Diplomatischer Bittstellergang

Das internationale Zusammentragen von Leihgaben für eine Ausstellung zum Hieronymus Bosch-Jubiläum in dessen Heimatstadt wird zum vielschichtigen Krimi.

 

Noch erhaltene Gemälde des niederländischen Meisters Hieronymus Bosch (Jheronimus van Aken, ca 1450 bis 1516) gibt es je nach Zählart noch zwei Dutzend bis 30 Stück. Je nachdem, ob beispielsweise das Triptychon «Garten der Lüste» mit Seitenflügeln als eines oder fünf Werke gezählt wird. Aber das ist für den Kurator Matt­hjis Ilsink und sein vierköpfiges Team die geringste Sorge, wie Pieter von Hystees filmische Langzeitbegleitung dieses Unterfangens auf hochspannende Weise zeigt.

Offenbar einigte man sich in den 1930er-Jahren international kunsthistorisch darauf, dass «Die Kreuzigung in Gent» künftig als Referenzwerk zu gelten habe, wenn bestimmt werden sollte, welche Werke Hieronymus Bosch zugeschrieben werden können und welche aus eben diesem Katalog raus müssen. Augenscheinlich waren es damals recht viele, die seither nicht mehr als aus des Meisters Hand geschaffen gelten. Und die Unsicherheit darüber ist erkennbar gross, ob, welche und wie viele der damals dieser Prüfung standgehalten habende Werke eine heute erneut durchgeführte Prüfung mit sehr viel raffinierteren und präziseren technischen Mittel mit demselben Resultat überstehen würden. Im Prolog des Films erklärt der Restautor Luuk Hoogstede, dass er anhand der Jahresringe im Holz der Gemälde feststellen kann, ob der Baum zu Lebzeiten von Bosch überhaupt schon gefällt gewesen war. Was bei Verneinung eine mittelprächtige Katastrophe für die Eigner wäre.

 

 

Diplomatie und Macht

Der bedeutendste Eigner von Bosch-Gemälden ist der spanische Staat, der die meisten im Prado in Madrid ausstellt, wohin auch die erste Reise geht. Beim Erstkontakt mit der Chefkuratorin ist sofort klar, über welchen Status diese angereisten Bittsteller verfügen. Sie mag es nicht, wenn die Seitenflügel von «Garten der Lüste» geschlossen werden, also ist es verboten. Glücklicherweise kommt das Team aus ausgewiesenen Fachpersonen irgendwann auch noch bis zum Direktor durch, der neben der ohnehin schon ausufernd komplizierten Bürokratie die letzte, aber auch grösste Hürde darstellt. Gottähnlich im Selbstbewusstsein, lässt er sich in seinen Aussagen niemals vorschnell festlegen. Das führt zur köstlichen Unterhaltung, die frei übersetzt ungefähr so geht: Matt­hjis Ilsink: «Haben Sie schon beschlossen, ob wir ‹Die 7 Todsünden› oder ‹Der Garten der Lüste› untersuchen dürfen?» Prado-Direktor: Schweigt vielsagend. Matthjis Ilsink: «Haben Sie schon erwogen, zu beschliessen, ob wir allenfalls diese Untersuchungen werden durchführen können?» Prado-Direktor: «Das ist Zukunftsmusik». Ende der Unterhaltung. Was Betrachtende eher amüsiert, ist in der Realität knallharte Interessenpolitik, wie das auch ein zweites Beispiel im Dogenpalast in Venedig veranschaulicht. Der Direktor der Accademia dell’Arte wäre entzückt, sein Gemälde «Visionen des Jenseits» für diese Jubiläumsausstellung ausleihen zu dürfen, «aber so unrestauriert kann es unmöglich auf Reisen». Etwas leiser fügt er an, dass ihm dazu aber leider, leider die Mittel fehlten und beteuert erneut sein Interesse an einer Zusammenarbeit. Also muss das niederländische Team schnell, schnell 300 Tausend Euro für die Restaurierung auftreiben…

 

 

Kampf um Deutungshoheit

Drei überaus erfreulichen Entdeckungen, die der Film begleitet, steht ein Vielfaches an Ängsten und Bedrohungen gegenüber. Den fünf mit neuster Technik und dem aktuellsten Wissen ausgestatteten Fachleute steht nicht nur der Dünkel etwa des Prado gegenüber, der selber über das bestausgestattete Labor Europas verfügt und darum nicht einsieht, weshalb jemand anderes ihre Bilder untersuchen sollte. Aber auch mehrere Hundertschaften von ArbeitskollegInnen weltweit würden augenblicklich allfällige von der bisherigen Deutung abweichende Resultate des Teams anfechten und wissenschaftlich auf deren Unumstösslichkeit hin überprüfen wollen. So ist sich Matthjis Ilsink über die Bedeutung ihrer Forschung wiewohl auch der Wortwahl mit sehr grossem Respekt bewusst. Denn dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliessen können, dass das Referenzbild für die Bosch-Echtheit «Die Kreuzigung von Gent» aus dessen Werkstatt aber höchstwahrscheinlich nicht von ihm selbst stammt, muss mehrfach belegt werden, bevor er das an die grosse Glocke hängt. Dafür konnte das Team den «Heiligen Antonius» im Museum von Kansas City überraschend eine höchstwahrscheinliche Echtheit attestieren, ebenso einer Zeichnung einer Privatperson, und nach achtmonatiger Reinigung unter dem Mikroskop konnte die Vermutung des Hintergrundes für die «Heilige Kümmernis» in eine Gewissheit überführt werden: Ein Bartschatten am Kinn der Gekreuzigten ist unverkennbar freigelegt worden. Ein Film wie ein Krimi.

 

«Jheronimus Bosch – Touched by the Devil» spielt im Kino Arthouse Piccadilly. «Hieronimus Bosch – The Garden of Dreams» spielt weiterhin als Sonntagsmatinée um 13h im Kino Arthouse Alba.

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