- Gedanken zur Woche
Doch noch spannend
Noch vor ein paar Wochen schienen die Stadtratswahlen zum Gähnen, jetzt ist Spannung aufgekommen. Letzte Woche hat Filippo Leutenegger bekannt gegeben, dass er bei den kommenden Wahlen nicht wieder antreten werde. Am Montag traten die vier SP-Stadträt:innen vor die Presse. Dabei teilten Stadtpräsidentin Corine Mauch und Stadtrat André Odermatt den Verzicht auf eine erneute Kandidatur mit. Simone Brander und Raphael Golta wollen wieder kandidieren.
Corine Mauch ist die erste Stadtpräsidentin Zürichs. Sie gewann eine Ersatzwahl nach dem Rücktritt von Elmar Ledergerber gegen die FDP-Stadträtin Kathrin Martelli und wurde danach immer glanzvoll wiedergewählt. Sie stand zu Beginn unter erhöhter Beobachtung und Kritik, wie sie auch selber in einem Interview mit dem ‹Tages-Anzeiger› ausführte: «Als ich 2009 als erste Frau ins Zürcher Stadtpräsidium gewählt wurde, entsprach ich nicht dem gängigen Bild eines Stadtoberhaupts. Ich hatte das Gefühl, man beobachte mich besonders kritisch, weil ich eine Frau bin, und schlachte jeden noch so kleinsten Fehler aus.» Tatsächlich wurde Mauch zu Beginn oft kritisiert und als «graue Mauch» bezeichnet. Der Vorwurf war schon damals für alle, die Corine Mauch im Gemeinderat erlebt haben, absurd. Ganz im Gegenteil: Corine Mauch entpuppte sich als perfekte Repräsentantin des modernen postzwinglianischen Zürichs. Sie setzte sich für Gleichstellung ein, für mehr Frauen im städtischen Kader. Aber auch für eine moderne Gleichstellung, die über diejenige von Mann und Frau hinausgeht.
Corine Mauchs Zürich war auch immer international. Das machte der Partei Freude, wenn sie sich fürs Ausländerstimmrecht stark machte, und etwas weniger, wenn sie dies für die Standortförderung tat. Kulturpolitisch musste sie sich teilweise Gegenwind stellen: Die Schliessung des Strauhofs sorgte bei Kulturinteressierten für Empörung, die Kontroverse rund um die Bührle-Sammlung im Neubau des Kunsthauses ist immer noch nicht ausgestanden. Für Corine Mauchs Nachfolge gibt es eine Reihe von Interessierten, mit Spannung wird insbesondere die Entscheidung von Stadtrat Raphael Golta erwartet.
Fast genauso lange im Amt wie Corine Mauch ist André Odermatt, der schon im Gemeinderat ein enger Weggefährte von Corine Mauch war. Odermatt ist seit Beginn Vorsteher des Hochbaudepartements. Seit seiner Amtszeit wurden etliche städtische Wohnsiedlungen gebaut, darunter die Rautistrasse, Kronenwiese, Hornbach, Leutschenbach und neu das Tramdepot Hard. Damit sind über 1100 neue bezahlbare Wohnungen entstanden. Ebenfalls investiert wurden in neue Schulhäuser.
Der konziliante und unaufgeregte Odermatt schaffte es auch, eine Revision der Bau- und Zonenordnung ohne grosse Aufregung durch den Gemeinderat zu bringen, ebenso wie den kommunalen Siedlungsrichtplan. Schon immer hatte er auch einen Sinn für grüne Anliegen, nachhaltiges Bauen und Klimamassnahmen.
