Den Kompass verloren?

Ein Komitee von Unternehmer:innen und Prominenten – dazu später – will eine Initiative lancieren, die verlangt, dass künftig Staatsverträge von Volk und Ständen entschieden werden müssen. Im Visier dabei ist vor allem das EU-Rahmenabkommen, das die Gruppe verhindern will: «Die Verhandlungen laufen darauf hinaus, dass die Schweiz automatisch EU-Recht übernehmen und den Europäischen Gerichtshof der EU als rechtliche In­stanz akzeptieren muss. Das kommt einer passiven Mitgliedschaft in der EU gleich und unsere direktdemokratischen Mitbestimmungsrechte würden untergraben.» Damit wird auf ihrer Website die Initiative begründet. Am Montag stellte das Initiativkomitee ihr Begehren der Öffentlichkeit vor.

Nun gibt es mit der Geschichte eine Reihe von Problemen. Das erste ist nur ein kleineres. Über genau diese Frage haben wir nämlich schon einmal abgestimmt. Die Initiative nannte sich «Staatsverträge vors Volk» und wurde von der Auns (Aktion unabhängige und neutrale Schweiz) lanciert. Die Initiative wurde 2012 mit 75,3 Prozent und von allen Kantonen abgelehnt. Nun kann man das gleiche selbstverständlich noch einmal versuchen. Raider heisst heute auch Twix und doch steckt derselbe Schokoriegel drin. Die Auns – einst als mächtiger Kampfverband von Christoph Blocher gegründet, hat heute an Bedeutung verloren. In diese Lücke springen jetzt andere Vereine. Unter ihnen die Kompass-Gruppe rund um die Unternehmer Alfred Gantner und Urs Witlisbach. Die beiden Gründer der Partners Group scharen eine Reihe von Unternehmer:innen um sich, insbesondere aus dem Finanzbereich. Auch einzelne Politiker:innen sind dabei, wie SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr und FDP-Ständerat Hans Wicki. Auffälliger sind da einige Prominente, die entweder als Initiativkomiteemitglieder oder Unterstützer:innen aufgeführt sind. TV-Moderator Kurt Aeschbacher, Rocker Chris von Rohr, Ski-Legende Bernhard Russi sowie Musiker und Künstler Dieter Meier. Während die ersten beiden offenbar von der Sache überzeugt sind, sind die beiden letzteren eher ahnungslos. «Das ist nicht mein Metier, da habe ich zu wenig Ahnung», meint Meier, als er vom ‹Blick› auf seine Mitgliedschaft bei Kompass angefragt wurde. Das Ganze sei ein Freundschaftsdienst, ein Freund habe ihn gefragt, ob er als Mitglied aufgeführt werden wolle. «Da sagte ich mir: Also gut, kann ich ja mal machen.» Zum EU-Abkommen habe er sich nie geäussert und werde das auch zukünftig nicht tun. Auch Bernhard Russi – immerhin Mitglied des Initiativkomitees – ist ahnungslos: Inhaltlich könne er nichts beitragen, sagte er dem ‹Blick›. Er sei ebenfalls von einem Bekannten angefragt worden: «Ich hatte mir zuvor nie Gedanken dazu gemacht und habe auch nicht gewusst, dass ein neues Abkommen kommt.» Hinter dem Initiativbegehren könne er jedoch stehen. «Das verstehe auch ich als Laie», sagt Russi. Aktiv für das Anliegen kämpfen werde er dennoch nicht. Nun müsste man meinen, bei so viel geballtem Kapital bei den Gründern der Kompass-Gruppe müsste auch noch genügend Professionalität da sein, die Mitglieder eines Komitees professionell briefen zu lassen. 

