- Gedanken zur Woche
Diese Rösti esse ich nicht
Immer wenn man denkt, es habe sich ein Problem erledigt, so taucht es wieder auf. Neustes Beispiel ist Bundesrat Röstis Wunsch, aus dem Ausstieg aus der Atomkraft wieder auszusteigen. Die Schweiz hat 2017 mit der Energiestrategie 2050 beschlossen, schrittweise aus der Atomkraft auszusteigen. Dies war zum einen eine Reaktion auf das Reaktorunglück in Fukushima, aber letztlich auch einfach die Erkenntnis der Realität. Das Bundesamt für Energie, Verkehr und Umwelt (UVEK) schrieb 2017 in einem Faktenblatt zum Ausstieg aus der Atomenergie: «Das Verbot zum Bau neuer KKW wurde auch vor dem Hintergrund der hohen Kosten gefällt, die mit solchen Projekten verbunden sind. Aufgrund der stark gestiegenen Anforderungen an die Sicherheit und der komplexen Verfahren zum Bau solcher Anlagen können neue KKW in Europa unter marktwirtschaftlichen Bedingungen kaum mehr gebaut werden. Wegen der hohen Investitionskosten sind neue KKW derzeit weder rentabel noch wettbewerbsfähig.» Diese Ausgangslage hat sich nicht verändert. Die Verantwortlichen der Energieversorgung sagen seit Jahren, dass sich AKW wirtschaftlich nicht lohnen. So Christoph Brand, CEO der Axpo, der sich im Januar auf der Plattform «Energate» wie folgt geäussert hat: «Die Wirtschaftlichkeit neuer Kernkraftwerke heutiger Generation ist in der Schweiz nicht gegeben.» Weltweit würden AKW nur gebaut, wenn der Staat diese massiv subventioniere.
Verkauft wird die Aufhebung des AKW-Neubauverbots mit den Begriffen «Technologieverbot» respektive «Technologieoffenheit». Nun bin ich grundsätzlich neuen Technologien gegenüber offen. Und man könnte ja durchaus seine Einschätzung gegenüber einer Technologie ändern, wenn diese grosse Veränderungen oder Fortschritte erlebt hat. Ein Beispiel dazu ist die Gentechnologie: Die neue Crispr/CAS-Methode sorgt sein einiger Zeit für neuen Diskussionsstoff. Diese Methode gilt als effizienter, zudem wird keine artfremde DNA ins Genom eingebaut. Auch hier ist umstritten, ob damit die Risiken wirklich geringer sind. Aber immerhin kann man sagen, es ist hier eine neue Technologie vorhanden, sodass man die Lagebeurteilung vielleicht neu machen soll.
Auch in der Kerntechnologie wird seit Jahren von neuen Reaktortypen und Alternativen gesprochen (und versprochen). Diese könnten durchaus vielversprechend sein, sind aber noch weit von der Realisierung entfernt. Die Probleme mit der Sicherheit, der Beschaffung von Uran sowie der Beseitigung des radioaktiven Abfalls sind damit höchstens zum Teil gelöst. Und: Man könnte das Neubauverbot ja auch erst dann in zwanzig, dreissig Jahren aufheben, wenn diese Reaktortypen der Realität näher sind. Ein Neubauverbot heisst nämlich nicht, dass Forschung verboten wäre.
