Der Muschelfischer vom Zürichsee

Per Zufall hat Manuel Vock im Zürichsee Muscheln entdeckt, die dort nicht hingehören. Weil sie aber gut schmecken, verkauft er sie über sein Start-up an trendige Beizen. Nebenbei produziert er Superfood-Sprösslinge.

 

Angela Bernetta

 

Das Wasser steht ihm bis zum Hals. Konzentriert blickt Manuel Vock nach unten. Die langen Haare hat er zum Dutt verknotet. Ein Neoprenanzug hält seinen Körper warm. Auf der Nase sitzt eine Taucherbrille. Seine Hände bedienen ein langstieliges Gerät, das er nicht näher beschrieben haben will. «Betriebsgeheimnis.» Damit holt er die Muscheln aus dem Zürichsee und füllt sie in Plastikharasse.

 

Drei bis vier Stunden am Stück watet er wöchentlich durch das Seewasser. Meist bei der Seehalde in Oberrieden. Was wie eine meditative Entspannungstechnik aussieht, ist harte Arbeit: Manuel Vock ist vielleicht der erste und einzige professionelle Muschelfischer in Zürich. Der 30-Jährige ist Mitbegründer des Zürcher Start-ups «Umami», das vor allem Lebensmittel in Aquakulturen entwickelt, aber auch die Muscheln vertreibt. «Wir holen pro Woche etwa 20 Kilogramm aus dem Zürichsee.» Dies mit dem Einverständnis der kantonalen Jagd- und Fischereiverwaltung.

 

Fischer und Klimaschützer

 

Manuel Vock ist in Oberrieden am Zürichsee aufgewachsen. «Den ersten grossen Fisch habe ich mit zwei Jahren an Land gezogen.» Seit 22 Jahren ist er Mitglied beim örtlichen Fischerverein und mit der hiesigen Flora und Fauna bestens vertraut. «Seit ich denken kann, befasse ich mich mit aquatischen Ökosystemen.» Mit seiner Freundin lebt er in einem Haus in Richterswil mit Garten und Pool für Fische, Schnecken, Krebse und Pflanzen.

 

Manuel Vocks Philosophie ist zeitgemäss: Das Klima, die Umwelt und unsere Gewässer müssen geschützt, die Menschen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen angehalten und falls nötig zur Rechenschaft gezogen werden. «Wer wissen will, wie es um unsere Umwelt und das Klima wirklich steht, sollte mit Ornithologen, Insektenforschern und Fischern reden.»

 

Vor fünf Jahren habe er die Muscheln beim Fischen entdeckt. Diese gelbbraunen, grobgerippten Dinger, kaum grösser als ein Daumennagel, hatte er noch nie gesehen. Er informierte den Fisch- und Gewässerexperten Rolf Schatz aus Langnau am Albis, der eine asiatische Körbchenmuschel erkannte. Erste Exemplare dieser aus Südostasien eingeschleppten Art fand man vor gut 20 Jahren im Rhein bei Basel. Da die Muschel hierzulande keine Fressfeinde hat, vermehrt sie sich unkontrolliert, überwuchert Seegründe und Bachbette.

 

Sie hat aber auch eine positive Seite: Man kann sie essen. Und so breitete sich die asiatische Körbchenmuschel nicht nur in unseren Gewässern, sondern dank Vock auch auf unseren Tellern aus, da der ehemalige Student der Betriebswirtschaft das Potenzial des Produkts schnell erkannte. «Wir importieren Muscheln aus aller Welt. Es wäre doch schade, wenn wir unsere Süsswassermuschel nicht nutzen.» Gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern bei «Umami», Denis Weinberg und Robin Bertschinger, vermarktet Manuel Vock das Produkt gewinnbringend. Sie verkaufen die Zürichseemuschel für 50 bis 80 Franken pro Kilogramm an trendige Restaurants wie das Rosi an der Zürcher Sihlfeldstrasse, das Parkhuus Hyatt in Zürich und das Boat House in Thalwil. Der Feinkosthändler Bianchi beliefert Gastwirte ausserhalb der Stadt Zürich.

 

Microgreens als Beilage

 

«Die meisten Rezepte überlagern den Geschmack der Muschel», antwortet Manuel Vock auf die Frage, wieso einige Köche der asiatischen Körbchenmuschel lediglich ein neutrales bis schales Aroma nachsagen. «Bereitet man die Muschel angemessen zu, schmeckt sie elegant und leicht süsslich», schwärmt er. «Man brate Zwiebeln mit Butter in einer Pfanne an, gebe die Muscheln und etwas Salz dazu und serviere sie anschliessend mit Zahnstocher als Snack.»

Vock ist gleichermassen Tüftler wie kreativer Kopf bei «Umami». Für das Unternehmen entwickelte der Autodidakt eine aquaponische Anlage, die seit Mitte Jahr in einer Lagerhalle in Zürich-Altstetten steht und Microgreens produziert. Eine Sonderbewilligung vom Veterinäramt liegt vor. Die Gemüse- und Kräuterkeimlinge sind das Kerngeschäft des Unternehmens. «Wir kultivieren sie Ressource schonend, ohne Chemie und auf engstem Raum.» Damit schützen sie die Umwelt und verdienen erst noch daran. Die Keimlinge wachsen und gedeihen in einem geschlossenen Ökosystem, das Pflanzen- mit Fischzucht verbindet. «Es ist ohnehin effizienter und ökonomischer, in Kreisläufen zu denken als linear», ergänzt Manuel Vock. Da sie nach wenigen Tagen geerntet werden, gelten Microgreens als aromatisch und gesund. Für gewöhnlich isst man sie zu Salaten, Sandwiches, Käse und Fleisch. «Unsere Abnehmer sind Grossverteiler wie die Migros oder Globus.»

 

Sich auf dem Erreichten auszuruhen, ist Manuel Vocks Sache nicht. Bereits haben die Jungunternehmer neue Projekte in der Pipeline wie die Garnelenforschung. Bis 2020 wollen sie Süsswassergarnelen innerhalb des bereits vorhandenen Ökosystems züchten.

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