- Petitionsübergabe
«Die ETH-Führung muss Verantwortung übernehmen»
Acht Personen haben sich bei der ETH Zürich über einen Professor beschwert. Trotz der Häufung der Vorfälle hat die ETH diese Vorwürfe nicht ernst genommen. Den Fall hat der ‹Tages-Anzeiger› am 24. August diesen Jahres publik gemacht. Aufgrund einer gerichtlichen Verfügung, konnte der ‹Tages-Anzeiger› in seinem Artikel die Vorwürfe nur im Ansatz beschreiben. Unter anderem ging es bei den Vorwürfen um unangemessene Annäherungen. Die Vorwürfe kamen von Mitarbeitenden oder Studierenden des Professors. Während zweieinhalb Jahren wurden verschiedene Meldungen gemacht – passiert ist nichts. Die meisten Betroffenen habe inzwischen die ETH wieder verlassen. Der Professor bestreitet die Vorwürfe.
Keine vertiefte Prüfung der Meldungen
Brisant ist laut ‹Tages-Anzeiger› insbesondere, wie mit den Meldungen umgegangen wurde. Eine Betroffene, die sich 2022 an die Meldestelle wandte, erhielt die Antwort, dass sie den Vorfall nicht melden solle, da sie die Auseinandersetzung verlieren würde. In einem anderen Fall wurde das Dossier ohne vertiefte Prüfung geschlossen. Das war im Frühling 2023. Trotz weiterer anderer Meldungen im Sommer 2023 wurden keine weitere vertieften Abklärungen getroffen. Externe Expert:innen, die vom ‹Tages-Anzeiger› angefragt wurden, diese Fälle zu beurteilen, kritisieren die ETH. Diese hätte auch als öffentliche Institution eine Vorbildfunktion: «Als eidgenössische Hochschule haben wir auch eine Vorbildrolle und müssen unsere Werte nach aussen vertreten.» Man müsse eine Kultur hinbekommen, bei der «wir das Richtige tun».
Der Schweizer Nationalfonds hat 2023 eine umfassende Studie publiziert, wie der Anteil von Frauen in der Forschung erhöht werden könne. Die Autor:innen kommen dabei zum Schluss, dass sich die Hochschulen schwer mit solchen Fällen tun. Aus Angst vor Rufschädigung würden Vorwürfe ignoriert statt abgeklärt. Die ETH-Professorinnen Ursula Keller und Janet Hering haben sich 2022 in einem Kommentar in der Wissenschaftszeitung ‹The Lancet› ähnlich geäussert: «Das Versäumnis von Einrichtungen, angemessen und gerecht gegen akademische Belästigung vorzugehen, macht die Betroffenen nicht nur angreifbar, sondern zwingt sie auch häufig dazu, die Einrichtung zu verlassen.» Oft müssten sie auf eigene Kosten einen Rechtsbeistand einschalten.
Petition lanciert
Der ‹Tages-Anzeiger›-Artikel hat jetzt drei Organisationen dazu gebracht, mit einer Protestaktion unter dem Titel #We are shocked (Wir sind schockiert) von der ETH jetzt konkrete Massnahmen zu verlangen. Die Organisationen Women in Natural Science (WINS), 500 Women Scientists in Zurich und Speak up in Academia haben dazu eine Petition lanciert, die bereits von rund 1000 Personen unterschrieben wurde. Sie fordert, dass Meldungen von Mobbing, sexueller Belästigung und Diskriminierung entschlossen weiterverfolgt werden. Diese Vorfälle sollen dokumentiert und jährlich veröffentlicht werden, einschliesslich der von der ETH ergriffenen Massnahmen. Zudem soll ein anonymes und externes Meldeinstrument geschaffen werden, wie es beispielsweise die Universität Luzern kennt. Es soll zudem ein Rechtsfonds geschaffen werden, der Opfer unterstützt. Ausserdem soll Transparenz geschaffen werden, wieviel die ETH Zürich für Anwaltskosten für solche Fälle aufwendet. Dazu will die Petition, dass die ETH eine Berichterstattung und Untersuchung über die Gründe des Verlassens der ETH durch Doktorierende, Mitarbeitende oder Professor:innen einrichtet.
Die Organisation Speak up in Academia wurde am 8. März 2019 gegründet. Der Auslöser für die Organisation, die sich gegen sexuelle Belästigung, Mobbing und Diskriminierung in der Wissenschaft einsetzt, war der Fall eines Architekturprofessors, dem verschiedene Mitarbeitende sexuelle Belästigung, Mobbing und unangemessenes Verhalten vorgeworfen haben. Der Professor wurde in einer externen Untersuchung vom Vorwurf der sexuellen Belästigung entlastet – zum Ärger der Betroffenen. Seither gab es noch weitere andere Fälle. Margrit Hugentobler, Präsidentin von Speak Up in Akademia meint: «Bei diesem aktuellen Fall hat es uns einfach den Deckel gelupft. Wir verlangen, dass die Schulleitung endlich Verantwortung übernimmt und die klare Botschaft aussendet, dass gewisse Verhaltensweisen nicht tolerierbar sind.» Das Problem sei, dass jeweils, wenn ein Fall in den Medien ist, Besserung gelobt werde. Aber wirklich werde das Problem nicht angegangen. «Man hat auf internen Druck jetzt eine anonyme Meldemöglichkeit geschaffen,» sagt Hugentobler. «Nur kann man dort keinen Hinweis auf den Täter geben». Das heisst, man könne zwar aus den Meldungen eine Statistik machen, aber dann passiere nichts. Die ETH solle eine echte Meldestelle haben, eine Anlaufstelle für Whistleblower, wie sie auch andere Institutionen kennen. «Viele Betroffene melden sich auch erst, wenn sie nicht mehr an der ETH sind», so Hugentobler. Denn als Studierende oder wissenschaftliche Mitarbeitende sei man in einem Abhängigkeitsverhältnis. Auch solchen Hinweisen müsste nachgegangen werden. «Es ist auch im Interesse der ETH, dass man keine Talente verliert aufgrund einer schlechten Betriebskultur.» Von der Petition und von der erhöhten Aufmerksamkeit erhofft man sich den nötigen Druck, dass sich die ETH-Leitung diesem Problem wirklich annehme. «Ohne Öffentlichkeit, ohne politischen Druck passiert leider nichts», meint Hugentobler.
#WeAreShocked
Freitag, 8.11., 17 Uhr, Polyterrasse.Protest und Übergabe der Petition.