Der Stern des Anstosses

Der Erfolg der nonbinären Person Nemo am grossen Liederwettbewerb hat die Kommentator:innen vor neue Herausforderungen gestellt. Viele haben sich redlich Mühe gegeben, sich inklusiv auszudrücken und Pronomen zu vermeiden. Das klingt umständlich, und viele Dinge sind auf diese Weise gar nicht wirklich sagbar, da uns die Formen dafür fehlen. «Nemo hat gewonnen, weil Nemo ein:e super Gesangsperson ist» etwa klingt mehr wie ein Witz als wie eine Aussage. Und so poppte beim Versuch, alle Stolpersteine zu umgehen, früher oder später doch immer wieder ein «er» oder ein Maskulinum auf. 

Als ich in den 1980er-Jahren anfing, linke Zeitungen zu lesen, war die erste Welle des Genderns gerade zu uns übergeschwappt. Die ‹Wochenzeitung› hatte das Binnen-I eingeführt als quasi revolutionären Akt gegen das verkrustete Patriarchat. So konnten wir uns als junge Linke sprachlich jederzeit positionieren, indem wir (noch ohne ein Wort dafür zu haben) genderten, was das Zeug hielt. Dass die Sprache dadurch umständlich und unelegant wurde, nahmen wir nicht nur in Kauf, es war quasi unser Tatbeweis dafür, dass wir es ernst meinten mit der Gleichstellung. Alle wurden jederzeit explizit mitgenannt: die Frauen wie die Männer. Leider haben wir uns damit einen BärInnendienst erwiesen.

Unterdessen ist der Versuch einer inklusiven Sprache nicht nur in der Mitte der Gesellschaft angekommen, es haben sich eben auch neue Personenkreise gemeldet, die mitgenannt werden wollen. Frauen und Männer seien nicht alle – wer sich weder als das eine noch das andere identifiziere, sei noch immer nicht mitgemeint, deshalb brauche es neue Formen. Diese jedoch sind nicht in Sicht. Genderstern, Gender_Gap und Doppelpunkt teilen alle die Nachteile des Binnen-Is: Sie sind nicht geschlechtsneutral, sondern Varianten der Paarform, der expliziten Nennung des Weiblichen und des Männlichen. Dass nonbinäre Personen als «Leser*innen» und «Leser:innen» angesprochen seien, als «LeserInnen» jedoch nicht, erklärt sich aus der Form nicht, es wurde irgendwann behauptet und ist jetzt so. Die heutigen Ausprägungen der als inklusiv verstandenen Sprache lösen so gesehen gar keine Probleme – und dafür sind sie dann doch sehr umständlich.

Aus sprachlicher Sicht sind sie sogar völlig untauglich. Es gibt keine einheitlichen Lösungen: «Studierende» oder «Student:innen» geht für Personen, die Studieren; «Kochende» jedoch nicht für jene, die professionell kochen, und 

«K(o/ö)ch:innen» o.ä. geht schon gar nicht. Und dann kennt die Sprache das sogenannte Ökonomieprinzip, sie will das Allgemeine kurz und das Spezielle ausführlicher benennen. Jedes Spiel ist ein «Spiel», ein spezielleres ist das «Fussballspiel». Beim Gendern aber ist eine nicht näher spezifizierte lesende Person «ein:e Leser:in» oder auch «eine Leserin oder ein Leser», die speziell weibliche lesende Person aber kurz «eine Leserin». Daran werden wir uns nie vollends gewöhnen, weil es gegen ein Grundprinzip der Sprache verstösst. 

Rückblickend gesehen war es von Anfang an ein Fehler, Männer und Frauen separat zu benennen. Das Problem am generischen Maskulinum, das davor die Norm war, war nicht das Maskulinum, sondern der Sonderfall des Femininums. So hat auch die feministische Linguistin Luise F. Pusch bereits in den 1980er-Jahren vorgeschlagen, die weibliche Endung ersatzlos zu streichen. Im englischen Sprachraum pochen Schauspielerinnen darauf, als «actors» angesprochen zu werden, so dass zwischen männlichen und weiblichen «actors» nicht mehr unterschieden wird. Im Deutschen ist das schwieriger, weil wir viel mehr weibliche Formen haben, aber das ist der Weg (um es mit den Mandalorianer:innen zu sagen).

Es braucht also geschlechtsneutrale Formen. Solange wir diese nicht haben, finde ich es gefährlich, inklusive Sprache zur Glaubensfrage zu machen. Es ist quasi ein Boost für die Rechten auf ihrem Kreuzzug gegen das Gendern, denn aus sprachlicher Sicht haben sie ja auch ein Bisschen recht. Ihnen aber dient die Sprache nur als Vorwand: Eigentlich meinen sie die Menschen.