Richard Frick: «Ich wollte nie ein Sammler werden, der nur für sich selber sammelt und alles hinter verschlossenen Türen und in Plakatschränken stapelt.» (Bild: Gian Hedinger)

«Die heutigen Schweizer Wahlplakate finde ich mehrheitlich grässlich»

Richard Frick hat eine der grössten Sammlungen von politisch-sozialistischen Plakaten in der Schweiz. Im Gespräch mit Gian Hedinger erzählt Frick, wie er zum Sammler wurde und was er von einem Werbeverbot im öffentlichen Raum hält.

Sie sammeln schon seit über 50 Jahren politische Plakate. Wie viele Plakate besitzen Sie mittlerweile?

Richard Frick: Eine genaue Zahl kann ich nicht sagen. Ich habe es mal versucht auszurechnen und bin auf mindestens 6000 Plakate gekommen. Das ist aber wirklich nur eine Schätzung anhand der Plakat-Papier-Stärke und des Raums, den meine Sammlung inzwischen einnimmt.


Wie sind Sie zum Sammler geworden?

Ich bin in der Ostschweiz aufgewachsen und habe in Flawil eine Lehre als Schriftsetzer gemacht. Damals war der Schweizerische Typographenbund (STB) eine starke Gewerkschaft. Die Typographische Vereinigung (Bildungssparte des Typographenbundes) traf sich immer freitags zum Stammtisch im Restaurant Rosengarten. Im dritten oder vierten Lehrjahr durfte ich auch hin. Viele Typographen waren zwar wertkonservativ, aber kulturell sehr interessiert. An diesem Stammtisch wurden also Bücher und Plakate getauscht. Ich hatte anfangs natürlich nichts, das ich hätte tauschen können, die älteren Gewerkschaftler verkauften aber ihre Bücher und Plakate für einige Franken weiter. So kam ich zu den ersten paar Sammelstücken. Mit dem Sammeln von politischen Plakaten habe ich während des Vietnamkriegs begonnen.

Wie kamen Sie denn als Schweizer zu Plakaten aus Vietnam?


Die ersten hatte ich von Vietnam-Soli­gruppen. Über die Vietnam-Solidaritätsplakate kam ich dann auf das kubanische Ospaaal-Plakat (Organisation der Solidarität mit den Völkern in Asien, Afrika und Lateinamerika). Die ersten Ospaaal-Plakate kaufte ich in der linken Produga-Galerie an der Englischviertelstrasse in Zürich. Zudem war die Parteienlandschaft in der Schweiz damals sehr vielfältig. Es gab die Kommunistische Partei Schweiz (KPS-ML), die Progressiven Organisationen Schweiz, die Partei der Arbeit, die Revolutionäre Marxistische Liga usw. und alle diese Parteien hatten Plakate, die ich sammeln konnte.


Heute besitzen Sie eine sehr internationale Sammlung.


Ich bin viel gereist und habe so viele Plakate gesammelt. Egal, wo ich hingekommen bin, bin ich als erstes zu den Genoss:innen und habe gefragt, ob sie Plakate haben. Als ich einmal über ein Jahr unterwegs war, musste ich mehrmals Plakate in die Schweiz zurückschicken, weil sich wieder so viele angesammelt hatten. Zudem war ich überzeugt, dass, wenn ich diesen Planeten verlassen werde, die Welt sozialistisch sein würde. Mit den Plakaten wollte ich gewissermassen das Voranschreiten der verschiedenen Revolutionen dokumentieren. In meiner WG färbte ich mit Neocolor die neuen sozialistischen Länder (z.B. Nicaragua, Angola, Moçambique usw.) auf der Weltkarte rot ein.


Nicht alle Revolutionen hielten ihre Versprechen ein. Sie haben in Ihrer Sammlung auch Plakate von autoritären Regimen aus Nordkorea, Enver-Hodscha-Albanien oder China. Wie gehen Sie damit um?


Ich kann natürlich nicht alles gut finden, was in diesen Ländern vorgefallen ist. Ich bin Marxist und bin alleine schon deshalb gegen überzeichneten Personenkult. Wenn ich sehe, wie die persönliche Freiheit in gewissen Ländern eingeschränkt wird, dann bekunde ich auch Mühe. Die Plakate sammle ich trotzdem. Sie sind Zeitdokumente des antiimperialistischen Kampfes und daher gehören sie auch in meine Sammlung. Gewisse Grenzen habe ich aber schon immer gezogen. Vom kambodschanischen Roten-Khmer-Regime (Pol Pot) habe ich zum Beispiel keine Plakate. Gerade in Bezug auf Kuba finde ich es aber wichtig, die Umstände zu benennen, welche diese enormen Probleme verursachen. Ich war letzten April in Kuba und das Leid, das die US-Blockade anrichtet, ist immens. Die Menschen kommen nicht mehr zu Medikamenten, die sie dringend brauchen, der Staat bekommt keine Kredite mehr und Benzin ist ein rares Gut geworden. Selbst für die Müllabfuhr und für den öffentlichen Verkehr fehlt das Benzin. Klar sind einige Probleme hausgemacht, aber der imperialistische Druck, der auf Kuba ausgeübt wird, ist absolut zu verurteilen.


Kubanische Plakate sind ein Schwerpunkt von Ihnen. Wie kommt das?


Ich war bestimmt schon dreissig bis vierzig Mal in Kuba und habe dabei natürlich auch viele Grafiker:innen kennengelernt. Von denen habe ich manchmal Plakate bekommen oder abgekauft. Ich war auch schon an verschiedenen Veranstaltungen/Treffen für kubanische Plakate, wo ich andere Sammler:innen getroffen habe. Dort kann man auch wieder Plakate tauschen. Wenn man eine gewisse Sammlung hat, wird man manchmal auch gezielt angeschrieben. Gerade letztens wollte mir einer ein Plakat verkaufen. Ich hätte maximal 300 Franken bezahlt, am Ende hat es ein Sammler aus Grossbritannien für 1000 Dollar gekauft und ist dafür extra nach Havanna geflogen.