Als zweites Argument wird die gute alte «Stromlücke» bemüht. Die jetzt nicht mehr so heisst, sondern «Strommangellage». Und noch mit dem steigenden Energiebedarf wegen der Klimaneutralität angereichert wird: «Zur Dekarbonisierung ist die Schweiz auf grosse Mengen an zusätzlichem Strom angewiesen. Offen ist, ob der Ausbau der erneuerbaren Energien rasch genug erfolgen wird, um die wegfallenden Kapazitäten und den steigenden Strombedarf rechtzeitig decken zu können.» Das schreibt dasselbe UVEK in einem Faktenblatt zur Kernergie, das 2017 noch geschrieben hat: «Die Schweiz kann ihren Strombedarf künftig ohne KKW decken. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, setzen Bundesrat und Parlament auf die Energieeffizienz und eine Stärkung der erneuerbaren Energien (Wasserkraft sowie neue erneuerbare Energien wie Sonne, Wind, Geothermie, Biomasse).» Der Punkt ist immer noch der gleiche wie bei der guten alten Stromlücke: Die Schweiz ist nicht hundertprozentig energieautark und auf den Import von Strom angewiesen. Schon 2007 fragte der damalige SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner in einer Interpellation, warum die Stromimporte einer Stromlücke gleichgesetzt würden: «Wenn ‹Stromimporte› einer Stromlücke gleichgesetzt werden kann, wie gross ist dann die Gaslücke, Kohlelücke, Uranlücke, Öllücke?»
Die Logik erscheint mir bei der «Technologieneutralität» wie auch bei der «Stromlücke» nicht ganz schlüssig. Warum ist es realistischer, dass es dereinst AKW gibt, die keinen Uran mehr brauchen, keinen Abfall produzieren und kein Sicherheitsrisiko mehr sind, als dass die Speichertechnologien für den Winterstrom besser werden oder mittels besserer Effizienzmassnahmen auch der Stromverbrauch gesenkt werden kann? Warum ist es besser oder einfacher oder geopolitisch opportuner, Uran zu importieren als Strom? Und: Warum sollte eine Technologie, die jetzt nicht wirtschaftlich ist, uns besser helfen als die Investition in Technologien, die bereits heute schon funktionieren?
Wenn man Rösti und der neuen Argumentation des UVEKs zuhört, könnte man meinen, die Lage habe sich seit 2017 entscheidend verschlechtert. Das Gegenteil ist aber der Fall. Wie die Grünen in ihrer Fraktionserklärung im Kantonsrat ausführten, stammten 2023 zehn Prozent des in der Schweiz produzierten Stroms aus der Photovoltaik. 2017, als die Energiestrategie beschlossen wurde, wurden Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 250 Megawatt installiert. Sieben Jahre später dürfen wir das Achtfache davon erwarten. Auch nicht vergessen sollte man dabei, dass ein Teil der Angst vor der Strommangellage dadurch entstand, dass im Sommer 2022 zeitweise die Hälfte der französischen AKW vom Netz gehen musste. Gründe dafür waren sicherheitsrelevante Schäden oder Hitze beziehungsweise Trockenheit.
Nun könnte man finden, die Aufhebung des Neubauverbots sei nicht wirklich tragisch, es heisse ja nicht, dass man dann wirklich künftig auf neue AKW setze. «Dogmen sind in der Politik ein schlechter Kompass; sachliche Beurteilungen sollten sich im Lichte aktueller Ereignisse weiterentwickeln, wenn das Land vorwärtskommen will», meint Tagi-Chefredaktorin Raphaela Birrer. Das stimmt schon. Nur fehlen im Moment die sachlichen Gründe, warum wir mit einer Aufhebung des Neubauverbots tatsächlich weiterkommen würden. Es ist im Gegenteil zu befürchten, dass dieser Weg dazu führt, dass bei der Erneuerbaren Energie nicht ausreichend vorwärtsgemacht wird. Das würde dann in erster Linie die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verlängern. Genau das Umgekehrte also dessen, was Rösti uns vorgaukelt. Dass damit ein klarer Entscheid der Stimmberechtigten gekippt wird zugunsten einer Initiative, von der im Moment bezweifelt wird, ob sie überhaupt rechtmässig gesammelt wurde, kommt noch dazu. Man muss neidlos anerkennen, dass Rösti ein geschickter Bundesrat ist. Aber für die Zukunft verheisst sein Durchmarsch im Bundesrat nichts Gutes.