Den Menschen sehen, nicht (nur) die Maschine

Am Sonntag ging in Zürich die «Cycle Week» zuende. Wie in früheren Jahren gab es verschiedene Veranstaltungen, darunter ein angenehm kurzes, aber umso spannenderes Podium zu Fragen rund um die Sicherheit im Stadtverkehr.

Wie kann Velofahren in Zürich sicherer werden? Diese Frage stand am Samstag an einem Podium an der Cycle Week im Mittelpunkt. Im Pavillon der Stadt Zürich diskutierten unter der Leitung von Peter Röthlisberger die Stadträtinnen Karin Rykart und Simone Brander mit Yvonne Ehrensberger, Geschäftsleiterin Pro Velo Kanton Zürich, und der Lastwagenfahrerin Xenia Zähner.

Blickkontakt statt Toter Winkel

Zum Einstimmen gab es ein Video zu sehen, das Yvonne Ehrensberger und Xenia Zähner zusammen gedreht haben. Es zeigt nicht nur anschaulich, wie ‹winzig› die Velofahrerin neben dem Lastwagen wirkt: «Hier, direkt neben dem Lastwagen, darf man einfach nie stehen, das ist ein No-Go», sagt die Lastwagenfahrerin. Sie betont aber auch, wie wichtig es sei, gut aufeinander zu schauen. Wenn beide dächten, es reiche grad noch, um rasch durchzufahren, oder wenn beide davon ausgingen, der:die andere habe sie schon gesehen, könne es böse enden. «Wenn ich auf der Strasse bin, sehe ich relativ viel, aber leider nicht alles, und nicht alles zur gleichen Zeit», gibt Xenia Zähner zu bedenken. Und Yvonne Ehrensberger fasst zusammen: «Es kommt eigentlich nicht darauf an, ob es einen Toten Winkel gibt oder nicht, sondern darauf, ob du im richtigen Moment in den richtigen Spiegel geschaut hast, um mich überhaupt zu sehen?» Genau: Immer, immer! aufeinander schauen … «Jeder Velofahrer ist für mich jetzt ‹d’Yvonne›», sagt Xenia Zähner und fügt an, Velo-und Lastwagenfahrer:innen könnten Freund:innen auf der Strasse sein, «wenn wir einander wirklich sehen» – und zwar als Menschen: «Vielleicht ist es dein Onkel, der diesen Lastwagen fährt, und er will dir das Leben nicht schwer machen. Also mache ihm das Leben einfacher, indem du eben nicht an diesem Lastwagen vorbeifährst, sondern vorne oder hinten wartest.» In der Diskussion fügte sie später noch an, «und wenn vorne, dann schau’ doch hoch und winke uns zu, das freut uns!, und vor allem wissen wir beide dann, dass der:die andere uns gesehen hat.»

Was kann die Stadt tun?

Peter Röthlisberger wollte zuerst von den beiden Stadträtinnen wissen, was die Stadt tun könne, um Tote-Winkel-Unfälle zu vermeiden. Karin Rykart brachte das Beispiel des «Velosacks», der vorgezogenen «Haltebucht» für Velofahrer:innen, wo sie sich aufstellen können und wo auch Lastwagenfahrer:innen sie gut sehen können. Weiter erwähnte sie das sogenannte Vorgrün: An Ampeln mit diesem System dürfen Velofahrer:innen früher losfahren als die anderen Verkehrsteilnehmer:innen.

Ansonsten betonte auch Stadträtin Rykart, es sei wichtig, gut aufeinander zu schauen, mitzudenken und lieber eine halbe Minute oder Minute länger zu warten, als vorzupreschen in einen Bereich, in dem einen der Lastwagenchauffeur nicht sehen könne. Simone Brander verwies auf den Lastwagen nebenan, in dem die Besucher:innen der Cycle Week Platz nehmen und sich vergegenwärtigen konnten, was bzw. wohin man vom Steuer eines Lastwagens aus sieht – und wohin nicht. Yvonne Ehrensberger fügte an, mehr Velos in der Stadt seien super, denn wenn es mehr Velos auf den Strassen gebe, würden sie auch «sichtbarer» im Sinne von «eher wahrgenommen». Es dürfe aber nicht mehr Unfälle geben, «daran arbeiten wir». Velofahren sei «nicht per se gefährlich», fügte sie an, es mache Freude. Zur Sicherheit gehöre aber auch, Autos oder Lastwagen nicht bloss als «Maschinen» wahrzunehmen, sondern sich immer zu vergegenwärtigen, dass ein Mensch am Steuer sitze.

Auch zur Rolle des übergeordneten Rechts nahm die Runde noch Stellung. So erinnerte Karin Rykart an einen Brief, in dem die Konferenz der Städtischen Sicherheitsdirektorinnen und -direktoren 2021 dem Bund Fragen zu Tote-Winkel-Assistenten für alle Lastwagen gestellt habe: Die Schweiz werde wohl die Regelung der EU übernehmen, die ab Juli 2024 für neu in Verkehr gesetzte Lastwagen die Ausrüstung mit einem Abbiegeassistenten vorsieht. Eine Nachrüstpflicht sei jedoch nicht vorgesehen. Das sei schade, sagte Karin Rykart, denn so hätten die Fahrer:innen ein bisschen mehr gesehen, und diese Systeme seien ja «nicht sehr teuer». Simone Brander knüpfte mit dem Hinweis an, zumindest auf städtischer Ebene und in Sachen Velowegnetz gehe es vorwärts: «Wir sind mit Hochdruck dran, und unser grosses Ziel ist nach wie vor ein zusammenhängendes, sicheres Netz von Velowegen bis 2030.» Dort, wo diese Wege bereits öffentlich aufgelegt wurden, habe es zwar wie erwartet Einsprachen gegeben, fügte sie an. Anderes, wie etwa die Bauarbeiten für die Unterquerung des Zürcher Hauptbahnhofs, sei jedoch voll im Gang.

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