Das Bundesamt für Justiz ist zum Schluss gekommen, dass es der Verfassung widerspräche, wenn das Rahmenabkommen (sofern es denn kommt) dem obligatorischen Referendum unterstellt wäre. Also wenn es sowohl von Volk und von Ständen angenommen werden müsste. Der Bundesrat scheint in seiner Mehrheit damit nicht zufrieden zu sein, eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen. Wenn ich mir die aktuelle Mehrheit des Parlaments anschaue, so halte ich es nicht für unwahrscheinlich, dass man das Rahmenabkommen oder vermutlich eher die verschiedenen Abkommen dem obligatorischen Referendum unterstellt. Das Anliegen wird also erfüllt, ohne dass nur eine Unterschrift gesammelt werden muss. Und bei dieser Initiative scheint auch ziemlich klar zu sein, dass dieses Initiativkomitee nicht auf die Strasse stehen wird, um Unterschriften zu sammeln. Der nächste Sammelskandal ist wohl schon vorprogrammiert. 

Das Problem an der ganzen Geschichte ist ein anderes, über das ich an dieser Stelle auch schon geschrieben habe, nämlich dass ein Abkommen oder eine Weiterentwicklung des bilateralen Weges immer weniger mehrheitsfähig zu sein scheint. Zu Beginn der ganzen Diskussion wurde oft die Schuld den Gewerkschaften und der SP gegeben. Das hatte durchaus seine Berechtigung, zumal es innerhalb der Gewerkschaften und auch der SP durchaus Leute gibt, die der EU skeptisch gegenüberstehen. Was auch mit nicht unberechtigter Kritik an der Politik der Europäischen Union zutun hat. Mittlerweile hat es aber eher den Anschein, als ob die Wirtschaft und deren politische Vertreter:innen kein besonderes Interesse hätten. Natürlich sind die Interessen der Wirtschaft nicht homogen. Gewerbe- und Handwerksbetriebe haben andere Sorgen als multinationale Konzerne. Nur hat das die Wirtschaftsverbände noch nie sonderlich gestört. 

Nun muss man sich nicht von einem Unternehmerkomitee blenden lassen – es gab schon immer auch isolationistische Wirtschaftskreise. Nur scheint ganz allgemein hier etwas ins Rutschen geraten zu sein. Das ist nicht nur die zunehmende Migrationsskepsis in der Mitte und vor allem bei der FDP. Nicht zufällig begrüsste Matthias Müller, Vizepräsident der FDP Kanton Zürich, die Kompass-Initiative auf X (Twitter) explizit. Denn die FDP Zürich hat offiziell einen zuwanderungskritischen Kurs beschlossen und stellt dabei auch die Personenfreizügigkeit infrage. Die US-Rechten unter Trump – und daran orientieren sich nun mal auch die Rechten in Europa und der Schweiz – schreiben einen aussen- und verteidigungspolitischen Isolationismus gross und propagieren klar eine Absage an multilaterale Organisationen und Problemlösungen. Aber sie vertreten nun auch akzentuierter eine Abkehr des Freihandels und eine Rückkehr zum wirtschaftlichen Nationalismus, zu Zöllen und Tarifen. Vielleicht verbreitet sich auch das noch stärker in der hiesigen Wirtschaft. Auf jeden Fall scheint aus der Wirtschaft – im Vergleich zur Vergangenheit – niemand gross für mehr Europa zu kämpfen, weder aus persönlicher Einsicht noch aus ökonomischer Nützlichkeit. Einsamer Rufer ist der Solothurner FDP-Nationalrat Simon Michel, der aber als Vertreter der Medtechbranche auch eine besondere Betroffenheit hat. Nebenbei hat er sich noch positiv über eine Trump-Präsidentschaft geäussert, was etwas an seinem aussenpolitischen Kompass zweifeln lässt. 

So oder so: Eine Zukunft der bilateralen Beziehungen wird es nur geben, wenn sich dazu auch eine breite Koalition finden lässt. Im Moment ist diese kaum zu sehen. Sie scheint noch arg im Nebel zu stochern. Es wäre zu hoffen, dass sie den Kompass noch findet.