflegepersonals und der Versicherten vernachlässigt. Eine Modernisierung des Gesundheitssystems sollte nicht zulasten derjenigen gehen, die darin arbeiten oder darauf angewiesen sind.

Innerhalb der Linken gab es unterschiedliche Positionen zur Efas-Vorlage. Während die SP-Fraktion im Parlament zustimmte, fasste der Parteitag die Nein-Parole. Die Grünen haben sich zur Stimmfreigabe entschieden. Worin liegen die Gründe für diese Spannungen?

Ich verstehe, dass nach jahrelanger Arbeit im Parlament der Wunsch nach einem Kompromiss besteht. Einige hofften, durch Zugeständnisse Verbesserungen zu erreichen. Aber unsere Aufgabe ist es, die Vorlage aus der Perspektive der Versicherten und der Pflegekräfte zu bewerten. Aus dieser Sicht überwiegen die Risiken und Nachteile von Efas klar. Die Basis der SP hat das ebenso gesehen und die Nein-Parole beschlossen. Das zeigt, dass die Partei die Sorgen der Bevölkerung ernst nimmt und nicht bereit ist, eine schlechte Vorlage um des politischen Friedens willen zu unterstützen.

Sie sagen es – Efas wurde 15 Jahre lang diskutiert und ausgearbeitet. Ist es nicht an der Zeit, diese Reform endlich umzusetzen, oder überwiegen die Nachteile Ihrer Meinung nach trotz des langen Prozesses?

Nur weil eine Reform lange diskutiert wurde, wird sie nicht automatisch gut – hier ist sogar das Gegenteil der Fall. Wir sollten uns nicht unter Druck setzen lassen, eine unausgereifte Vorlage zu akzeptieren. Es ist wichtiger, eine durchdachte und gerechte Lösung zu finden, als etwas umzusetzen, das mehr Probleme schafft, als es löst.

Angenommen, Efas wird abgelehnt – welche nächsten Schritte wären Ihrer Meinung nach notwendig, um das Gesundheitssystem voranzubringen?

Zunächst muss die Pflegeinitiative vollständig umgesetzt werden, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und mehr Menschen für den Beruf zu gewinnen. Gute Bedingungen sind entscheidend, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Wir sollten die Medikamentenpreise senken und die Abrechnungspraxis von Spezialärzt:innen regulieren. Auch einkommensabhängige Prämien und vor allem staatliche Eingriffe in die Preisgestaltung könnten helfen, die Kosten zu dämpfen. Es gibt viele Ansatzpunkte für Reformen, die das Gesundheitssystem nachhaltig verbessern würden. Und eine einheitliche Finanzierung kann man selbstverständlich sofort einführen – aber ohne Belastung der Prämienzahlenden und ohne Ausbau der Kassenmacht.

Zusammengefasst: Was sollte die Bevölkerung Ihrer Meinung nach unbedingt wissen, bevor sie über Efas abstimmt?

Dass Efas nicht die versprochene Entlastung bringt, sondern Risiken birgt. Statt das Gesundheitssystem zu verbessern, könnten Prämien steigen und die Pflegequalität leiden. Was zudem ganz bestimmt steigen wird, ist die Kostenbeteiligung der Versicherten. Efas verschiebt die finanzielle Verantwortung von den Kantonen zu den Versicherten und stärkt die Macht der Versicherer. Ein solidarisches Gesundheitssystem sollte die Lasten gerecht verteilen und die Pflege stärken. Deshalb sollten wir diese Vorlage ablehnen und uns für echte, nachhaltige Verbesserungen einsetzen.