Dumm ist gut

Ich zum Beispiel war ja eine total günstige Kantonsrätin. Abgesehen von den Sitzungsgeldern habe ich die Verwaltung und die Steuerzahlenden des Kantons Zürich kaum Zeit und Geld gekostet mit meinen gerade mal 5 Vorstössen innerhalb von 7 Jahren. Was für ein bescheidener Leistungsausweis, werdet ihr jetzt denken, aber ihr kennt eben Fabio Abate nicht. Er hätte seine helle Freude an mir. Der freisinnige Ständerat aus dem Tessin hat nämlich ein Postulat mit dem Titel «Wehret der Vorstossflut» eingereicht. Er zeigt sich besorgt ob der exponentiell ansteigenden Zahl der Vorstösse, die «inhaltlich oft völlig unbedeutend» seien und nur die Verwaltung unter Druck setzen und Geld kosten.

Felix E. Müller machte letzten Sonntag in der NZZ dann den gleichen Denkfehler – wobei es mehr ist als das, aber dazu später – und lässt sich, ausgehend von der Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen, dazu hinreissen, gegen unnötige Initiativen zu wüten, die unberechtigterweise Verwaltung, Parteien, das Parlament, die Medien und schliesslich die Stimmbevölkerung belästigen und keineswegs aus inhaltlichen Gründen den Weg in die öffentliche Debatte finden, sondern nur deshalb, weil die Zahl der zu sammelnden 100 000 Unterschriften mittlerweile «lächerlich gering» sei (Sie haben noch nie für eine Initiative gesammelt, gell Herr Müller?).

Während Herr Abate anlässlich eines Interviews in der ‹Tagesschau› so ehrlich war zu sagen, dass er auch nicht wisse, wie die Vorstossflut zu begrenzen sei, hat Herr Müller da eine ganz klare Vorstellung, wie man sich endlich wieder den wichtigen Themen anstelle dieser idealistischen Initiativen widmen kann: «Zum Beispiel eine dringend notwendige Revision der Schweizer Volksrechte mit dem Ziel, die Zahl überflüssiger Initiativen und Referenden zu begrenzen».

Nicht dass ihr mich jetzt falsch versteht. Es gibt furchtbar dumme Vorstösse auf allen föderalistischen Ebenen unseres Landes und ebenso dumme Initiativen, auf die ich, ganz persönlich, getrost hätte verzichten können. Auch ich lese dann etwas belustigt die Artikel von Medienschaffenden, die ganz besonders idiotische Anfragen ausgegraben haben (und damit meine ich noch nicht einmal die tanzenden Derwisch-Heuhaufen, obwohl, der war wirklich gut), um regelmässig wieder in Erinnerung zu rufen, dass Politikerinnen und Politiker auch ein bisschen blöd sind.

Blöd ist aber vor allem diese Diskussion darüber, wie man überflüssige und unbedeutende Vorstösse und Initiativen verhindern könnte. Man kann nämlich nicht. Und man soll auch nicht. Würde man es trotzdem versuchen, müsste man – und das wäre die einzige Lösung – festlegen, was genau überflüssig, unbedeutend und dumm ist. Also so, wie das in autoritären Systemen üblich ist, in denen eine kleine Elite darüber entscheidet, was diskutiert wird und was nicht.

In einer Demokratie sehen wir das freilich etwas anders. «Das Einreichen von Vorstössen gehört zu den unantastbaren Rechten der Mitglieder des Grossen Rates», sagte der Regierungssprecher des Kantons Aargau. Im Kanton Aargau wird nämlich in jeder Antwort auf einen Vorstoss auch noch festgehalten, was es gekostet hat. Und auch wenn sich jetzt vielleicht dieser oder jene Aargauer GrossrätIn gelegentlich ein bisschen schämen, weil sie für Tausende von Franken einen Seich gefragt haben, ist es ihr Recht, es zu tun. Und ebenso ist es das Recht jeder Bürgerin, jedes Bürgers und jeder Gruppierung und Partei unseres Landes, eine Initiative zu lancieren. Abate und vor allem Müller machen deshalb nicht einfach einen Denkfehler. Sie machen etwas weitaus Schlimmeres, indem sie ihre persönliche – und durchaus elitäre – Meinung gefährlich unüberlegt über grundlegende demokratische Rechte stellen.

Genau diese Demokratie lässt es zu, dass dumme Initiativen lanciert werden, dass Ständeräte dumme Vorstösse einreichen und Journalisten dumme Artikel schreiben. Und das ist gut so.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.