Die Dystopie unter der Wasseroberfläche

Der revitalisierte Furtbach sieht heute aus, als wäre er vom Einfluss des Menschen verschont geblieben. Trotzdem bewegt sich im Flussbett fast nichts. Eine Reportage über eines unserer vielen stark belasteten Gewässer.

Gewässerbiologe Patrick Steinmann steht bis zur Hüfte im Furtbach. Er wühlt mit einem etwas überdimensionierten Kescher an verschiedenen Stellen im Flussbett herum und hievt immer wieder Erde und Geröll in eine Plastikschale. Vorsichtig wäscht er sie aus, entfernt einige Steine und sonstige grössere Objekte und kniet sich zur genaueren Betrachtung seines Fangs hin. Eigentlich sollte es im Bett eines Fliessgewässers nur so von kleinen Organismen wimmeln. Aber: In der Probe aus dem Furtbach regt sich fast nichts. Obwohl wir an einem revitalisierten, naturnahen Abschnitt stehen, wo die Natur wieder relativ unberührt aussieht. Patrick Steinmann kommt schon seit zehn Jahren immer wieder hierher, wo von den Gemüsefeldern her Pestizide in den Furtbach fliessen, wo hundert Meter flussabwärts die Kläranlage Otelfingen und einige hundert flussaufwärts die ARA Furthof gereinigtes Siedlungsabwasser beisteuern. Ein Ökosystem existiert hier nur noch mit Müh und Not.

Anfang Jahr stellte Regierungsrat Martin Neukom im Gewässerschutzlabor des Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) den Gewässerbericht 2022 den versammelten Medien vor. Aus dem Bericht geht sehr kurz zusammengefasst hervor: Die Zürcher Gewässer waren schon in viel schlechterem Zustand, aber uneingeschränkt gut geht es ihnen auch nicht. Ganz grundsätzlich gibt es für ein gesundes Gewässer drei Bereiche, die stimmen müssen: die Wasserqualität, also der chemische Aspekt, die Wasserquantität, also wieviel Wasser überhaupt fliesst, und zuletzt die Struktur des Gewässers, also wie Wasser fliesst, ob zubetoniert oder naturnah gestaltet. Wenn diese drei Bereiche ‹gesund› sind, müssten es auch die Biologie und das Ökosystem sein. Wieso bewegt sich also im Furtbach fast nichts?

Herzige Viecher

Patrick Steinmann, den ich während einem Vormittag bei seinen Untersuchungen im Feld begleitet habe, hat mich auf der Hinfahrt schon über die herrschenden Zustände vorgewarnt. Alle vier Jahre analysiert er die Biologie im Furtbach – der Gewässerschutz begutachtet heute im Vierjahresturnus jedes grössere Fliessgewässer. Proben werden entnommen, die Biologie untersucht, das Labor macht Chemie- und Sedimentanalysen. Das Spezialgebiet von Patrick Steinmann sind die Makroinvertebraten: kleine, wirbellose Organismen wie Krebse, Insekten oder Würmer und Schnecken. Eine im Vergleich zu ihrer Relevanz für Ökosysteme wenig beachtete Tiergruppe. Denn das Aushängeschild des Gewässerschutzes sind die Fische. Sie sind beliebt, nahbar, und wichtig. Patrick Steinmanns Makroinvertebraten hingegen sind weniger greifbar, für viele vielleicht ein bisschen ‹gruusig›. Zumindest unsympathischer als ein Fisch es wäre. Aber wenn es den wirbellosen Kleintieren nicht gut geht, geht es dem Fisch nicht gut.  Fehlt der (durchaus niedliche) Bachflohkrebs, Coverstar des diesjährigen Gewässerberichts, fehlt auch die Bachforelle. Und im Furtbach geht es dem Bachflohkrebs gar nicht gut. Das Gewässer ist schon lange ein Problemkind des Kantons Zürich: Pflanzenschutzmittelintensiver Gemüseanbau, viel
Siedlungsraum, drei Kläranlagen, das alles hat zur Folge, dass der Furtbach seit Jahrzehnten stark belastet wird. Und auch dieses Jahr ist er eines der am stärksten belasteten Gewässer im Kanton Zürich.

