Die Kontrolle versagt bei den Mieten

Die Mieten steigen seit Jahren. Dabei hätten sie aufgrund der tiefen Zinsen eigentlich sinken müssen. Der Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz geht von zehn Milliarden Franken pro Jahr aus, die eigentlich den MieterInnen zustehen würden.

 

Michael Töngi

 

Vor gut zwei Wochen schreckte selbst Bundesrat Guy Parmelin auf. Er sah in der Sonntagspresse sozialpolitische Spannungen auf die Schweiz zukommen, sollten Menschen mit bescheidenen Einkommen keine Wohnung mehr finden. Niemand weiss, was unseren Bundesrat aus seinem dämmrigen wohnpolitischen Zustand aufgeweckt hatte. Das Aufzucken hielt auch nicht lange an: In den darauffolgenden Tagen trudelten die Antworten des Bundesrates auf verschiedene Vorstösse ein und da war der Tenor wieder: «Wir verfolgen die Entwicklung aufmerksam» – aber tun will der Bundesrat wie in den vergangenen Jahren nichts. Offensichtlich bekommt man als Wohnminister bei der Übernahme des Amtes einen Zettel mit dem Hinweis zugeschoben: «Abwarten und Probleme an Nachfolger weiterreichen.» 

 

Handeln wäre angesagt

Dabei wäre Handeln längst angesagt: Trotz rekordtiefer Zinsen und neun Senkungen des Referenzzinssatzes kannten die Mieten in der Schweiz nur eine Richtung: nach oben. Egal, wie stark die Hypothekarzinsen sanken, der Mietpreisindex stieg und stieg. Die Mieten hätten seit 2009 um rund 20 Prozent sinken müssen, sie sind aber um mehr als 10 Prozent angestiegen – nota bene auch stärker als die Teuerung. Diese Entwicklung führt dazu, dass Mieterhaushalte heute pro Monat rund 370 Franken zuviel Miete bezahlen. Gesamtschweizerisch macht das dann rund 10 Milliarden Franken im Jahr aus – eine unglaubliche Summe, die umverteilt wird. 

 

Unser Schweizer Kostenmietemodell, wie es das Mietrecht vorgibt, wäre eine gute Grundlage für faire Mietzinse. Die Kosten der Vermieterinnen und Vermieter sind gedeckt und sie erhalten eine limitierte Rendite auf ihrem Kapital. So weit, so gut, oder eben: schlecht. Denn in der Praxis entwickeln sich die Mietzinse völlig quer zur Kostenmiete. Die Mietpreise der ausgeschriebenen Wohnungen sind viel höher als die Kosten, die gedeckt werden müssen, Referenzzinssatzsenkungen werden nicht weitergegeben oder Mietzinsaufschläge nach Sanierungen werden falsch, sprich: zu hoch, berechnet. Oder natürlich, immer mehr MieterInnen wird gekündigt, damit der Mietzins noch viel stärker erhöht werden kann. 

 

Es fehlt also vor allem an der Kontrolle. Unser Mietrecht schiebt die ganze Verantwortung auf die MieterInnen ab. Sie müssen Mietzinssenkungen einfordern, sie sollen sich gegen zu hohe Mietzinserhöhungen wehren und dann abschlägige Antworten auch anfechten. Das machen auch viele, doch viele lassen es eben sein, oft weil sie keinen Streit mit der Vermieterschaft wollen. Das Beispiel der letzten Jahre hat eindrücklich gezeigt, dass diese Abwälzung der Verantwortung falsch ist. Jahr für Jahr sanken die Kosten der Vermieter­Innen und stiegen die Mietzinse gleichzeitig – so ordentlich die Vorgaben für die Mietzinsgestaltung sind, so wenig wurden sie angewandt. Deshalb hat der Mieterinnen- und Mieterverband an einer Medienkonferenz jetzt als Hauptforderung eine amtliche Kontrolle der Mietzinse gefordert. Ohne eine amtliche Kontrolle werden die Renditen weiter ansteigen und jenseits aller missbräuchlichen Grenzen liegen. Die Antworten des Bundesrates zeigen, dass die Schweiz zwar leidenschaftlich über ein paar Rappen Benzinpreise diskutieren kann, aber dieser gigantischen Umverteilung im Wohnbereich zuschaut.

 

Aushöhlung des Mietrechts geplant

Gut, zuschauen wäre noch das eine, das andere ist, wenn das nationale Parlament ausgerechnet in dieser Situation Schutzmechanismen im Mietrecht schleifen will. In der Frühlingssession wird der Nationalrat über eine erste Etappe zur Aushöhlung des Mietrechts beraten, eine weitere wird folgen. Zuerst geht es um eine Vereinfachung der Kündigungsmöglichkeiten, und dann wird die Kostenmiete angegriffen. Kommen diese Vorlagen durch, werden auch jene MieterInnen, die sich heute zur Wehr setzen, kaum noch Chancen haben, ihr Recht einzufordern. Faktisch läuft es auf die Einführung der Marktmiete hinaus – was vor allem in den Städten und Agglomerationen zu weiteren massiven Mietzinssteigerungen führen würde. 

 

In den letzten Wochen haben die MarktfreundInnen sich vermehrt zu Wort gemeldet. Aus ihrer Sicht braucht es nur ein bisschen schnellere Baubewilligungsverfahren und eine Lockerung der Raumplanung, und dann wären die Probleme gelöst. Abgesehen davon, dass raschere Baubewilligungen höchstens in einem Einmaleffekt ein paar zusätzliche Wohnungen bringen, übersehen sie, dass die Wohnungsfrage nicht dem Markt überlassen werden kann – weil Wohnen kein Marktgut ist. Zum einen müssen alle wohnen können und niemand kann  sich diesem sogenannten Markt entziehen, und zum anderen sind wir alle beim Wohnen glücklicherweise nicht so flexibel wie bei einem Konsumgut. Wir sind irgendwo verwurzelt, haben die Kinder in einer Schule, kennen unsere NachbarInnen oder haben unsere Lieblingsplätze im Quartier. Wir lassen uns nicht nach einer Marktlogik vertreiben.

 

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