- Im Gespräch
Den Pazifismus für Kriege verantwortlich zu machen, ist unhaltbar
Herr Zumach, Sie bezeichnen sich als Pazifisten. Diese haben in Europa im Moment nicht gerade Hochkonjunktur. Vor allem werden unter dem Label Pazifismus auch sehr unterschiedliche Haltungen verstanden. Wie definieren Sie Pazifismus, respektive was zeichnet Pazifismus aus?
Andreas Zumach: Also zunächst mal: Heute wie auch Ende der dreissiger Jahre wird Pazifismus für Kriege, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. Das ist natürlich eine infame Unterstellung. Denn es gab in der Geschichte noch kein Land, in dem pazifistische Institutionen an der Regierung waren oder die Regierungspolitik wesentlich geprägt haben. In Deutschland hat Heiner Geissler Anfang der 1980er-Jahre der Anti-Atomwaffenbewegung vorgeworfen, Pazifismus sei verantwortlich für den Holocaust gewesen. In keinem der Länder, die von Hitler angegriffen wurden, gab es eine pazifistische Bewegung, welche die Regierungen am Widerstand gegen Hitler gehindert hätten. In Deutschland waren die wenigen Pazifist:innen schon lange in den Konzentrationslagern oder ermordet, als der Holocaust begann…
Auch aktuell: Es sind natürlich nicht die Pazifist:innen, welche für den Krieg in der Ukraine verantwortlich sind, sondern es ist Putin, der den Krieg ausgelöst hat.
Aber es ist tatsächlich hilfreich, sich bei diesem Thema zuerst mal auf ein Verständnis von Pazifismus festzulegen, damit wir wissen, wovon wir reden.
Zur Person
Der gut 70jährige Andreas Zumach ist seit rund 50 Jahren in Sachen Krieg und Frieden unterwegs. Anfang der 1980er-Jahre war er Mitorganisator der grössten Demonstrationen der Bundesrepublik gegen das atomare Wettrüsten. Als Journalist war er UNO-Korrespondent, u.a. für die deutsche taz, aber auch für Schweizer Medien. Er wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Göttinger Friedenspreis oder dem UNO-Preis für Excellence im Journalismus. Der UNO- und Völkerrechtsspezialist verfasste auch mehrere Bücher, u.a. 2005 «Die kommenden Kriege. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn – Präventivkrieg als Dauerzustand?» oder 2021 «Reform oder Blockade. Welche Zukunft hat die UNO?».
Wo sehen Sie denn die entscheidenden Punkte?
Pazifismus beinhaltet ganz grundsätzlich den Willen, Konflikte möglichst frühzeitig zu erkennen und mit allen möglichen zivilen und demokratischen Instrumenten zu bearbeiten und einer Lösung zuzuführen. Das reicht dann von ganz persönlichen Beiträgen bis hinauf zur UNO. Sollte ein Konflikt eskalieren, ist es wichtig, dass sich Pazifist:innen dann nicht einfach abwenden, sondern sich gerade dann einmischen und fordern, die Gewalteskalation zu beenden, in einem ersten Schritt mit vertrauensbildenden Massnahmen wieder zu Verhandlungen zu kommen. Dazu ist auch eine UNO-Truppe notwendig, die sich nicht aus Länderkontingenten zusammensetzt, sondern wirklich unter dem Kommando der UNO funktioniert und eine Schutzzone zwischen Kriegsparteien bilden kann.
Schliesslich bildet die Versöhnung einen wichtigen Aspekt des Pazifismus. Eine weitere Säule bildet die Glaubwürdigkeit. Und die bedeutet im konkreten Beispiel, die russische Aggression beim Namen zu nennen. Kürzlich fand in Berlin eine Kundgebung gegen diesen Krieg statt. Leider fehlten im Aufruf dazu Forderungen an die russische Seite völlig. Ich konnte daher diesen Aufruf wie viele andere auch nicht unterzeichnen, da ich sonst meine Glaubwürdigkeit absolut aufs Spiel gesetzt hätte.
Beim Angriff Putins gab es Aufrufe an russische Truppen, die Waffen niederzulegen und an die ukrainische Bevölkerung, nur gewaltlose soziale Verteidigung zu betreiben.
Ich bin an sich ein Fan der Konzepte für gewaltfreien Widerstand und soziale Verteidigung. Die Ehrlichkeit gebietet es jedoch zuzugeben, dass weder in Deutschland noch sonst wo in Westeuropa diese Konzepte wirklich in der Bevölkerung verankert sind. Auch in der Ukraine, die 2014 mit der Krimbesetzung einen massiven Aggressionsschock erlebte, wurden diese Konzepte kaum trainiert.
Es ist auch so, dass rein völkerrechtlich gesehen sich die Ukraine natürlich mit militärischen Mitteln gegen den Aggressor wenden darf und es ist auch völkerrechtlich in Ordnung, wenn andere Staaten die Ukraine dabei unterstützen. Das ist im Einklang mit der UNO-Charta. Trotzdem – und das ist interessant – gab es in verschiedenen Dörfern gewaltlose Widerstandsaktionen von Ukrainer:innen und auch Reaktionen von russischen Soldaten.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in der Ukraine?