Seit Jahren werden hier in den Analysen der Gewässerqualität hohe Konzentrationen an Pflanzenschutzmitteln und Mikroverunreinigungen aus dem häuslichen Abwasser nachgewiesen. Bei einer Messkampagne von 2019 wurden etwa die Zielwerte bei mehreren Pestiziden mehr als hundertfach überschritten. Und ganz generell: Auch in den grossen und mittelgrossen Gewässern erfüllen laut Gewässerbericht erst 30 Prozent der Proben die Qualitätsanforderungen der Gewässerschutzverordnung, 2015 waren es erst lediglich 10 Prozent.

Feldforschung

Aber zurück zum Gewässerbiologen, der bis zur Hüfte im Furtbach steht. «Vor zehn Jahren floss das Wasser hier noch in einem begradigten Kanal. Trotz Revitalisierung hat sich die Biologie nicht verbessert.» Die zuvor geäusserte leise Zuversicht von Patrick Steinmann, dass es dieses Jahr besser aussehen könnte angesichts der vielen Arbeit, die in den Furtbach gesteckt wurde, wird auch dieses Jahr enttäuscht. In der ersten Probe, vielleicht zwei Kilo Schlamm, Erde und Geröll in einer Plastikschale, die der Gewässerbiologe später in Einmachgläsern zurück ins Labor bringt, bewegt sich fast nichts. Keine aufgescheuchten Kleintiere, kein unaufmerksamer Fisch, fast keine Viecher. Die Probe erscheint wenig lebendig. Was aber auch zu erwarten war. Patrick Steinmann weiss um den Handlungsbedarf, auch ohne den Blick in den Plastikbehälter. Und der Handlungsbedarf wird knappe dreissig Meter entfernt nochmals unterstrichen. Denn dort verläuft der Dorfbach von Otelfingen – ein begradigter Kanal entlang einer Landstrasse, der vom Wald her durch das Dorf und knappe zehn Meter nach der zweiten Stelle, wo Patrick Steinmann eine Probe entnimmt, in den Furtbach fliesst. Er steigt die Böschung hinab, stochert im künstlichen Flussbett herum, wühlt den Schlamm auf und lädt alles wieder in der Plastikschale ab. Und zu meiner Überraschung: Kaum gibt der Biologe etwas Wasser ins Sediment, wimmelt und zappelt alles. Obwohl der revitalisierte Furtbach ganz oberflächlich eigentlich nach einem schöneren Habitat aussieht. Und alles Leben im Dorfbach fliesst einige Meter weiter in den quasi leblosen Furtbach. «Wenn wir fünfzig Meter flussabwärts wieder eine Probe nehmen, würde sich nichts bewegen», kommentiert Patrick Steinmann, und ergänzt: «Es reicht eben nicht, nur die Struktur des Gewässers mit einer Revitalisierung zu verbessern. Auch die Wasserqualität muss besser werden, damit ein vielfältiges Leben im Bach wieder möglich wird.»

Wir steigen wieder ins Auto und fahren den Feldweg entlang des Furtbachs flussaufwärts hinauf, vorbei am Golfpark Otelfingen zur letzten Probestelle, weil Regen einsetzt, was eine zuverlässige Probeentnahme erschwert. Aus derselben Richtung wie der Dorfbach, optisch auch sehr ähnlich angelegt, fliesst wieder ein begradigter Kanal in den Furtbach: der Bännegraben. Hier wurde 2019 die höchste Konzentration an Mikroverunreinigungen im Kanton Zürich festgestellt – Insektizide in einer 1262-fachen Konzentration der Zielvorgabe. Im Wasser des Grabens steht ein Metallzylinder – eine Pumpe, die über längere Zeit stetig kleine Mengen Wasser auffängt, um eine zuverlässige Messung vornehmen zu können. Oberhalb des Grabens erstreckt sich ein Gemüsefeld zwischen Bännegraben und dem Weg entlang des Furtbachs. Und wie die Probe aussieht, kann auch ich als Laie mittlerweile denken: so leblos wie im Furtbach. Man merkt Patrick Steinmann die Frustration an: «Die Krebschen, die es vorher hatte, müsste es auch hier haben – in grossen Mengen. Das Gewusel, das wir vorher gesehen haben, fehlt hier komplett. Das ist nicht normal.» Dass sich dennoch ein bisschen Leben bewegt, besänftigt wenig: «Hier kriecht zwar ein Käfer, hier eine Libellenlarve, aber das sind auch extrem hartnäckige Viecher. Und der Käfer atmet nicht über Kiemen, sondern an der Oberfläche, wodurch er den Schadstoffen nicht so stark ausgesetzt ist. Deshalb leben die noch.»

