- Kultur
Durchschnitt
Aus einer Wusst-ichs-doch-Perspektive über das Wesen der sogenannten heutigen Jugend bedient Julia Steiner in «Warum du morgen noch leben könntest» natürlich auch sämtliche Vorverurteilungen: Nach einer halben Stunde Programm folgen bereits zwanzig Minuten Pause und sie beschäftigt sich vordergründig auch ausschliesslich mit ihrer eigenen Befindlichkeit. Pech für die, die ihr Augenmerk darauf bescheiden, es gar nicht so genau wissen zu wollen. Denn die heute 25-Jährige verkörpert klar zuallererst sich selbst, also auch das Gefühl einer ganzen Generation. Einer, die mit grösstmöglicher elterlicher Erwartung und Liebesbekundungen im Austausch gegen Höchstleistungen aufgewachsen ist und sich selbst darüber beinahe verloren hätte. Gerade, weil reihum alle anderen damit nachgerade formidabel zurechtzukommen scheinen. Sie aber, der im Alter von neun Jahren leidenschaftliche Liebesbriefe inklusive Blumengruss und einem charmanten Lächeln persönlich überreicht worden waren, findet sich im heutigen Tinderanbandeln vollkommen verloren wieder. Bereits drei Jahre zuvor träumte sie nach dem überraschenden Hinschied ihres Vaters davon, am nächsten Morgen auch nicht wieder aufwachen zu müssen, wogegen ihr die Mutter zwei, drei banal erscheinende Handreichungen lehrte, auf die sie, noch keine Zwanzig, glücklicherweise zurückgreifen konnte, als sich ihr bester Freund jäh verabschiedete. Sanft, charmant, beinahe beiläufig parliert sie über scheinbar allzu Alltägliches, dekonstruiert ihr ehedem heroisches Selbstwertgefühl in Richtung einer Durchschnittlichkeit und entwickelt daraus erst eine Wahrhaftigkeit. Stark sein, Mut haben, Reüssieren müssen erkennt sie aus einer kurzen Distanz als unnützen Druck, dem nachzugeben, sehr viel weniger erspriesslich ist, als zu lernen, die Ambivalenzen auszuhalten und über kurz oder lang darüber eine (Lebens-)Freude zu entwickeln. Oder: Empowerment.
«Warum du morgen noch leben könntest», 7.4., Kaufleuten, Zürich.