Die siebte Kunst als Brückenbauerin

Das Iranische Filmfestival Zürich zeigt eine Woche lang eine hochkarätige Auswahl aus dem zeitgenössischen iranischen Filmschaffen als kostenfreies Streaming-Angebot.

 

Suzanne Zahnd

 

Das Iranische Film Festival Zürich versteht sich als Brückenbauer zwischen den Kulturen mit den Mitteln der universellen Sprache des Films. Es ist bereits das sechste Mal, dass das Festival in Zürich stattfindet. Dieses Jahr leider ohne die realen Begegnungen im Kinofoyer, die normalerweise natürlich ein wichtiger Teil des Festivals sind. Trotzdem stehen dem zugewandten Publikum seit dem 28. Mai 14 Spiel- und 9 Kurzfilme online zur Verfügung. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich den einen oder anderen Film anzusehen, denn eines ist klar: Ein Blick über den Schweizer Tellerrand hat noch nie geschadet! Der Film hat als Medium die Kraft, jenseits von dummbeutligen Kopftuchdiskussionen mit islamophoben Klischees aufzuräumen, ohne dass dabei die schwierige politische Lage im Iran beschönigt wird.

P.S. hat das Programm studiert und ein paar Rosinen herausgepickt:

 

Gattenmord

 

Da wäre zunächst einer der Lieblingsfilme von Yadolah Dodge, einer der Organisatoren des Festivals und derjenige, der es ermöglicht hat, dass die Filme online und gratis gesehen werden können in der Schweiz. «Yalda» von Massoud Bakhshi ist auch der Eröffnungsfilm des Festivals (Bild). Die Hauptfigur ist nicht wirklich eine Sympathieträgerin, das hebt den Film aus dem Gros heraus, welche das nicht nur bei uns zunehmend perverse System der TV-Shows anprangern. Die Protagonistin Maryam hat ihren Mann getötet. Nach iranischem Recht muss sie für diese Tat sterben, egal ob es Unfall oder Mord war. Jetzt kann sie nur noch Mona, die Tochter des Verstorbenen retten, eine weitere ambivalente Figur im Film. Nur wenn Maryam Mona in einer live übertragenen Fernsehsendung um Verzeihung bittet und diese ihr auch verzeiht, wird die zum Tode Verurteilte verschont. Zusätzlich müssen genügend ZuschauerInnen für sie stimmen, damit das nötige Blutgeld zusammenkommt, um sie freizukaufen. Eine ganz ähnliche TV-Sendung gibt es übrigens tatsächlich im Iran. Bakh­shis Mediensatire zielt aber trotz allem Zynismus mit Hochspannung auf etwas Grösseres. Er zeigt, dass es in dieser Show so oder so keine Gewinnerin geben wird, weil das in den Spielregeln des Landes schlicht nicht vorgesehen ist. 

 

Revolte

 

In 18 Fragmenten über die Revolution stellt «The naked King» fest, dass der Akt der Revolte uns vom Ich befreit. Die Gleichzeitigkeit des Sturzes des Schahs von Persien, König der Könige, und die Solidarnosc-Bewegung, die 1980 zum Umsturz in Polen führte, bewegt den Schweizer Historiker und Filmemacher Andreas Hoessli, der damals als Stipendiat in Polen lebte und dort den Autoren und Journalisten Ryszard Kapuscinski kennenlernte, der von der Revolution im Iran berichtete. Der Film bewegt sich entlang der Aufzeichnungen von Kapuscinski, der nach der Niederschlagung der Revolution zusehen musste, wie eine autoritäre, religiöse Elite das Szepter im Iran übernahm. Der Filmemacher selber entdeckt bei seinen Recherchen, dass er als Figurant unter dem Namen «Hassan» für den polnischen Geheimdienst hätte angeworben werden sollen. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte.

 

Renitenz

 

Frauen stehen im Fokus des diesjährigen Festivals. Die älteste ist 80, heisst Firouzeh Khorshidi und spielt sich selber. Begleitet von wunderbar fotografierten Landschaftsbildern aus der Bergwelt des Iran und von einem ebenso sorgfältig komponierten Soundtrack, erzählt die alte Frau aus ihrem Leben. Sie verbringt ihre Sommer seit über 40 Jahren mit ihrer Herde in der Höhe und kehrt nur für die harten Wintermonate zurück ins Dorf ihrer Herkunft. «Die Kühe verstehen mich besser als die Menschen. Was sie interessiert, interessiert mich nicht: Geld. Besitz.» Das einzige, was Firouseh bekümmert, sind ihre elf Kinder, die sie weder besuchen noch regelmässig anrufen. Und neuerdings die Behörden, die ihr sagen, sie dürfe so nicht mehr hausen. «You can’t even control your wives!», lacht die Alte die beiden Beamten aus und lässt sie stehen. Sie weiss sich zu helfen. Sie hat sich einen langen Stiel an die Axt gemacht, um das Momentum zu erhöhen, so dass ihre schwindende Kraft ausgeglichen wird. Firouzeh erwartet keine Hilfe, sie will einfach nur in ihren Bergen sein, und auch dort sterben. Ein wunderschönes Porträt einer ungewöhnlichen Frau, deren entbehrungsreiches Leben zu einer Verbundenheit mit der Schöpfung gefunden hat, die plötzlich beneidenswert erscheint.

 

Antidepressivum 

 

Und zum Schluss noch der totale Launelüpfer: «I want to dance» von Bahman Farmanara. Im Zentrum dieses Films steht ein älterer Herr, ein Schriftsteller, der seit dem Tod seiner Frau nicht nur die Lebensfreude verloren hat, sondern auch an einer massiven Schreibblockade leidet. Nach einem harmlosen Verkehrsunfall hört er ein Lied in seinem Kopf, dass ihn zum Tanzen bringt. Und nicht nur ihn! Der Film ist eine einzige Feier des Lebens! 

Interessant ist, wenn man die einzelnen Regisseure und Akteure googelt. Die meisten haben im Westen studiert und kennen beide Kulturen. Man bekommt aber auch ein Bild davon, wie sich der intellektuelle und künstlerische Iran aus politischen Gründen über die ganze Welt verstreut hat. Es lohnt sich durchaus, nicht nur die Filme zu geniessen (weitere Tipps: Silhouettes, Hava, Ayesha), sondern sich auch auf einer Metaebene auf das Festival einzulassen, gerade weil die persönlichen Begegnungen dieses Jahr ausfallen.

 

www.iranianfilmfestival.ch

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