- Gemeinderat
Drei Männer auf dem Bock
Es ist stets eine spezielle Sitzung, jene, die den Beginn eines neuen Amtsjahres einläutet: Sie beginnt früher und dauert nur halb so lang wie üblich, und ausser den Wahlen des Präsidiums und der Geschäftsleitung gibt es kaum Traktanden. Auch Fraktions- und persönliche Erklärungen sind eher ungern gesehen, wobei es, wie bei jeder ungeschriebenen Regel, auch hier Ausnahmen gibt. Erinnert sei etwa an die denkwürdige Sitzung vom 10. Mai 2023, als Sofia Karakostas (SP) Präsidentin wurde: Damals verlas Samuel Balsiger (SVP) eine Fraktionserklärung zum 1. Mai, beziehungsweise eine Danksagung an «die Frontpolizisten», und betonte, die Gewalt gehe von den «militanten Linksextremisten» aus. Worauf sich, kein Wunder bei diesem Thema, eine längere Abfolge von persönlichen Erklärungen ergab.
Ein Kurzkommentar im P.S. vom 12. Mai 2023 schloss mit dem Hinweis, man könne es den Männern (es meldeten sich tatsächlich nur Männer zu Wort) nicht mal übel nehmen, Zitat, «schliesslich bekommen sie dafür jede Menge Medienpräsenz. Die NZZ von gestern Donnerstag bringt es denn auch fertig, den Ratsbericht ausschliesslich diesem Thema zu widmen. Neues Amtsjahr? Wahl des neuen Präsidiums? Traditioneller festlicher Empfang, der sich wegen des 1. Mai-Knatsches verspätete? Offensichtlich nicht berichtenswert für die NZZ. Aber wer den Linken vorwirft, sie nähmen Linksextreme in Schutz, ist garantiert immer auf Sendung…
7 Stunden 32 Minuten Samuel Balsiger
Damit zurück zur Sitzung vom Mittwoch, denn auch hier gab es eingangs ein paar Voten, und auch hier standen die Männer im Fokus: Serap Kahriman (GLP) widmete sich dem gleichentags erschienenen Tätigkeitsbericht des Gemeinderats, beziehungsweise der darin enthaltenen Auswertung der Wortmeldungen. Sie wandte sich mit den Worten an die «geschätzten Herren», heute sei ein «historischer Tag». Es habe sich nämlich «überraschenderweise» herausgestellt, dass Männer hier im Rat verhältnismässig mehr redeten als Frauen. 2034 Wortmeldungen von Männern stünden 868 Wortmeldungen von Frauen gegenüber. Sodann gratulierte sie dem Trio an der Spitze der Tabelle «Gesamte Rededauer pro Person»: «Michael Schmid (AL) 3 Stunden 9 Minuten, Balz Bürgisser (Grüne) 3 Stunden 16 Minuten, und auf dem ersten Platz, mit grossem Abstand, Samuel Balsiger (SVP) mit 7 Stunden 32 Minuten.» Das konnte Balsiger selbstverständlich nicht so stehen lassen. Wenn von der linken Seite «Unsinn» komme, müsse die SVP halt das Wort ergreifen und diesen Unsinn abwehren. Offenbar bestimmt die SVP beziehungsweise Samuel Balsiger, was «Unsinn» ist und was es dagegen zu unternehmen gilt … Martina Zürcher (FDP) erklärte, das Votum von Serap Kahriman sei «unangebracht für die konstituierende Sitzung» und obendrein sexistisch. Tanja Maag fügte an, die Frauen sollten mehr reden, damit die Liste nächstes Jahr anders aussehe.
Abgang mit Augenzwinkern
Es folgte die Abschiedsrede des abtretenden Präsidenten Guy Krayenbühl, der von einem «speziellen Moment» sprach, das letzte Mal auf dem Bock zu sitzen. Er leide wohl schon ein wenig an einer post-präsidialen Depression, sagte er mit einem Augenzwinkern. Nun ernsthaft fügte er mit Verweis auf den Tätigkeitsbericht an, dass der Gemeinderat während seines Präsidialjahres gut gearbeitet habe. Es sei zwar durchaus gestritten worden, «aber meist fair». Den Dank an alle gab Stadtpräsidentin Corine Mauch ihm zurück und erinnerte daran, dass sich alle «mehr Effizienz» vornähmen, Guy Krayenbühl jedoch habe diesbezüglich «Nägel mit Köpfen» gemacht.
Dann schritt der Rat zu den Wahlen, und wie erwartet, kam es hier zu keinem «Merz-Moment»: Zum neuen Ratspräsidenten wählte das Parlament mit 86 Stimmen den bisherigen 1. Vize Christian Huser (FDP), zum neuen 1. Vize den bisherigen 2. Vize Ivo Bieri (SP) mit 87 Stimmen und zum neuen 2. Vize Christian Traber (Die Mitte) mit 84 Stimmen. Diese Resultate zeugen nicht von allzuviel Vorschussvertrauen: Sofia Karakostas war vor zwei Jahren mit sehr guten 108 Stimmen gewählt worden. Letztes Jahr kam Guy Krayenbühl als neuer Präsident auf 100 Stimmen, Christian Huser als 1. Vize auf 91 und Ivo Bieri als 2. Vize auf 96 Stimmen.
«Eine grosse Ehre und Freude»
In seiner Antrittsrede sagte Christian Huser, es sei ihm «eine grosse Ehre und Freude», dieses Jahr Präsident zu sein. Es sei eine «herausfordernde Zeit» mit dem Krieg in Europa und im Nahen Osten, mit der Situation in den USA, den Zöllen, mit Migration, Klimawandel, Überalterung und in Zürich mit dem Wohnungsmangel und der Verdrängung des Gewerbes aus der Stadt. Es gelte deshalb, «unserer demokratischen Institution» Sorge zu tragen, respektvoll zu debattieren und einander «sehr gut» zuzuhören. Er betonte sodann, der Norden Zürichs liege ihm nah: Geboren in Schwamendingen, lebe er nun seit über 30 Jahren in Seebach. «Es ist mir ein Anliegen, dass die Stadtregierung diesem stark wachsenden Gebiet die adäquate Beachtung schenkt.» Er selber habe ursprünglich Buch- und Offsetdrucker gelernt und sich danach weitergebildet. Das duale Bildungssystem in der Schweiz sei «weltweit einmalig», fuhr Christian Huser fort, und müsse unbedingt erhalten werden. Aber auch das Gewerbe, insbesondere die KMU, seien ihm als Unternehmer und ehemaligem langjährigem Präsident des Gewerbevereins Seebach und des Wirtschaftsraums Zürich-Nord sehr wichtig: «Das Gewerbe muss trotz Wohnungsboom noch Platz finden in unserer Stadt.» Er werde alles daran setzen, «dass wir gemeinsam ein weiteres spannendes und erfolgreiches Jahr für unsere Stadt haben», schloss er und dankte allen fürs Vertrauen. Nachtrag: Die NZZ berichtete gestern Donnerstag tatsächlich mal wieder über die konstituierende Sitzung. Aber der neue Ratspräsident ist ja auch ein FDPler.