- Serie zur Asylpolitik – Teil 2
Echte Flüchtlinge sind Kommunismus-Flüchtlinge
Asylpolitik und Arbeitsmigration sind seit Anfang der 1980er-Jahre grundsätzlich in zwei unterschiedlichen Gesetzen geregelt. Und dennoch werden die Bereiche immer wieder vermischt. Und das nicht nur von der SVP. Ein aktuelles Paradebeispiel: das im ersten Teil dieser Serie erwähnte NZZ-Interview von FDP-Präsident Thierry Burkart. Plädiert Burkart zuerst für eine griffige Schutzklausel bezüglich der EU-Zuwanderung, bricht er danach unvermittelt in eine pauschale Schimpfrede gegen die «Asylmigration» aus: «Die schiere Masse junger Männer aus muslimischen Ländern kann unsere freiheitliche Gesellschaft zersetzen.» Die religiös und kulturalistisch geprägte Angst vor der «Überfremdung» feiert Urständ.
Bereits 1917 hatte die Schweiz diese Überfremdungsangst mit der Gründung der Fremdenpolizei auch institutionalisiert. Das hatte schon im Zweiten Weltkrieg Folgen. Der Bergier-Bericht führt aus, dass die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs über 20 000 Flüchtlinge an der Grenze abwies, zudem lehnte sie 14 500 Einreisegesuche ab. Besonders erschreckend dabei: Der Entscheid der Behörden im Sommer 1942, «Flüchtlinge nur aus Rassegründen» seien ganz grundsätzlich wegzuweisen. Hier verband sich die allgemeine «Überfremdungsangst» mit einem weitverbreiteten Antisemitismus.
Ausser den Kommunismus-Flüchtlingen…
Ganz anders als im Zweiten Weltkrieg präsentierte sich dann die Lage im Kalten Krieg. während die Angst vor «Überfremdung» durch die italienischen Arbeiter politisch in die Schwarzenbach-Initiative mündete, prägten nun politische und ideologische Überlegungen die Asylpolitik. Die Aufnahme Geflüchteter aus dem Ostblock war ein politisches Statement gegen den Sowjetkommunismus. So fanden 1956 nach dem Volksaufstand in Ungarn innert eines Monats 10 000 Geflüchtete Asyl, 3000 weitere folgten danach. Für die Anerkennung als Flüchtling genügt es auch später de facto, aus einem kommunistischen Land zu kommen.
1961 nahm die Schweiz als allererster europäischer Staat tibetische Flüchtlinge auf, die aus dem kommunistischen China geflüchtet waren, ein Kontingent von 1000 Tibeter:innen bewilligte der Bundesrat zwei Jahre später (lehnte aber die Bitte des Dalai Lama um höhere Kontingente ab). Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 wurden 13 000 Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei offiziell mit offenen Armen aufgenommen. Ab 1978 folgten 8000 Indochinaflüchtlinge und 1981 dann 2000 via Österreich aus dem kommunistischen Polen Geflüchtete.
«Aus der Entwicklung des Flüchtlingswesens während des Zweiten Weltkriegs ergibt sich der Schluss, dass die Schweiz ausländische Flüchtlinge, das heisst Menschen, die wegen ernsthafter Gefahr für Leib und Leben in unserem Lande Zuflucht suchen möchten, so lange aufnehmen sollte, als ihr das möglich ist», hatte dazu passend der Bundesrat Anfang 1957 in einem Bericht festgehalten.
Allerdings galt diese humanitäre Neuausrichtung nur selektiv: für Kommunismus-Flüchtlinge aus Osteuropa, Indochina und für Tibeter. Parallel zum Entscheid, die Ungarnflüchtlinge aufzunehmen, hatte der Bundesrat nämlich eine kollektive Aufnahme (ausgerechnet!) ägyptischer Jüd:innen abgelehnt, welche nach der Suezkrise in Ägypten verfolgt wurden.
…kommen immer nur
die ‹Falschen›
Bekannter ist die Situation der Chile-Flüchtlinge – auch weil sie gewissermassen den Startpunkt der neueren Asylbewegung bildet. Die demokratische Wahl von Salvador Allende zum Präsidenten Chiles 1970 war für Linke der Start in ein wichtiges Experiment für einen dritten Weg neben Kapitalismus und autoritärem Sowjetsozialismus – samt computerunterstützter kybernetischer Produktionssteuerung. Umso grösser die Angst des Bundesrates vor den linken Flüchtlingen nach Pinochets Militärputsch. Sein Kalkül, den Appellen des UNHCR, der Gewerkschaften, Linken, Kirchen mit einer Sonderaktion für die Aufnahme von 200 Flüchtlingen begegnen zu können, ging nicht auf. Im Gegenteil: Der Protest der neu gegründeten Freiplatzaktion gegen diese Erbsenzählerei wurde von vielen geteilt. Und die kreativen Aktionen zivilen Ungehorsams zugunsten der Chile-Flüchtlinge begründeten die moderne Schweizer Asylbewegung.
Beim Widerstand gegen die nächsten Flüchtlingsgruppen standen dann am Anfang immer wieder die alten ‹Überfremdungs›-Ängste im Zentrum. So galten die Tamil:innen in den 1980er-Jahren als Drogenhändler und kulturfremd. Mit der Zeit änderte sich dann die Wahrnehmung – heute wird teils gar von den «Schweizern des mittleren Ostens» gesprochen. Der Stab der wirklich Fremden wird jeweils an die nächste Flüchtlingsgruppe weitergereicht. Das galt für die Türk:innen und Kurd:innen, für die Flüchtlinge aus Bosnien und vor allem aus dem Kosovo, und Anfang Jahrtausend für jene aus Eritrea, Syrien und Afghanistan.
Ukraine-Hilfe als Lichtblick
Eine riesige positive Ausnahme stellte der Umgang der Schweizer Bevölkerung mit den Menschen dar, die aus der Ukraine vor dem russischen Angriffskrieg flüchteten. Auch der Bundesrat reagierte mit der Anrufung des Schutzstatus S rasch und richtig, Das ermöglichte sofort die Familienzusammenführungen, bewahrte die Reisefreiheit und erlaubte die Aufnahme einer Erwerbsarbeit. Auch dank einer enormen Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung war es möglich, allein bis Ende 2022 über 70 000 Ukrainer:innen aufzunehmen.
Dass die Flüchtlinge so rasch und oft in privaten Unterkünften Schutz finden konnten, hat ganz wesentlich mit den Bedingungen der Einreise zu tun. Stellen wir uns vor, wenn die Ukrainer:innen nicht über Visafreiheit verfügt hätten! Dann hätten sie sich alle zuerst in die Schweiz schmuggeln lassen müssen…
Eine nächste Folge wird sich genau mit der Visumsproblematik befassen und mit der wiederkehrenden Idee, den Flüchtlingsschutz auszulagern.