Dazu wären Sie nicht bereit?


Grundsätzlich finde ich es abstossend, Tausende von Franken für ein Plakat auszugeben, nur um es zu besitzen. Aber ich kann schon nachvollziehen, dass man sich in ein Plakat verliebt und dann zu vielem bereit ist.


In welches Plakat sind Sie denn aktuell verliebt?


Ich hätte wahnsinnig gern das Plakat von Theo Ballmer für die Kommunistische Partei Schweiz von 1935. Die Gestaltung ist klar, die Symbolik ist sehr stark und zusätzlich ist es in seiner eigenen Schrift gestaltet. Das ist eines der Plakate, die mir in meiner Sammlung noch fehlen.


Was macht für Sie ein gutes Plakat aus?

Für mich ist die Plakativität wichtig. Also, dass es so aufgebaut ist, dass der Inhalt erkennbar ist. Dafür braucht es eine saubere Strukturierung. Dann muss es natürlich Aufmerksamkeit erzeugen. Für mich ist aber klar, dass ein Plakat den Inhalt visualisieren muss. Gestalten heisst, eine Botschaft oder einen Inhalt in einer möglichst ästhetischen Form zu visualisieren. Aufmerksamkeit zu generieren, reicht alleine nicht. Das ist aber eine grosse Diskussion in der Grafik. Mit gewissen Kolleg:innen könnte ich stundenlang über diese Frage streiten.


Ihnen ist der Inhalt also wichtiger als die Ästhetik?


Tendenziell schon. Ich bin einer der wenigen Sammler, die sich vor allem auf den Inhalt fokussieren. Natürlich freue ich mich auch, wenn ein Plakat schön gestaltet ist, aber umso mehr freue ich mich über die politische Botschaft. Wenn beides stimmt, ist es ein sehr gutes Plakat und freut mich umso mehr. Mich nervt es offen gesagt auch ein wenig, wenn Leute politisch-sozialistische Plakate sammeln, aber nicht politisch sind und nichts von den Inhalten verstehen oder sogar rechts stehen. Plakate sind unterdessen auch eine Kapitalanlage geworden. An einer Konferenz zum kubanischen Plakat wollte ich eine Petition zur Aufhebung der US-Blockade lancieren, weil den kubanischen Grafiker:innen vielfach das Papier fehlt. Ich wollte darauf aufmerksam machen, aber viele, die dort waren, wollten nicht einmal unterschreiben. Das verstehe ich nicht.

Sie stellen Teile Ihrer Sammlung immer wieder aus und haben schon mehrere Bücher veröffentlicht. Warum ist Ihnen das wichtig?


Ich wollte nie ein Sammler werden, der nur für sich selber sammelt und alles hinter verschlossenen Türen und in Plakatschränken stapelt. Mir ist es wichtig, dieses Wissen zugänglich zu machen. Ich möchte meinen Nachlass deshalb irgendwann geschlossen an eine staatliche Institution geben und kümmere mich aktuell darum. Für Ausstellungen stelle ich meine Plakate kostenlos zur Verfügung. Wenn es die Originale sein sollen, bestehe ich aber auf einem Glasrahmen und auf einer Versicherung. Mittlerweile wollen viele deshalb lieber die Scans, die sie dann selbst drucken können. Das kommt billiger.


In Ihrer Sammlung finden sich vor allem ältere Plakate. Wie sehen Sie die heutigen Wahlplakate?


Um ehrlich zu sein, finde ich sie meist grässlich. Es ist immer das Gleiche: Unten steht eine Partei und irgendein hohler nichtssagender Spruch und oben sieht man einen geschönten ‹Grind›, der meistens mit Photoshop bearbeitet wurde. Mir tut das weh, wenn ich sehe, dass Grafiker:innen heutzutage so etwas machen müssen. Es gibt so viele tolle Grafiker:innen, aber in den Parteien entscheidet am Ende irgendein Werbefritz, wie das Plakat aussehen soll. Dabei gäbe es so tolle Beispiele aus der Vergangenheit. Schauen Sie sich zum Beispiel einmal dieses Plakat von 1933 von Ernst Keller für die SP an. Das ist so simpel und so genial. Aber stattdessen muss heute irgendein Young Junior Marketing Designer einem Politiker die Pickel wegphotoshoppen. Ich denke, das ist auch ein Grund, weshalb die Grafik sich etwas von der Politik entfernt hat. Früher waren die bekanntesten Grafiker:innen meist politisch links engagiert. Das ist heute leider nicht mehr so.


Aktuell wird in Zürich über ein Werbeverbot im öffentlichen Raum diskutiert. Wie stehen Sie dazu?


Ich bin komplett dafür. Wenn ich sehe, wie an jeder Ecke so ein widerliches, kulturloses und hässliches Werbeplakat hängt, das nur die Dekadenz dieser Gesellschaft ausdrückt, muss ich sagen: Weg damit. Jedes Tram hat heute irgendeinen Konzern oder ein Produkt drauf. Ich habe lange an der Hochschule unterrichtet und immer gesagt: Wenn es so weitergeht, muss ich bald mit dem McDonald’s-Mützli vorne stehen. Kapital- und Profitmaximierung haben heute den ganzen öffentlichen Raum eingenommen.


Mehr von Richard Fricks Sammlung finden Sie unter: rifri-typo.ch