- Stadt Zürich
«Die Stadt muss endlich liefern»
Der Zürcher Gemeinderat hat Gegenvorschläge zu den beiden Stadtklima-Initiativen angenommen (siehe P.S. vom 22. März), woraufhin das Komitee die Initiativen zurückzog: Was hat es dazu bewogen?
Silas Hobi: Wir können zufrieden sein mit den Gegenvorschlägen: Mit der Zukunfts-Initiative hatten wir gefordert, dass in den nächsten zehn Jahren pro Jahr mindestens ein halbes Prozent der städtischen Strassen zugunsten von umweltfreundlichen und effizienten Verkehrsmitteln umgewandelt wird, das wären rund 46 000 Quadratmeter pro Jahr. Gemäss Gegenvorschlag sollen es 462 000 Quadratmeter in zehn Jahren sein, wovon 100 000 Quadratmeter umgestaltet werden, wenn Strassen sowieso erneuert werden. Weitere 250 000 Qudratmeter entfallen auf bereits beschlossene Velovorzugsrouten. Der Gegenvorschlag ist insofern sogar eine Verbesserung, als dass die Umsetzung klarer definiert ist: Wir wissen jetzt, dass die Velorouten angerechnet werden, und das schenkt ein. Im ersten Entwurf des Stadtrates waren sie noch nicht drin.
Bei der Zukunfts-Initiative lautet das Stichwort «Umwandlung», bei der Gute-Luft-Initiative aber geht es zusätzlich um Bauprojekte, die ihre Zeit dauern: Überzeugt Sie hier der Gegenvorschlag trotzdem?
Die Initiative verlangte, jährlich 46 000 Quadratmeter Strassenfläche in Raum für Grünflächen und Bäume umzuwandeln, auch das zehn Jahre lang. Natürlich sähen wir gern, dass es schneller geht und mehr möglich ist. Doch Strassenbauprojekte müssen erst gemäss §13 und danach gemäss §16 des Strassengesetzes aufgelegt werden, und meist gibt es Einsprachen, welche die Projekte verzögern. Innert zehn Jahren lässt sich deshalb oft nicht viel erreichen. Aber auch im Gegenvorschlag zur Gute-Luft-Initiative ist klar definiert, dass die Stadt in zehn Jahren 145 000 Quadratmeter Strasse umwandeln soll: Mit Strassenbauprojekten wird rund ein Drittel erreicht, und für die restliche Fläche ist das Pflanzen neuer Bäume vorgesehen.
Das tönt nach vielen, vielen Bäumen…
Es ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel: Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Stadt künftig auch unabhängig von ordentlichen Bauprojekten anfangen, Bäume zu pflanzen. Es wird also nicht mehr zwingend auf ein Kanalisations- oder Glasfaserprojekt gewartet, um gleichzeitig auch noch Bäume zu pflanzen. Dieser Paradigmenwechsel ist nicht zuletzt der Hitzeminderung geschuldet, einer weiteren anspruchsvollen Aufgabe der Stadt.
Auch bei Velostreifen hiess es früher immer, die würden dann gemacht, wenn man die Strasse sowieso aufreissen müsse: Können wir uns darauf verlassen, dass es bei einem Ja zum Gegenvorschlag bei den Bäumen künftig effektiv schneller geht?
Da bin ich zuversichtlich, denn in letzter Zeit scheint die Verwaltung in Zürich Verkehrsprojekte anders anzugehen als früher. Auch Velomassnahmen werden eher mal umgesetzt, auch wenn die Erneuerung der Kanalisation erst in ein paar Jahren angezeigt ist. Falls die beiden Gegenvorschläge durchkommen, ist es wahrscheinlich, dass die Verwaltung bereit ist, ihre Praxis zu ändern beziehungsweise die bereits angetönten Veränderungen verstärkt weiterzuführen.
Ein Ja zu den beiden Gegenvorschlägen würde der Verwaltung neuen Schwung geben?
Ich hoffe es. Verwaltungen sind zwar von Natur aus träge, aber nun ist wirklich schon vieles aufgegleist, und mit den Gegenvorschlägen kann es in die richtige Richtung weitergehen. Es gibt aber immer noch Verbesserungsbedarf: Oft sieht es so aus, als suche die Stadt viel zu lange Kompromisse mit jenen Menschen, die am liebsten sowieso nur Autos und Parkplätze hätten. Sie tut das wahrscheinlich mit der Absicht, die Einsprachenflut etwas einzudämmen. Das ist meiner Meinung nach verlorene Liebesmüh: Besser, man zieht von Anfang an jenes Projekt durch, das den Vorgaben der Stimmberechtigen, etwa bezüglich Velorouten oder Begrünung, am besten entspricht – Einsprachen hin oder her, denn die gibt es sowieso. Ein Recht auf einen Parkplatz im öffentlichen Raum gibt es hingegen nicht, das hat das Bundesgericht festgehalten. Sogar im kantonalen Planungs- und Baugesetz steht, dass die Parkierung in erster Linie auf privatem Grund stattzufinden hat.
Was, wenn der Kanton trotzdem mal wieder reingrätscht?
Rund 80 Prozent der Strassen in Zürich sind kommunale Strassen, die meisten davon zudem ohne öV, da sollten sich somit keine grösseren Verkehrsprobleme ergeben. Hier kann die Stadt ihren Spielraum noch besser nutzen. Die 15-Minuten-Stadt à la Paris oder Superblocks wie in Barcelona sind bereits angedacht. Zu letzteren, in Zürich Quartierblöcke genannt, starten im Herbst die ersten Mitwirkungsveranstaltungen. Klar ist: Nach einem doppelten Ja am 22. September muss die Stadt innert zehn Jahren vorwärts machen und endlich liefern.
Klappt das?
Es muss! Die Mehrheit in der Stadt Zürich hat kein eigenes Auto. Menschen mit Auto beanspruchen jedoch dreimal mehr des begrenzten öffentlichen Raums. Das ist ungerecht und unzeitgemäss. Denn wir haben auch ein Klimaziel, und auch das lässt sich nur auf eine Art erreichen – indem wir endlich anfangen, all die längst bekannten Massnahmen effektiv umzusetzen: zum Beispiel, indem wir zu Fuss und mit dem öV oder mit dem Velo unterwegs sind anstatt mit dem Auto.