Den Güggel sterben lassen

Sergio Scagliola

 

Vor circa einem Jahr, als man nirgends um das Wort Blockchain herumkam, habe ich eine Frage aufgeschnappt, die mir bis heute im Kopf herumgeistert: Wenn Kryptowährungen eine so tolle Innovation sind, wieso sind sie dann die einzige Währungsform, für die Werbung gemacht werden muss? Und wenn das Bitcoin Suisse-Tram dann immer wieder an mir vorbeifährt, frage ich mich, wo das Franken-Tram geblieben ist. Mittlerweile sind die Kurse der Kryptowährungen eingebrochen und die digitalen Geldbörsen der meisten wieder leer. Aber das halbtote Experiment des freisten Markts wurde noch nicht aufgegeben. Und die Politik zieht mit. So hat beispielsweise die GLP Mitte November zu einer Debatte im Metaverse eingeladen. Was soll das alles eigentlich? 

 

Ich habe immer gedacht, die krampfhafte Bemühung zur Einführung von Metaverse-Projekten sei eine Ausgeburt des Blockchain-Abstiegs in die Irrelevanz, ein kopfloses Huhn, wo letzte Impulse den Organismus noch herumrennen lassen. Aber ich habe mich wohl geirrt. Kennen Sie die Geschichte von Mike, dem kopflosen Hahn? Der amerikanische Bauer Lloyd Olsen wollte im September 1945 seinen Güggel köpfen, verfehlte dabei aber die Halsschlagader und Teile des Stammhirns. Mike war zwar enthauptet, lebte aber noch 18 Monate und wurde zur Attraktion, die Olsen wöchentlich Tausende von Dollar einbrachte. Was Mike mit der Blockchain zu tun hat? Die Tech-Szene versucht dem enthaupteten Güggel gerade per Finanzspritzen einen neuen Kopf wachsen zu lassen. Kopflos ist er noch immer. Aber es gibt dennoch einen Grund, weshalb etwa in Mark Zuckerbergs Metaverse Milliarde um Milliarde investiert wird. Doch einen Schritt zurück.

 

So viel die Liberalen und Libertären von diesen neuartigen Innovationen schwärmen, so unklar ist vielen Menschen, was hier eigentlich kultiviert wird. Die technischen Details sind durchaus komplex, das zugrundeliegende Prinzip aber weniger. Und ich will mit dem Technischen nicht langweilen. Nur als Kontext also: Die Blockchain ist eine Form der Datenverwaltung – durch Pakete, die chronologisch aneinander angehängt werden und durch Teilnahme an dieser Datenkette von UserInnen generiert werden. Die Technologie wurde bereits in den 1980er-Jahren entwickelt, um ein ganz anderes Problem zu lösen: Sie sollte verhindern, dass an digitalen Zeitstempeln herumgeschraubt wird. Die Art und Weise, wie die Blockchain funktioniert, ständigen Abgleich mit vorhergehenden Paketen, hat sich jedoch als sehr ressourcenintensiv herausgestellt und wurde deshalb in den Folgejahren nur wenig kultiviert. 

 

Die Datenverwaltung in einer Blockchain kann jedoch als Grundlage für digitale Währungen genutzt werden. Weil sie nicht an ein physisches Zentrum, an einen einzelnen Knotenpunkt gebunden ist, erhoffte man sich eine völlig neue Form von Währung: dezentralisiert und selbstregulierend durch den freien Markt, ohne Einfluss durch Staaten oder Banken. Das brachte zunächst viel Kritik mit sich, weil vor allem der internetbasierte Schwarzmarkt Gefallen an diesen scheinbar anonymen Zahlungsmitteln fand. Heute fährt das Bitcoin-Tram. Wieso also der Umschwung? Und wieso haben sich heute eine beachtliche Zahl von Menschen mit nicht reguliertem Trading eine goldene Nase verdient und ein Vielfaches dieser Zahl finanziellen Schaden davongetragen?

 

Die gemeine Antwort wäre Neid. Die zynische wäre, weil die Gross- und Kleinkapitalisten gemerkt haben, dass sich hier viel Geld machen lässt. Die pragmatische, weil man ein Stück von diesem billionenschweren Kuchen haben wollte. Die Antwort ist wahrscheinlich alles zusammen und noch mehr. Zentral ist aber: Je mehr Leute an diesem Konstrukt partizipieren, desto höher der Wert. Deshalb die Werbung etwa für Währungen. Aber was hat das mit dem Metaverse zu tun?

 

Ein Metaverse ist grundsätzlich nur ein digitaler Raum, wie ihn jedes Online-Videospiel innehat: Eine virtuelle Umgebung, wo mit einer digitalen Umwelt und meist auch miteinander interagiert wird. Aber: mit profitorientierter Wirtschaft inklusive, fest im Code verankert, weil auf der Blockchain basierend und somit kryptokompatibel. Was im Videospiel ein Shop ist, wo virtuelle Utensilien mit Spielgeld bezogen werden können, ist im Metaverse beispielsweise eine Immobilie, die an den Höchstbietenden verscherbelt oder an eine Firma vermietet werden kann – wo zukünftige NutzerInnen eines Metaverses mit echtem Geld Ware kaufen können. Monopoly, aber man blecht wirklich. Das grenzt an Perversion, wenn man Videospiele als Eskapismus, als Unterhaltungsform ohne den Leistungsdruck der Realität sehen will. Als müsste man den Handel mit Spielgeld auf Biegen und Brechen in eine finanziell risikohafte Umgebung umwandeln.

 

Natürlich fliesst auch in Videospielen echtes Geld. Geschäftsmodelle, die zu Mikro­transaktionen motivieren sind die Norm. Und natürlich kassieren etwa Modehäuser bereits riesige Summen für Lizenzverträge. Meta, ehemals Facebook, verzeichnet derweil Investitionen von zweistelligen Milliardenbeträgen für ein Metaverse-Produkt, das noch nicht mal richtig existiert. Andere digitale Umgebungen verkaufen «Grundstücke» für etwaige digitale Filialen. Dies in einem Markt, wo der allergrösste Teil derjenigen, die beispielsweise in Kryptowährungen investiert haben, viel Geld verloren hat und sich das meiste virtuelle Geld, das im Umlauf ist, nach kapitalistischem Grundprinzip an der oberen Spitze der Krypto-Pyramide konsolidiert hat. Wie soll man bitte als UserIn aus einem solchen Produkt Nutzen ziehen? 

 

Ich habe kurz in die Metaverse-Konferenz der GLP reingeschaut und sah auf meinem Bildschirm einige Avatare in einem leeren Raum herumhampeln. Durchaus mehr Gag als Neukonzeption des Politdiskurses, aber gleichzeitig auch etwas unbeholfen und, um im Jugendjargon zu bleiben, «cringe», also fremdschamauslösend. Vielmehr als ein Gag war es aber auch nicht – die Grünliberalen sind keine libertären Marktanhimmler wie die Blockchain-FanatikerInnen. Dennoch: Bei allen Sorgen beispielsweise bezüglich Datenschutz, die man gegenüber Facebook und Co. haben sollte – ist es da wirklich nötig, dieser durch die Milliardeninvestitionen künstlich aufgeblasenen Relevanz so blind zu folgen? Wer ausser den InvestorInnen braucht ein solches Produkt wie ein Metaverse wirklich? Kann man das kopflose Huhn nicht einfach sterben lassen?

 

 

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