Die Party ist vorbei

Zuweilen frage ich mich ja, ob ich zu viel Zeit in den sozialen Medien vertrödle. Aber dann findet sich wieder eine Trouvaille. Zum Beispiel dieser Tweet von Roger Köppel: «Klima ist eine Intensiv-Mode, ein Rausch. Die Leute sind wie betrunken davon. Betrunkene nur bedingt ansprechbar, Gehirn teilweise ausser Kraft. Man muss warten, bis sie wieder nüchtern sind. Und selber keinesfalls aus dieser Flasche trinken.» Als ich diesen Beitrag gelesen habe, fragte ich mich kurz ernsthaft, ob die Politkarriere von Roger Köppel nicht in Tat und Wahrheit ein Langzeit-Satire-Projekt ist. Ich vermute aber: Er meint es ernst.

 

Statt dem glücklosen Wahlkampfleiter Alfred Heer soll nun Roger Köppel für den Ständerat antreten. Dass er die Bisherigen Ruedi Noser (FDP) und Daniel Jositsch (SP) nicht gefährlich werden wird, ist allen klar. Aber Köppel soll wohl nach dem Willen von Herrliberg die WählerInnen mobilisieren, die sich jetzt in den Kantonsratswahlen nicht haben überzeugen lassen. An der SVP-Delegiertenversammlung vom vergangenen Samstag hat Köppel die Delegierten mit einer Schmährede gegen den «Klima-Hype» und gegen den «Missbrauch der Kinder durch ihre links-grünen Lehrer» begeistert. Dass die jugendlichen KlimaaktivistInnen bei der Rechten das Blut in Wallung bringen wie sonst nur Diskussionen um gendergerechte Sprache, konnte man in den vergangenen Wochen nicht nur in den sozialen Medien beobachten. Dass sich bei der SVP langsam immer mehr die KlimaskeptikerInnen durchsetzen, ebenfalls. Mit Köppel als Speerspitze nimmt dieser Kampf immer schrillere Formen an. Oder um es mit Köppels Worten zu sagen: «Wenn Kinder die Macht übernehmen, wird’s gefährlich. Siehe Chinas Kulturrevolution, Pol Pots Kinderarmeen, Kinderkreuzzüge im Mittelalter.» Damit ist die SVP auf dem besten Weg in die Selbstradikalisierung und damit vermutlich auch in die Selbstmarginalisierung.
Nach der Niederlage in Zürich kam das Köpferollen. Konrad Langhart, abtretender Präsident der SVP, machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, als er nach seinem eher unfreiwilligen Rücktritt dem ‹Landboten› Auskunft gab: «Die Basis will definitiv weniger Polemik, sie will eine sachlich orientierte Politik». Darauf setzt die Partei vermutlich nicht. Als neuer Präsident ist Patrick Walder vorgesehen, wie der Parteivorstand der SVP am Montag bekanntgab. Der 31-Jährige ist Präsident der SVP Dübendorf, aber kantonal weitgehend unbekannt. Ihm zur Seite gestellt werden als Vizepräsident alt-Nationalrat Toni Bortoluzzi und die Kantonsräte Orlando Wyss und Elisabeth Pflugshaupt. Toni Bortoluzzi ist gesellschaftspolitisch eher im vorletzten Jahrhundert angesiedelt, wohl sogar da, wo die Mehrheit der SVP-WählerInnen nicht mehr sind. Zum Beispiel mit seinen Ansichten über die Schädlichkeit von ausserfamiliärer Kinderbetreuung oder fehlgeleiteten Hirnlappen von Schwulen und Lesben. Der Dübendorfer Orlando Wyss gilt als Hardliner in Sachen Umweltschutz. Einzig Elisabeth Pflugshaupt scheint als Gemeinderätin von Gossau, Bäuerin und Kauffrau ein klassischeres SVP-Profil aufzuweisen.

 

Nach den ebenfalls vernichtenden Niederlagen in Luzern und Baselland ist klar: Die Party ist vorbei. Ob die Parteileitungen auch dort ausgewechselt werden, ist noch unklar. Und ob dieser Wechsel einen Neustart bringen kann sowieso. Was sind die Gründe der Niederlage? Es kann schliesslich kaum sein, dass ein schwedischer Teenager allein die SVP zu Fall gebracht hat. Sicher haben die momentanen Trends Klima- und Frauenwahl der SVP nicht geholfen, weil sie zu beidem wenig zu bieten hat. Die SVP hat bereits im letzten Jahr bei den kommunalen Wahlen teilweise massiv verloren, als das Klimathema noch kaum eine Rolle spielte. Vermutlich ist die Ursache auch bei der sich verändernden EinwohnerInnenstruktur in Städten und Agglomeration zu suchen. Und ganz banal: Beim Personal. Die SVP hat auf allen Ebenen eine bemerkenswert dünne Personaldecke – was sich auch jetzt beim kantonalen Präsidium bemerkbar macht. Und vermutlich sind jene Millionäre und Millardärinnen, die im Moment den Ton angeben, den WählerInnen zu wenig nahe.
Die SP hat in den Zürcher Wahlen stagniert und in den Kantonen Basel-Land und Luzern gewonnen. Der Erfolg der Grünen ging also nicht auf Kosten der SP. Der von der SP verlorene Kantonsratssitz bleibt im Lager – er ging an die Alternative Liste. Die Linke hat auch insgesamt zugelegt. In der Mitte findet hingegen eine Umschichtung statt, von der vor allem die Grünliberalen profitieren. BDP und CVP schwächeln in der ganzen Schweiz. Gerade in einem urbanen Kanton ist die GLP für Mitte-WählerInnen eine attraktivere und zeitgemässere Alternative. Aber auch für Teile der FDP-Wählerschaft bietet die GLP ein besseres Angebot: Zum einen für jene, die für eine ökologische Wirtschaft einstehen und vor allem auch für erfolgreiche Wirtschaftsfrauen. 2011 noch hatten die FDP-Frauen unter der damaligen Leitung von Präsidentin Carmen Walker Späh und Generalsekretärin Claudine Esseiva eine offensive, liberale Gleichstellungspolitik vertreten. Diese wurden aber von der Parteileitung mehrheitlich zurückgepfiffen. In diese Lücke sprangen die Grünliberalen Frauen mit Kathrin Bertschy noch so gerne.

 

Auch die SP wird sich verstärkt Gedanken machen müssen, wie sie die beiden Themen Klima und Gleichstellung noch offensiver angehen kann. In beiden gibt es enorme Chancen: Mit dem Frauenstreik am 14. Juni wird das Thema noch an Wichtigkeit gewinnen. Es wäre dumm, wenn die SP hier das Feld den Grünen und Grünliberalen überlassen würde. Das gleiche gilt auch für das Klima. Natürlich: Für die Grünen ist es einfacher, klar auf Klimawahlen zu setzen. Aber es braucht für das Klima mehr als Symbolpolitik. Es braucht einen konkreten Plan, wie wir in nützlicher Frist aus den fossilen Energien aussteigen können. Und wenn es konkret wird, wird es oftmals schwieriger, das haben beispielsweise die beiden Energieabstimmungen in den Kantonen Bern und Solothurn gezeigt. Und Klimaschutz muss sozial verträglich ausgestaltet sein, wie es auch Emanuel Macron angesichts wütender Gelbwesten erkennen musste. Das wäre eine Chance für die SP: Wir brauchen einen Green New Deal. Daran müssen wir arbeiten. Und zwar schnell. Viel Zeit bleibt nicht, nicht für die Wahlen und auch nicht fürs Klima

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