«Der Wunsch einer Mutter ist nicht von Belang»

Ali Asgari und Alireza Khatami zeigen in neun Episoden den iranischen Alltagsirrsinn. Die Kontrollparanoia des Regimes frisst sich in «Terrestrial Verses» in sämtliche nur erdenklichen Lebensbelange, was ohne realpolitischen Hintergrund zum Brüllen komisch wäre.

Formal sind alle neun Episoden mit einem fest installierten Bildausschnitt frontal gefilmt, eingerahmt von einem geruhsamen Erwachsen der Millionenstadt Teheran und ihrem tektonischen Einsturz als eigentliches Kartenhaus und einem körperlich sichtbaren in sich Zusammensinken eines hundertjährigen Mannes (Ardeshir Kazemi). Ein junger Vater (Bahram Ark) möchte seinen Sohn ins Zivilstandsregister eintragen lassen, aber der gemeinsam mit der Mutter auserkorene Taufname ist nicht iranisch. Ein Schulmädchen (Arghavan Shabani) verschwindet während einer Anprobe zum ordentlichen Gewand für die Jahresabschlussfeier unter mehreren Laufmetern Stoff. Eine Schülerin (Servin Zabetian) wird von der Schulrektorin gelinde gesagt erpresst, weil sie anscheinend dabei gesehen worden ist, wie sie sich von einem unbekannten Mann auf dem Motorrad hat in die Schule fahren lassen. Eine Autofahrerin (Sadaf Asgari) muss um die Beibehaltung ihrer Fahrerlaubnis zittern, weil unscharfe Überwachungskameras eine Person ohne Kopftuch am Steuer ihres Autos zeigen. Eine überqualifizierte Bewerberin für eine Stelle als Bürokraft (Faezeh Rad) könnte sich allfällig für eine der künftig frei werdenden Stellen in Position bringen, würde sie sich nur ein klein wenig zutraulicher geben. Ein junger Mann (Hossein Soleymani) will nach bestandener Fahrprüfung seinen Führerschein abholen und muss sich dafür nicht nur im übertragenen Sinn nackig ausziehen. Ein Bauarbeiter (Majid Salehi) muss seine Berufsqualifikation während eines Bewerbungsgespräches über die strikte rituelle Einhaltung der Gebetswaschung unter Beweis stellen. Ein Filmemacher (Farzin Mohades) verteidigt sein Drehbuch vor der Zensurbehörde. Eine Frau (Gouhar Kheir Andish) fragt auf dem Polizeiposten nach dem Verbleib ihres polizeilich eingesammelten Hundes.

Absurde Regeln erzeugen sinnfreie Lösungen

Die neun Personen stehen immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem Gegenüber, das seine/ihre Macht nicht allein aus reiner Bosheit bis zuletzt auskostet, sondern selbst darauf angewiesen ist, eifersüchtig auf die Einhaltung der absurdesten Regel zu achten, um diese vermeintlich privilegierte Berufssituation auch fürderhin ausüben zu dürfen. Die beiden Filmemacher sind klug darin, offensichtliche Widersprüche nicht in ein- und derselben Episode in sich aufzulösen, sondern bieten einem aufmerksamen Publikum mehrere parallele Spannungsbögen, die sich genauso unerwartet, wie sie sich etabliert haben, auch wieder auflösen und in dieser Weise letztlich einen eigentlichen Kommentar bilden. Darin sind das Duzen von Arbeitssuchenden und die höchstens leidlich verklausulierte sexuelle Annäherung an Untergebene die noch am geringsten perfiden Auswüchse.

Komplexer wirds, wenn eine zur Durchsetzung der Regeln verpflichtete Angestellte auf die Widersprüchlichkeit ihrer Grundannahme hingewiesen wird und damit die eigene Integrität in Gefahr sieht. Oder wenn sich die Definitionsmacht da­rüber, was ursächlich als iranisch angesehen werden darf, von einem entsprechend vorbereiteten Sermon einer Beteuerung bestärkt wird, während andernorts just die genauso gut auswendig gelernte Begründung der Annahme, etwas sei iranisch oder eben nicht, bei Licht betrachtet, das pure Gegenteil der ersten strikt einzuhaltenden Regel bedeutet, die alleinige Spurensuche nach Halt in einer vermeintlichen Geschichte also insgesamt als vollkommen luftleeren Nonsens offenbart. Jetzt sind – dem Vernehmen nach – Bürokraten aus eigentlich fast allen ideologisch getriebenen Strukturen bekannt, die alles über einen Kamm von richtig und falsch scheren (können) und genauso wenig iranspezifisch ist auch, wie eine dadurch erwachsene kolossale Verunsicherung zu jeder Zeit irgend etwas auf jeden Fall falsch machen zu können und damit potenziell drakonischen Sanktionen ausgesetzt zu sein, jedwedes aktive Bemühen erfolgreich untergraben, eine einvernehmliche oder von mir aus sogar vernunftbegabte Lösung nur schon ins Auge zu fassen. Reihum und durchdringend.

Die List, mit der sich die Bittsteller:innen deutlicher oder subtiler zur Wehr zu setzen verstehen, hebt sie nicht etwa von den Bürokraten ab, sondern verdeutlicht bloss die situativ bedingte Kluft von zwei in verschiedenen Rollen aufeinandertreffenden Personen, die letztlich aber unter den exakt denselben oktrojierten Mängeln des Systems leiden.

«Terrestrial Verses» spielt im Kino Frame.