- Post Scriptum
Die Verirrung
Und dann gibt es manchmal so Sätze. Die fassen etwas zusammen. Wenn nicht sogar alles. Und manchmal ist es nichts Gutes.
So wie der Satz hier: «Anerkennung ist möglich, wenn die Integration abgeschlossen ist.» Der Satz stammt aus einem Empörungskommentar in der NZZ, nachdem Bundesrat Beat Jans am Fastenbrechen der Föderation Islamischer Dachorganisationen der Schweiz teilgenommen hatte und auf X schrieb, dass der Islam und die Musliminnen und Muslime zur Schweiz gehören. Und dann brachen die Dämme bis tief in die politische Mitte, vor allem aber natürlich rechts aussen, es erbrach sich eine Flut von Wut auf der Plattform und wer die Reaktionen zu Beat Jans Post liest, kann sich Rimoldi von Mass-Voll, Glarner und zahlreiche weitere geradezu bildlich vorstellen, wie sie mit schweissnassen Händen, geifernd und heissblütig in die Tasten schlagen, siegreich, hier sehen sie sich bestätigt in all ihrem Tun und Wüten und Warnen, denn wo, so fragen sie, wo setzen Sie sich denn so sehr für uns Christen ein, Herr Jans, was, ja was tun Sie fürs Christentum. Der Artikel in der NZZ freilich ist gemässigter, aber ebenfalls plump. Nur schlecht kann der Journalist seine Freude darüber verhehlen, dass hier einer sich vertan habe, Jans Aussage sei verklärend, meint er und titelt: «Die Verirrung der Wohlmeinenden.» Jans habe es womöglich eben schon gut gemeint, aber er verkenne die Realität, der Jans und er, der Journalist, natürlich nicht. Und die Realität, das ist diese: Dass Jans seine Wortmeldung in einer Zeit mache, in der es wöchentlich zu judenfeindlichen Entgleisungen komme, zeuge von wenig Sensibilität. Der Entgleisung des Journalisten wiederum hält Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) entgegen, dass man zwischen islamistisch motivierten Tätern, antisemitischen Aussagen innerhalb radikaler Kreise, in denen sich auch Musliminnen und Muslime bewegen, und der grossen Mehrheit, die diese Ideologie und dieses Denken nicht teilen, unterscheiden müsse und zeigt, dass man ein Thema differenziert angehen kann, auch aus einer starken Betroffenheit heraus, wenn man denn will und nicht lieber genüsslich noch ein Scheit nachlegen möchte in einer ausgesprochen aufgeheizten Situation.
Kreutners Statement auf jeden Fall sticht aus dem plumpen Kommentar wohltuend heraus. Nein, wenn man sagt, dass die Musliminnen und Muslime, diese fast halbe Million Menschen in der Schweiz, und deren Religion zur Schweiz gehören, dann meint man damit nicht automatisch auch islamistisch motivierte Gewalttaten. Es ist billig, das zu unterstellen. Und damit könnte man die Sache eigentlich beenden, wenn da eben nicht dieser eine, dieser andere Satz wäre: Anerkennung ist möglich, wenn die Integration abgeschlossen ist.
Dieser Satz, der alles zusammenfasst, was ich schon viele Male mir und anderen zu erklären versuchte und auch mit ganz vielen Worten nicht so richtig schaffte. Dieser Satz ist der ganze, der ganz grosse Fehler in der Integrationsdebatte, er ist der Graben zwischen uns hier links und denen auf der anderen Seite. Nämlich diese Idee, diese Vorstellung, diese Einbildung, dass Integration und Anerkennung nicht zeitgleich stattfinden. Sondern nacheinander. Und dass es überhaupt so etwas wie eine Definition von «abgeschlossener Integration» gibt, die so allgemein gültig ist, dass sie auf jeden Menschen genau gleich angewendet werden kann.
Das gibt es nämlich nicht. Integration ist vielfältig und individuell. Und sie ist vielleicht nie ganz abgeschlossen. Aber noch wichtiger scheint mir, dass sie ohne Anerkennung, die gleichzeitig stattfindet, gar nicht erst passieren wird. Die Anerkennung, der Respekt, die Begegnung auf Augenhöhe mit Menschen, die mit uns leben, ob sie hier geboren sind oder nicht, ist überhaupt die Basis für jede Form von Integration. Wer anderen ihre Würde erst dann zugestehen will, wenn sie eine willkürlich definierte Leistung erbracht haben, verhindert Integration an vorderster Front.
Das ist die Verirrung, über die wir reden sollten.