«Dingsda»-Übung
Publikumserwartung, Werktreue, Sinnverpflichtung und Dringlichkeit werden von René Pollesch ebenso ad absurdum geführt wie Theaterhierarchie, Spielerbefindlichkeit, Starvergötterung und Perfektionsdrang.
Ein geraffter roter Vorhang wird hinter dem Spielfeld Bühne ganz geruhsam in die Höhe gezogen und immer noch höher hinauf in die endlosen Weiten des Schnürbodens, bis er komplett ausgefahren ist – und fährt dann genauso wieder herunter. An sich ein Moment für Szenenapplaus, denn in dieser gefühlten kleinen Ewigkeit steckt alles, was René Pollesch mit «Bühne frei für Mick Levcik!» verhandelt und zuletzt immer Komik meint. Das vierköpfige Ensemble fragt sich dauernd, «worum gehts in diesem Stück eigentlich?», und fährt sich vergleichbar häufig gegenseitig rügend über den Mund mit «Du sollst nicht alles sprechen, was Dir durch den Kopf geht.» Denn Theater ist sowieso vergebene Liebesmüh, also kann diese Liebesmüh gleich direkt thematisiert und vielstimmig paraphrasiert werden. «Bühne frei für Mick Levcik!» darf also weder Sinn ergeben noch nach üblichen Theaterregeln funktionieren, es muss sperrig sein und möglichst ungelenk wirken und dabei Kurzweil vorgaukeln, als wärs ein Taschenspielertrick. Dass die vier dazu in hyperintellektuellstes Geschwafel verfallen und ehrfürchtigen Ernst mimen müssen, gehört zur Fallhöhe, die Komik benötigt. Ein Brechtstück soll wiederaufgeführt werden, penibel nach den Vorgaben im ebensolchen «Musterbuch». Das Ensemble will trotzdem eigene Ideen einbringen, der Chor hat keine Lust auf die Rolle als altes Weib. Die inzestuöse Theaterfamilie liebäugelt mit der kompletten Absetzung des Stücks, das wäre billiger, und beklagt gleichzeitig den fehlenden Witz von Geld. Erst das laute Klatschen der Souffleuse Rita von Horváth, verbunden mit nahezu gebellten Mahnungen zur Contenance, vermag den Abend mehrmals vor dem kompletten Überborden zu retten. Eine Fingerübung, die aber dummerweise sehr klug und beim erstmaligen Anflug einer Ermüdung durch Wiederholung auch schon zu Ende ist. René Pollesch glückt hier eine nichtlustige Komödie, die mit allen Schlagworten der jüngeren Vergangenheit von Regietheater bis Transparenz jongliert. Jirka Zett, Nils Kahnwald, Marie Rosa Tietjen und Sophie Rois führen sämtliche Debatten gleich selbst auf der Bühne. Die Enttäuschung des Publikums wird eigenmächtig vorweggenommen, der ewige Streit um bewusstes Spiel versus gefühlten Ausdruck als die einzig wahre Schauspielmethode erfährt eine Wiederaufnahme, und das Banalste also das Schwierigste kapieren sie sogar in Echtzeit theoretisch. Nur dass letzteres eben einen unlösbaren Widerspruch darstellt. Eigene Schöpfungsleistung von Kunst und «wir müssen uns einfach an alles halten» schliessen sich aus. Genauso wie der kluge ironische Hintersinn dieses Abends ganz sicher das angestammte Publikum tendenziell ratlos zurücklässt. Zumindest nach der Premiere gab es eine klare Applausscheide: Von den billigen Plätzen johlte es enthusiastisch, während sich die vorderen Aboreihen nicht über die Anstandsverpflichtung des Handaneinanderschlagens hinaus dafür begeistern konnten. Eine grosse Ironie besteht darin, dass «Bühne frei für Mick Levcik!» ein dermassen grosses, assoziatives Füllhorn ist, dass in den rund siebzig Minuten für alle Geschmäcker etwas dabei ist, was wiederum allen nicht recht ist und es diese kokette Fingerübung gerade darum nicht schaffen wird, den Pfauen mit Publikum zu füllen. Und das ist eben schade – alias eine sich selbsterfüllende Prophezeihung, die für einmal auf sämtliche konstruktiven Wünsche, Forderungen und Einwürfe einzugehen vorgibt, um jegliche gutgemeinte Beratschlagung für einen inhaltlich wie formal erfolgreich geführten Kunstort auf Vorrat als vergebliche Liebesmüh zu entlarven. Also entgegen der Beweisführung auf den Bühnenbrettern nicht das Theater an sich, sondern das daran Rumkritteln und das jede Kreativität mit der Erwartung einer vermeintlich immer funktionierenden Glücksherstellung mit Eindimensionalität Überfrachten. René Pollesch probt also den Aufstand gegen die uniforme Gefallssucht.
«Bühne frei für Mick Levcik!», bis 30.5., Pfauen, ZH.