Odermatts Freundlichkeit und Konzilianz wurde aber auch immer wieder von links, insbesondere auch von der AL, kritisiert. Er zeige bei Verhandlungen mit Investoren zu wenig Biss, kämpfe dort zu wenig hartnäckig für gemeinnützige Wohnungen. Ein Beispiel dafür ist die Neugass-Initiative. Auf diesem Areal wollten die SBB Wohnungen bauen. Der Stadtrat hat mit den SBB einen Teil gemeinnütziger Wohnungen vereinbart, doch das reichte vielen nicht. Eine Initiative forderte hundert Prozent gemeinnütziger Wohnungen und wurde von der Stadtbevölkerung angenommen. Auch die SP hatte diese unterstützt, gegen den Willen von Odermatt. Die SBB nutzen das Areal nun wieder für den Bahnbetrieb. Auch beim Fussballstadion hatte Odermatt kein Glück. Die Stimmbevölkerung lehnte das städtische Stadionprojekt ab. Das Nachfolgeprojekt ist bis heute wegen Einsprachen noch nicht realisiert.
Bereits früher hatten die grünen Stadträt:innen Daniel Leupi und Karin Rykart ihre Wiederkandidaturen bekannt gegeben, genauso wie Andreas Hauri (GLP). Wenn alle bisherigen Stadträte wiedergewählt würden, sind damit drei Vakanzen sowie das Stadtpräsidium neu zu besetzen. Das beschert eine spannende Ausgangslage. Die FDP hat angedeutet, dass sie mit drei Kandidaturen ins Rennen steigen will. Stadtrat Michael Baumer hat schon angekündigt, dass er Interesse an einer Kandidatur fürs Stadtpräsidium habe. Dabei geht es aber wohl vor allem darum, die Wiederwahl zu sichern, die beim letzten Mal nur sehr knapp gelang. Sollten die Bürgerlichen wirklich die Ambition haben, das Stadtpräsidium zu erobern, müssten sie sich aber auf eine Person einigen, die vielleicht etwas mehr öffentliche Strahlkraft hat. Die SP hat gute Chancen, das Stadtpräsidium zu verteidigen. Eine gewisse Konkurrenz könnten die Grünen darstellen, dort hat Daniel Leupi, dem man immer Ambitionen nachgesagt hat, eigentlich schon abgewinkt. Die Geschlechterfrage stellt sich bei der Kandidatur für die SP nicht akut, da sie bereits die erste Stadtpräsidentin gestellt hat. Der Verzicht auf eine Frauenkandidatur könnte aber für die Konkurrenz durchaus Chancen eröffnen.
Die GLP hat bereits früher angekündigt, mit zwei Kandidaturen ins Stadtratsrennen zu steigen. Wer hier antritt ist aber noch unsicher. Mit einer guten Kandidatur hätte sie intakte Chancen, der FDP einen Sitz abzunehmen. Ob aber ihre prominentesten Aushängeschilder wie Ständerätin Tiana Angelina Moser oder Nationalrätin Corina Gredig kandidieren würden, ist eher unwahrscheinlich. Das Problem der fehlenden Bündnisfähigkeit bleibt indes der GLP erhalten. Für eine erfolgreiche Kandidatur müsste die GLP über ihre eigene Partei hinaus mobilisieren können, also entweder bei den Bürgerlichen oder den Linken Stimmen holen. In der Stadt Bern begab sich die GLP in ein bürgerliches Bündnis, inklusive der SVP, was ihr bei der Parlamentswahl Stimmen kostete. Melanie Mettler gewann einen Sitz auf Kosten der Mitte. Rotgrünmitte konnte wider Erwarten vier Sitze verteidigen – die Stadtberner Exekutive ist also insgesamt nach links gerückt. Diese Bündnisse sind aber dem Berner Wahlsystem geschuldet (Proporz).
Während SP, FDP und GLP mit frischen Gesichtern in den Wahlkampf starten können, werden die Grünen mit zwei Bisherigen antreten. Damit sichern sie sich vermutlich ihre zwei Sitze, verpassen aber die Erneuerung, die vielleicht in vier Jahren schwieriger wird, als sie es heute wäre. Das könnte die Partei höchstens kompensieren, wenn sie mit drei Kandidaturen antreten würde, was aber angesichts des sinkenden Wähler:innenanteils auch als vermessen angesehen werden könnte. Noch unklar ist, was die AL macht. Sie verpasste bei den letzten Wahlen mit Walter Angst den Wiedereinzug in den Stadtrat nur knapp, auch sie könnte mit einer guten Kandidatur den freiwerdenden FDP-Sitz beerben.