Massnahmen und Regulierung

Obwohl alles andere als normal, sind solche Beispiele wie der Bännegraben keine Rarität. Der Verursacher für den so stark belasteten Lebensraum, der hier entstanden ist, befindet sich entlang des Grabens. Auch ein Blick in den Gewässerbericht offenbart einen eigentlich gut bekannten Hauptschuldigen – Pflanzenschutzmittel. Oder genauer: Pyrethroide, eine Gruppe synthetischer Insektizide, die bereits in einer Konzentration im Bereich Nanogramm (!) pro Liter hochtoxisch für Wasserorganismen sind. Es gibt zwar durchaus andere Schadstoffgruppen wie zum Beispiel Schwermetalle oder Arzneimittel, wo sich die Werte aber über die Jahre teils deutlich verbessert haben. Bei den Arzneimitteln ist übrigens Diclofenac, also der Wirkstoff, der beispielsweise in Voltaren vorhanden ist, hochtoxisch für Fische. Er gelangt über die Siedlungsabwasser in die Fliessgewässer. Wie bei den Pyrethroiden reicht eine winzige Menge, um grosse Auswirkungen auf die Fauna zu haben. Der Gewässerschutz warnt schon lange vor solchen Stoffen, die Risiken – sowohl für das Ökosystem im Wasser als auch an Land – sind bekannt.

Massnahmen gegen die Abschwemmungen ins Gewässer gibt es durchaus: Die Waschplätze der Feldmaschinen müssen mittlerweile das Abwaschwasser in einem separaten Container auffangen. Und die Felder haben Pufferstreifen, die verhindern sollen, dass die Pestizide neben dem Gemüse landen. Auch am Bännegraben existiert all das. Aber es reicht offensichtlich nicht. Und die Schuld trägt nicht der Bauer: «Bei der Zulassung wird viel vorgeschrieben, die Bauern werden geschult, treffen die erarbeiteten Massnahmen, dass die Stoffe nicht in die Umwelt gelangen. Es gibt klare Vorgaben, was, wann, wie, wo und wie lange eingesetzt wird – der Bauer kann Pestizide nicht einfach nach Gutdünken einsetzen. Das ist alles reguliert.» Es fragt sich: Wenn der Bauer alles richtig macht, macht es auch die Maschinerie hinter Regulation und Zulassung? Deren Vorgehen sieht folgendermassen aus: Wenn es auch bei korrekter Anwendung zu einer übermässigen Pestizidbelastung im Gewässer kommt, müsste die Zulassung eines Produkts überprüft werden. Dieser Mechanismus wird durch die revidierte Gewässerschutzverordnung seit diesem Jahr ermöglicht. Eine Überprüfung erfolgt allerdings nur bei verbreiteter und wiederkehrender Überschreitung und nur für Stoffe, die in der Gewässerschutzverordnung explizit geregelt sind, was bisher erst für 19 Pflanzenschutzmittel und drei Arzneimittel der Fall ist. Und im Übrigen: Die Verkaufsmenge von Pflanzenschutzmitteln, die einen Wirkstoff mit besonderem Risikopotenzial beinhalten, und auch die der Pyrethroide, ist in den letzten zehn Jahren wenn überhaupt nur minim gesunken. Ein Rückgang der Verkaufsmengen ist lediglich bei den Herbiziden klar aus der Grafik im Gewässerbericht ersichtlich. Vielleicht muss also auch das Bewusstsein geschärft werden, was hier konkret überhaupt auf dem Feld gesprüht wird.