Einfach mal vorweg: Es wäre wichtig, dass man der Ukraine einen weiteren Kriegswinter ersparen könnte. An diesem Beispiel zeigt sich auch der Wechsel der Bedeutung der Atombomben: 50 Jahre hat man uns eingetrichtert, die Atombombe sei der Friedensgarant schlechthin. Bei der Ukraine zeigt sich nun, dass die Atombombe kriegsverlängernd wirkt. Die Unterstützung für die Ukraine geht immer nur soweit, Putin nicht so sehr zu ärgern, dass er die Atombombe einsetzt. Und der Krieg zeigt auch, wie sich der Westen immer wieder in Putin getäuscht hat. Zuerst wurde Selenski geraten, das Land zu verlassen und ins Exil zu gehen, weil man der Ukraine keine Chance gab. Putins Kampfmaschinerie wurde massiv überschätzt. Als dann die Ukraine militärische Erfolge vorweisen konnte, schlug das Pendel um in eine enbeso falsche Fehleinschätzung: Nun redete man ernsthaft von der Möglichkeit, «Putin zu besiegen». Und so wurde beispielsweise die grosse Möglichkeit eines Waffenstillstandes vergeben, der auf Verhandlungen in Istanbul im März 2022 basiert hätte und vorsah, dass die Ukraine ein «neutrales» Land werden sollte – ohne ausländische Militärstützpunkte, aber mit Sicherheitsgarantien anderer Staaten. Aktuell könnte zum Beispiel ein Weg sein, dass die Nato Putin in Sondierungsgesprächen signalisiert, dass sie die in den letzten Jahren aufgekündigten Rüstungskontrollverträge wieder in Kraft setzt …
Inzwischen dient Putins Aggressionskrieg eher dazu, eine gewaltige Aufrüstung zu rechtfertigen.
Das wird so erzählt, ist aber nicht so. Gerade deutsche und französische Rüstungsprogramme waren schon weitgehend in der Pipeline, als Putin die Ukraine überfallen hat. Die jetzige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat 2019, ihrem letzten Jahr als deutsche Militärministerin, Mehrausgaben für die Bundeswehr von mindestens 130 Milliarden Euro gefordert. Aber vor dem 24. Februar 2022 war der politische Wille, massiv in die Rüstung zu investieren bei gleichzeitigem Sozialabbau, in der Bevölkerung zu wenig verankert. Das hat sich schlagartig geändert. Aber man muss nicht glauben, diese Rüstungsprogramme seien nicht schon weit vorangetrieben gewesen.
Keine rosigen Aussichten….
Nein, generell für soziale progressive Bewegungen. Wir müssen wieder sehr viel Basisarbeit machen, reden, aufklären. Und die Hoffnung nicht aufgeben.
Zur Schweiz und der UNO
Andreas Zumach, Sie waren viele Jahre in Genf als UNO-Korrespondent tätig. War das nicht wahnsinnig frustrierend, ständig die Machtlosigkeit der UNO rapportieren zu müssen?
Nein, ich hatte das Glück, dass während einem Teil meiner Zeit auch Aufbruchstimmung herrschte. Mit Michail Gorbatschow, und dem doch grossenteils friedlichen Ende der DDR, der KSZE, kam wirklich Hoffnung auf, dass zumindest in grosssen Teilen Europas so etwas wie ein gemeinsames Sicherheitssystem etabliert werden könnte.
Nur hat diese Aufbruchstimmung nicht sehr lange angehalten. Auch wichtige Reformen der UNO fanden nicht statt. Das Vetorecht ist überholt. Seit 2000 ist das aber wieder alles vorbei. Trotzdem hätte es ohne UNO vermutlich mehr Kriege oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegeben.
Gerade geht eine zweijährige Mitgliedschaft der Schweiz im Sicherheitsrat zu Ende. Hat man davon etwas gespürt?
Kaum. Zwar hat die Schweiz in den ersten zehn Jahren des Jahrtausends mit den unter Aussenministern Micheline Calmy-Rey ermöglichten Verhandlungen über die Genfer Initiative für eine gerechte Zweistaatenlösung sowie mit wesentlichen Beiträgen zur Reform der UNO-Menschenrechtskommission (heute: Menschenrechtsrat) eine wichtige Rolle gespielt. Ob jetzt die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat so wichtig war, sehe ich vielleicht etwas skeptischer als die wenigen Interessierten in der Schweiz. Ich denke, die Wirkung nach innen wie nach aussen wäre grösser, wenn die Schweiz ihren auf UNO-Ebene eingegangenen Verpflichtungen verbindlicher nachkommen würde – sprich den Atomsperrvertrag wirklich zu ratifizieren, die Klimaziele von Paris oder die Ergebnisse des Gipfels von Rio zu Umwelt und Entwicklung stärker vorantreiben würde.