Der Bünzli rockt

Am 8. März titelte der ‹Blick›: «Der Alpentainer rockt das Hallenstadion» – gemeint ist der Volksmusiker Trauffer. Seine Kollegin Helene Fischer rockte dieses und letztes Jahr unter anderem Ischgl (‹Abendzeitung München›, ‹Heute›, ‹Skimagazin›), Schladming (‹Focus›) und fünfmal die Wiener Stadthalle (‹Vienna.at›), ihr Schweizer Pendant Beatrice Egli immerhin 2014 auf dem Rathausplatz von Bad Dürrheim (‹Schwarzwälder Bote›) und 2015 für einen guten Zweck (‹Zürichsee-Zeitung›). Nun will ich die musikalischen Leistungen dieser Stars des modernen Volksmusik-Pops keineswegs infrage stellen – aber «rocken» sie tatsächlich?

 

«Rocken» war ja mal etwas Wildes, Rebellisches. Die inflationäre Verwendung des Verbs für alles und jedes («IT St. Gallen rockt») zeigt, wie der rebellische Habitus schon lange im Selbstverständnis des kleinen Bürgers angekommen ist. Wir hören Volksmusik, aber – hey! – die rockt sowas von! Wir stehen täglich im Stau, aber – hey! – dabei sitzen wir im SUV, dem Symbol für unbändige Freiheit! Wir zahlen brav unsere Steuern, aber – hey! – wir haben das Konto in Liechtenstein unterschlagen! Wir sind gegen alles versichert, aber – hey! – den ‹gestohlenen› Fotoapparat haben wir auf Ricardo verkauft! Denen haben wirs aber gezeigt, wir lassen uns doch nichts vorschreiben. Geile Siechen halten sich nicht an Regeln, jedenfalls nicht im Ausgang an der Langstrasse oder in Russland an der WM, da biseln wir wie richtige Männer an die nächste Wand, wenn das Bier auf die Blase drückt.

 

Interessant ist, wie sich das Selbstverständnis des Bünzlis verändert hat: In meiner Jugend in den 70er-Jahren war der Spiesser stolz auf seine Wohlanständigkeit und grenzte sich damit ab von den Halbstarken, Kiffern und insbesondere den Linken, die er im Verdacht hatte, den Staat unterwandern oder gar abschaffen zu wollen. Heute ist der Spiesser stolz auf seine Individualität, sein Rebellentum, und grenzt sich ab von allem Bünzligen und insbesondere von den Linken, die er im Verdacht hat, den Staat übermächtig machen und ihn in seiner Freiheit beschränken zu wollen.

 

Auch die Vorstellung vom Rocker respektive Rockmusiker als einem gesellschaftskritischen Rebellen ist natürlich schon lange überholt. Die Harley Davidson ist heute ein Wohlstands-Accessoire für Familienväter, und Rockmusiker, auch die richtig harten, äussern sich (wenn überhaupt) politisch oft mehr rechts als links – Chris von Rohr etwa, Aushängeschild der früheren Rockband Krokus – flirtete öffentlich mit der SVP. Oder James Hetfield, Sänger der Band Metallica, ist gemäss ‹Wikipedia› leidenschaftlicher Jäger und Mitglied der «National Rifle Association», die sich in den USA für das Recht auf Waffentragen für alle Bürger einsetzt.

 

Nun, vielleicht darf man «Rock» auch einfach gar nicht allzu eng sehen. Wieso sollen Volksmusik-PopperInnen nicht rocken? Schliesslich umgeben sich auch Balladensänger wie Gotthard mit einem Rock-Nimbus. Das «Rock» in «Rock ’n’ Roll» kommt ja im übrigen wohl auch nicht vom «Rock», dem Fels, sondern vom Verb «to rock», wiegen, schaukeln. Und schaukeln tun Trauffer, Fischer und Egli ja bestimmt, und das Publikum umso mehr. Und, Hand aufs Herz: «Trauffer poppt das Hallenstadion» wäre als Titel wohl etwas zu zweideutig.

 

Markus Ernst

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