Unbemerkter Kollaps?

Die Witterung lässt weitere Probeentnahmen nicht zu. Wir fahren zurück nach Zürich ins Gewässerschutzlabor des Awel, wo Martin Neukom einige Monate zuvor noch erklärt hatte, man habe Fortschritte gemacht. Aber, mit etwas Polemik, wieviel schlimmer kann es denn sein als quasi tot? Zumindest ein wenig muss relativiert werden: Im Furtbach hat sich die Wasserqualität verbessert. Die Belastung mit Mikroverunreinigungen ist aber immer noch weit von den Zielvorgaben entfernt – und der Furtbach längst nicht das einzige belastete Fliessgewässer. Insektizide sind zudem auch nicht das einzige Problem. 

Strassenabwasser und Verkehr, Belastungen durch Siedlungsgebiete, die per Kläranlage in Fliessgewässer geleitet werden, die Industrie – alle diese Aspekte tragen dazu bei, dass es den Gewässern seit Jahrzehnten nicht gut geht. Und vielleicht hat man die Auswirkungen auch erst zu spät erkannt. Patrick Steinmann erklärt: «Der Artenschwund, der an Land festgestellt wird, ist in den Gewässern schon früher passiert. Die Mengen an Chemie, Gülle und Abwasser, die wir in den 1950er- und 60er-Jahren die Bäche heruntergespült haben, hatten sicher einen grossen Artenverlust zur Folge, der nicht erkannt wurde. Heute stellen wir eine leichte Erholung fest, aber wir sind sicherlich weit von der Artenvielfalt von vor 100 Jahren entfernt.» 

Das zeigt sich im Gewässerbericht beispielsweise im Fischfang, wo ein Kollaps durchaus erkennbar ist. In den frühen 1980er-Jahren stürzt die Zahl der gefangenen Fische in den Keller. Grössere Fischsterben häufen sich in derselben Zeit – sind heute aber wieder zurückgegangen. Was nicht unbedingt positiv ist: «Nur weil es weniger Fischsterben gibt, heisst es nicht, dass es den Fischen gut geht – es gibt  einfach sehr viel weniger Fische, die bei einer akuten Gewässerverschmutzung sterben könnten.»

Zusammengefasst: Seit Pflanzenschutzmittel grossflächig eingesetzt werden, sind unsere Fliessgewässer in unmittelbarer (und auch weniger unmittelbarer) Nähe zu Landwirtschaftsflächen zu einem Cocktail aus Wasser und unzähligen Giften geworden. Die Überschreitungen sind dabei zumindest heute selten so dramatisch wie bei den Pyrethroiden. Aber nicht nur Pflanzenschutzmittel sind Schadstoffe. Viele Werte aus anderen Schadstoffquellen, die früher in viel zu grossen Mengen in natürliche Ökosysteme gelangt sind, haben sich verbessert. Dennoch werden wir auch in Zukunft die dramatischen Ausreisser, Pyrethroid-Namen gefolgt von einem tiefroten Kästchen und darin einer mehrstelligen Zahl erwarten müssen, solange das regulatorische System sie nicht verbietet. Sie ‹sicher› zu machen, scheint unrealistisch angesichts der winzigen Mengen, die ins Wasser gelangen müssen, um dieses sozusagen unbewohnbar zu machen. 

Vielleicht braucht es aber gar nicht so viel Effort. Schliesslich ist die Zahl der hochproblematischen Stoffe eine kleine, wie Patrick Steinmann schon auf der Hinfahrt erklärt hatte: «Es ist nicht so, dass man generell alle Pflanzenschutzmittel verbieten müsste. Wenn wir nur fünf bis zehn Stoffe aus dem Verkehr ziehen würden, hätten wir eine komplett andere Situation. Es sind einige wenige Sünder, und diese Sünder können wir benennen.»

Zur Person

Patrick Steinmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) im Bereich Oberflächengewässerschutz. Der Gewässerbiologe ist spezialisiert auf wirbellose Kleintiere, sogenannte Makroinvertebraten.

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