Die silberne Garde des Klimakampfs

Die monatliche Zürcher Klimamahnwache zeigt, dass Aktivismus keine Altersgrenzen kennt. Bernhard Hasler im Gespräch mit Tim Haag über Konsum, kollektives Erwachen und Politikversagen.
Bernhard Hasler: «Es ist wichtig, unseren Konsum zu hinterfragen.» (Bild: Tim Haag)
Die monatliche Zürcher Klimamahnwache zeigt, dass Aktivismus keine Altersgrenzen kennt. Bernhard Hasler im Gespräch mit Tim Haag über Konsum, kollektives Erwachen und Politikversagen.

Am Hechtplatz steht eine Gruppe älterer Menschen im Regen und mahnt – für mehr Klimaschutz, mehr Klimagerechtigkeit und gegen übermässigen Konsum. Einer von ihnen ist Bernhard Hasler: Schwarze Kapuze, Taststock, gravitätischer Gesichtsausdruck – ein scharfer Kontrast zu den farbig beschriebenen Transparenten hinter ihm. «Klimaschutz ist Menschenrecht» steht auf einem, ein anderes erinnert daran, dass wegen des menschengemachten Klimawandels «Millionen Tiere, Menschen und Pflanzen sterben». Hasler verteilt hier jeden letzten Freitag im Monat Flyer an Feierabend-Fussvolk und sucht mit ihnen das Gespräch.  Heute kommt jedoch praktisch niemand vorbei – so hat Hasler Zeit, Fragen zu beantworten.

Einmal im Monat, jeweils am letzten Freitag, versammelt sich die Klimamahnwache am Hechtplatz. Wer sind Sie?

Eine zusammengewürfelte Truppe aus etwa sechs älteren Leuten mit verschiedenen Biographien, die seit bald vier Jahren diese Mahnwachen veranstaltet, weil wir nicht mehr einfach nur die Faust im Sack machen wollen, sondern versuchen, die Menschen aufmerksam zu machen auf das Leid, das die Klimakrise verursacht. Wir möchten alle, auch junge Klimaengagierte einladen, bei den Mahnwachen mitzumachen und mitzudiskutieren. Zudem waren wir  auch am diesjährigen Overshoot Day (siehe P.S. vom 10.5.24).

Warum sind es gerade die Älteren, die Mahnwachen halten, demonstrieren, die Schweiz anklagen? Salopp gesagt: Ihnen könnte der Klimawandel ja eigentlich egal sein.

Ist er aber nicht. Uns Mitglieder der Klimamahnwache eint unsere Naturverbundenheit und, dass wir nicht tatenlos zuschauen wollen, wie sich die Folgen der Klimaerwärmung  jedes Jahr verschlimmern. Einige von uns haben Enkelkinder und wünschen für sie die Lebensgrundlagen zu erhalten, Stichwort Biodiversität. Das heutige Regenwetter ist symptomatisch: Anfang April hatten wir Sommer, jetzt, Ende Mai, fällt die Schneefallgrenze auf 1000 Meter; Überschwemmungen wie aktuell in der Ostschweiz und Deutschland häufen sich. Ganz zu schweigen von den extremen Wetterereignissen im globalen Süden mit Dürren und Hungerkatastrophen. Für einen Bauern dort ist klar, dass Klimaschutz eigentlich ein Menschenrecht ist.

Der Overshoot Day markiert den Tag, an dem ein Land alle natürlichen Ressourcen aufgebraucht hat, die die Erde innerhalb eines Jahres regenerieren kann. In der Schweiz war er schon am 27. Mai. Wo sehen Sie den Grund dafür?

Es ist ein strukturelles Problem. Unser kapitalistisches System bietet eindeutig zu wenig Platz für Klimaschutz. Statt eines nachhaltigen, klimakompatiblen Lebens propagiert es nur Konsumrausch. Die Omnipräsenz von Werbungen und konsumistischen Verlockungen sorgt dafür, dass wir den Bezug zur Natur verlieren. Mittlerweile wissen die Leute nicht mehr, wann die Erdbeeren reif sind und kaufen Melonen im Winter, während der Bevölkerung in Andalusien das Grundwasser geklaut wird, um die Gewächshausplantagen zu bewässern. Es ist wichtig, unseren Konsum, unsere Ernährung und unsere Mobilität zu hinterfragen.

Dass sich das Klima erhitzt, ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Ist das Engagement der älteren Menschen fürs Klima auch durch Schuldgefühle gegenüber der jüngeren Generation bedingt?

Ich persönlich und die Leute, die an der Klimamahnwache teilnehmen, haben keine Schuldgefühle. Wir haben alle schon immer bescheiden gelebt, fliegen nicht, fahren mit dem Zug. Damit gehören wir jedoch zur Minderheit. Deshalb versuchen wir, gegenzusteuern. Nur: Wirklich etwas erreichen, das können wir nicht.

Wieso nicht?

Der Klimaschutz scheitert letztlich an den Mehrheitsverhältnissen in der Politik und an der Mehrheit der Wähler:innen, weil ihnen das Wasser noch nicht bis zum Halse steht. Die Klimaseniorinnen haben mit dem EGMR-Urteil einen vermeintlichen Erfolg gefeiert, doch nun kehrt die Rechtskomission des Parlaments dieses Urteil kurzerhand um. Das ist skandalös und zeigt einmal mehr, dass die Politik nicht willens ist, den Ernst der Lage zu erkennen.

Die Millionenfrage: Was muss passieren? Resignation ist doch auch keine Lösung.

Die Leute müssen kollektiv aufwachen und sagen: «Jetzt reichts. Wissen allein nützt nichts, wir müssen handeln.» Es braucht Verbote von Billigflügen, Kerosinsteuern, autofreie Sonntage und ein Wegkommen von den Konsumgewohnheiten, welche die Ressourcen der Erde ausbeuten.

Sie wirken nicht optimistisch, dass mit solchen Mahnwachen diese Ziele erreicht werden können.

Bei einzelnen Personen schon. Die meisten Reaktionen auf unsere Mahnwache sind positiv; viele danken uns, dass wir regelmässig da stehen.  Dennoch, der Grossteil der Veränderungen muss von der Politik und von den Wähler:innen kommen.

Zum Beispiel mit dem kommenden Stromgesetz?

Meine Position zum Stromgesetz ist ambivalent: Eigentlich müsste man vor allem Strom sparen. Aber davon redet niemand – es geht nur da­rum, einen scheinbar unumgänglichen Anstieg des Stromverbrauchs mit mehr erneuerbaren Energien zu decken. Das verstehe ich nicht.