Die Biodiversitäts- und die Klimakrise nicht gegeneinander ausspielen
Die Akademien der Wissenschaften Schweiz verstehen ihre Publikation mit dem Titel «Ausbau erneuerbarer Energien biodiversitäts- und landschaftsverträglich planen» als «Beitrag zu den internationalen Nachhaltigkeitszielen 7, 13 und 15». Herausgeberinnen sind die Akademien der Wissenschaften Schweiz (a+), die erweiterte Energiekommission der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (Scnat), das Forum Biodiversität Schweiz, das Forum Landschaft, Alpen, Pärke (FoLAP), ProClim und das Forum für Klima und globalen Wandel. Die eingangs erwähnten Nachhaltigkeitsziele lauten wie folgt: «Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern», «umgehend Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen» und «Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern». Im Untertitel der Publikation steht, worum es sich bei diesem Beitrag konkret handelt, nämlich um einen «kommentierten Kriterienkatalog mit Vorschlägen für die konkrete Umsetzung für Photovoltaik-Freiflächenanlagen». Untersucht werden beispielsweise Kriterien zur Energieproduktion, zur Biodiversität und zur Landschaft.
«Zielkonflikte vermeiden»
In der Zusammenfassung halten die Autor:innen fest, «auch wenn der Ausbau von Solaranlagen auf Gebäuden und Infrastrukturen das geringste Konfliktpotenzial aufweist und prioritär forciert werden soll, können Anlagen ausserhalb von Bauzonen eine wichtige Ergänzung zur sicheren Energieversorgung sein». Dabei existierten jedoch «verschiedene Zielkonflikte, so auch mit der Erhaltung und Förderung von Biodiversität und Landschaftsqualität». Mit ihrem Projekt zu einer räumlichen Planung von erneuerbaren Energieanlagen ausserhalb von Bauzonen sowie unter Einbezug der Ziele zu Biodiversität und Landschaft wollen sie folglich dazu beitragen, «diese Zielkonflikte zu vermeiden und/oder zu entschärfen».
Das Ziel ihres Projekts sei es, die Planung von Gebieten für erneuerbare Energieanlagen zu unterstützen, «damit unter Einbezug der vorhandenen wissenschaftlichen Grundlagen Gebiete identifiziert werden können, die möglichst wenig Konflikte mit Biodiversität und Landschaftsqualität aufweisen». Damit werde den Kantonen, die «den gesetzlichen Auftrag haben, geeignete Gebiete für solche Anlagen in ihren Richtplänen auszuscheiden», aber auch den Energieproduzent:innen und weiteren Interessierten «eine entsprechende Planungshilfe zur Verfügung gestellt», halten die Autor:innen fest. Sie stellen aber auch klar, wo die Grenzen ihrer Arbeit liegen: «Die vorliegenden Kriterien können jedoch weder den Richtplanungsprozess noch die Beurteilung von Einzelanlagen ersetzen.» Worin der wohl wertvollste Beitrag solcher Publikationen besteht, ist im letzten Teil des letzten Satzes der Zusammenfassung nachzulesen: «Mit dem vorliegenden Bericht bezwecken die Akademien, einen Beitrag zur nachhaltigen Raumnutzung im Sinne einer integralen Planung zu leisten, damit die Biodiversitäts- und Klimakrise nicht gegeneinander ausgespielt werden.»
Gute Planung einst und jetzt
Dass die Wissenschaftler:innen mit diesem Bericht Bezug nehmen auf den Mantelerlass und damit auf das Stromgesetz, über das wir am 9. Juni abstimmen, versteht sich von selbst. Im Kapitel «Ausgangslage» erwähnen sie zusätzlich den Solarexpress, der per 30. September 2022 in Kraft getreten ist. Bei diesem bestehe jedoch «das Risiko einer räumlichen Verzettelung»: «Umso wichtiger ist es, dass das in der Raumplanung geltende Konzentrationsprinzip, das auch im Bericht der Akademie der Wissenschaften Schweiz (a+) (2012) in Form der sogenannten Energielandschaften erwähnt wird, möglichst konsequent umgesetzt wird.» Dieser Bericht von 2012 empfehle zum Beispiel, Photovoltaik-Freiflächenanlagen ausschliesslich in diesen Energielandschaften zu platzieren. Diese räumliche Konzentration bedinge jedoch eine gute Planung nach dem Prinzip des Baus «am besten geeigneten Standort», und für ebendiese Planung würden mit dem aktuellen Bericht die Grundlagen zur Verfügung gestellt. Klammer auf: Gedanken zum Ausbau der Erneuerbaren hat man sich offensichtlich schon vor über zehn Jahren gemacht, nur mit der Umsetzung scheint es nach wie vor zu hapern… Klammer zu.
Als Kriterien für die Energieproduktion werden unter anderem Flächen mit hohem Potenzial für Winterstromproduktion oder ein vorhandener bzw. geplanter leistungsfähiger Netzanschluss in der Nähe genannt. Bei den Biodiversitätskriterien wird die Festlegung der Gebiete im Richtplan als «ausschlaggebender Schritt» vorausgeschickt. Als Kriterien nennen die Autor:innen etwa, dass in diesen Gebieten keine geschützten bzw. schützenswerten Flächen für die Biodiversität enthalten sind oder keine Vernetzungskorridore beeinträchtigt würden. Unter den Landschaftskriterien sind unter anderem Gebiete erwähnt, die eine «hohe Intensität der Landschaftsnutzung» aufweisen sowie bestehende Infrastruktur «oder Nähe zu dieser». Die Autor:innen halten aber auch fest, dass nicht zu allen Landschaftskriterien umfassende wissenschaftliche Grundlagen vorhanden seien: «So handelt es sich zum Beispiel bei der Landschaftsqualität um eine wahrgenommene Grösse mit zeitlicher Dynamik, die laufend neu beurteilt werden muss, sich aber durchaus (sozial-)wissenschaftlich erfassen und beurteilen lässt.» Spätestens beim Kriterium «Akzeptanz» fühlt man sich mitten in aktuelle Debatten versetzt: «Die lokale Akzeptanz kann stark von der Einsehbarkeit eines Standortes abhängen. Hier gehen die Expertenmeinungen auseinander – es gibt auch Stimmen, die befürworten, dass die Anlagen explizit sichtbar sein sollen.» Fazit: Der übersichtlich gestaltete und gut lesbare Bericht zeigt, dass der Ausbau der Erneuerbaren ohne ein «Zubetonieren der Alpen» oder ähnliche Schreckensszenarien nicht nur möglich ist, sondern dass obendrein sinnvolle Kriterien und Vorschläge zur Umsetzung bereits vorhanden sind.
ZUR PUBLIKATION
Neu U, Ismail S, Reusser L (2024): Ausbau erneuerbarer Energien biodiversitäts- und landschaftsverträglich planen. Swiss Academies Communications 19 (1)