Christa Meier, Vorsteherin Departement Bau und Mobilität der Stadt Winterthur (Bild: zVg)

«Dieser Richtplan ist mehrheitsfähig»

Am Montag hat der Winterthurer Stadtrat seine definitive Vorlage für einen neuen Richtplan zuhanden des Stadtparlamentes vorgestellt. Matthias Erzinger hat Stadträtin Christa Meier (SP) zur bereinigten Vorlage nach dem Einwendungsverfahren und ihren politischen Chancen befragt.

Welchen Bereich würden Sie als die zentrale Errungenschaft dieser Richtplanrevision herausheben?

Christa Meier: Allein, dass wir die erste Totalrevision seit 25 Jahren anpackten, ist eine grosse Leistung. Der bestehende Richtplan ist total veraltet und entsprechend etwas in Vergessenheit geraten. Der neue Richtplan ist nicht nur aktuell, er listet auch rund 100 konkrete Massnahmen auf, mit Zuständigkeiten und Umsetzungshorizonten. Er ist komplett neu konzipiert und viel anschaulicher und relevanter als der alte.

Der Stadtrat hält in seiner Vorlage an der «Reduktion» des individuellen Motorfahrzeugverkehrs fest. Geht es da um eine effektive Reduktion oder nur um eine relative Reduktion?

Beides. Die Zahl der Wege, welche die Bevölkerung zurücklegt, wird bis 2040 steigen. Es sind mehr Menschen, und sie sind mobiler. Der Anteil der Wege, die mit Auto zurückgelegt werden, liegt heute innerhalb der Stadt bei etwa 40 Prozent. Der Verkehr ist, neben dem Heizen, der grösste CO2-Verursacher in den Städten. Damit die vom Volk beschlossenen Klimaziele eingehalten werden, muss der Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) an den Wegen auf etwa 20 Prozent halbiert werden. Diese relative Reduktion ist so gross, dass sie auch eine effektive Reduktion der MIV-Fahrten bedeutet.

Winterthur ist eine der Städte mit der höchsten Autodichte pro Einwohner:in. Immer wieder wurde versucht, diesen Anteil zu senken, bisher vergeblich. Wie erklären Sie sich die Autofixiertheit eines Teils der Winterthurer Bevölkerung?

Das hat auch städtebauliche Gründe. Winterthur ist weniger dicht gebaut als andere Städte, wie z.B. Basel oder Genf. Je dichter eine Stadt, desto mehr ‹lohnt› sich der öV: Die Distanz zur nächsten Busstation ist kürzer.

Vor einem Jahr hat der Stadtrat einen Richtplanentwurf mit deutlich rot-grünen Schwerpunkten präsentiert. Gibt es Bereiche, wo er zugunsten des Gesamtprojektes auf einzelne Massnahmen zurückgekommen ist?

Keine wesentlichen. Es gab aus den politischen Lagern Forderungen in beide Richtungen, vor allem punkto Verkehr und Wohnen. Wir sehen das als Bestätigung, dass unser Richtplanentwurf ausgewogen ist, und haben die Stossrichtung darum beibehalten.

Im ersten Entwurf war eine Priorisierung der Verdichtung im sogenannten urbanen Rückgrat vorgesehen. Dies nicht zuletzt auch, um gewisse Quartierzonen vor einer Gentrifizierung zu schützen. Dieser Schutz wurde jetzt in der Vorlage aufgeweicht. 

Gentrifizierung, also eine Aufwertung, welche die bisherige Bevölkerung vertreibt, weil diese sich das Wohnen nicht mehr leisten kann, entsteht nicht da, wo zuviel gebaut wird, sondern wo zuwenig gebaut wird. Winterthur wächst um rund 1500 Personen pro Jahr. Es braucht neuen Wohnraum für diese Menschen. 

Wir möchten weiterhin, dass der grössere Teil davon, etwa 60 Prozent, entlang des urbanen Rückgrats gebaut wird, weil dort die ÖV-Anbindung ideal ist. Aber auch in den Quartieren muss eine massvolle Verdichtung möglich sein. Das war übrigens auch ein wichtiger Wunsch der Genossenschaften, die ihre Siedlungen weiterentwickeln möchten. Wir mussten da nichts umplanen, sondern vor allem die Formulierung etwas anpassen: Wir hatten das urbane Rückgrat vielleicht etwas überbetont.

Ein Punkt ist die Steuerung der Steuerkraft durch «hochpreisige Wohnungen». Diese Forderung steht seit etwa vierzig Jahren im Raum. 

Jede lebenswerte Stadt hat einen gesunden Mix aus verschiedenen Einkommensschichten. Es braucht also auch gehobenen Wohnraum. Den müssen wir allerdings nicht aktiv fördern: Wenn an bester Lage neu gebaut wird, wie im urbanen Rückgrat, ist die Zielgruppe für diese eher teuren Wohnlagen automatisch eine gut verdienende. Darum ist Wohnraum für Reiche im Richtplan auch kein Thema – im Gegensatz zu preisgünstigem Wohnraum.

Welche Akzente setzt der Stadtrat im Bereich Wohnen neu?

Schon im ersten Entwurf war ein Anteil von 20 bis 50 Prozent preisgünstigem Wohnraum bei Aufzonungen vorgesehen, als Teil des Mehrwertausgleichs. Wir haben die Formulierung ergänzt mit «vorzugsweise gemeinnützig». Wir können Eigentümerschaften nicht verpflichten, mit Genossenschaften zusammenzuarbeiten, aber wir können solche Kooperationen fördern.

In welchen weiteren Punkten zeichnen sich die politischen Auseinandersetzungen ab?

Die Hauptstreitpunkte haben sich im Einwendungsverfahren deutlich gezeigt. Es polarisiert vor allem der Verkehr, mit Themen wie Tempo 30 oder dem Modalsplit-Ziel. Und dann gibt es die Frage des Bevölkerungswachstums und seiner Folgen ganz allgemein. Aber Winterthur wird weiter wachsen – wie die meisten anderen Schweizer Städte auch. 

Ein Referendum aus bürgerlichen Kreisen ist nicht auszuschliessen. Wie beurteilen Sie die aktuelle politische Lage für diesen Richtplan?

Wir sind zuversichtlich, dass dieser Richtplan mehrheitsfähig ist, mit kleinen Korrekturen durchs Stadtparlament. Wie bei jedem Kompromiss wird jede Seite etwas zurückstecken müssen. Die linke bei Wohnen und bei noch weitergehenden Forderungen zu Freiräumen und Quartierangeboten, die bürgerliche Seite beim Verkehr.

Die Vorlage zuhanden des Parlamentes und der ausführliche Bericht zum Einwendungsverfahren sind zu finden unter stadt.winterthur.ch/richtplan