Demokratie im Zentrum

An der konstituierenden Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwoch erzielte der neue Präsident Matthias Probst (Grüne) das schlechteste Wahlresultat seit Jahrzehnten.

Die Medieneinladung tönte nach einem Anlass fürs Gemüt: Eine Velofahrt vom Morgental in Wollishofen zur Messehalle 9 in Oerlikon, und zwar mit der «frisch gewählten Fraktion» der Grünen, die das Amtsjahr «mit viel Schwung» angehen wollen. Die P.S.-Berichterstatterin war dann zwar die einzige Medienvertreterin vor Ort, Spass machte das «Tüürli» an die konstituierende Sitzung des Zürcher Gemeinderats trotzdem. Der Kaffee-Halt am Bucheggplatz erwies sich zudem als sehr gute Idee, denn unter der als «Spinne» bekannten Fussgänger­überführung konnte sich die Gruppe unterstellen und das Ende des starken Gewitterregens und Hagels abwarten. Wobei: Wenn das nur kein schlechtes Omen war … sollte es dem Grünen Matthias Probst gar die Wahl zum Gemeinderatspräsidenten verhageln?

Ganz so schlimm kam es dann doch nicht: Er wurde gewählt, doch von den 121 Anwesenden schrieben in der geheimen Wahl lediglich 73 GemeinderätInnen seinen Namen auf den Zettel. Die erste Vizepräsidentin Sofia Karakostas (SP) mit 111 und der zweite Vize Guy Krayenbühl (GLP) mit 102 Stimmen lagen mit ihren Resultaten hingegen im Rahmen dessen, was andere vor ihnen an Zuspruch erhalten hatten.
Das schlechte Resultat von Matthias Probst lässt sich einerseits damit erklären, dass seine Sprüche wie etwa der, nur tote Parkplätze seien gute Parkplätze, nicht überall gut ankommen (vgl. dazu das Interview mit Matthias Probst und Esther Guyer auf den Seiten 12 und 13). Andererseits empfinden vor allem bürgerliche Ratsmitglieder seinen Kleidungsstil als zu leger beziehungsweise der Würde des Amts nicht angemessen. Unvergessen ist etwa das Schaudern der damaligen Ratspräsidentin Marina Garzotto (SVP) beim Anblick Probsts, der an einem heissen Sommertag Anno 2010 in einem ärmellosen «Liibli» im Ratssaal Platz nahm. Sie stauchte ihn vom Bock herab zusammen und fügte an, sie werde künftig am Mittwoch stets ein sauberes T-Shirt dabeihaben, um allfällige weitere textile Entgleisungen aufzufangen …
Geradezu harmlos war im Vergleich dazu das Stück Stoff, mit dem Matthias Probst am Mittwoch aufwartete: Er befestigte eine Friedensflagge am Rednerpult, deren Regenbogenfarben gut zu seinem schwarzen Hemd und der bordeauxroten Fliege passten. In seiner Antrittsrede sprach er sein ungewohntes Tenue denn auch an und sagte, es sei ein erster Versuch, um auch zur anderen Ratsseite hin Brücken zu bauen und alle in der Stadt Zürich zu repräsentieren. Dafür gabs Applaus, und zwar auch von der rechten Ratsseite. Einen kurzen Exkurs zum Krieg in der Ukraine und zu Ländern, die sich heutzutage ohne Militärbündnis unsicher fühlen müssten, schloss er mit den Worten, «ich bin mir nicht mehr sicher, ob alles richtig ist, was ich als überzeugter Pazifist zu tun gedenke». Für den Frieden brauche es aber vor allem «gesunde Demokratien», fuhr er fort: «Unsere Demokratie ist ein wertvolles Gut, und ich werde während meiner Zeit als Gemeinderatspräsident mein Bestes geben, um sie ins Zentrum zu stellen.» Ein Parlament sei «kein Kasperlitheater, auch wenn es am Mittwoch bisweilen den Anschein erweckt …», fügte er an: «Wir sind ein wesentlicher Baustein unserer Demokratie, und ich wünsche mir, dass wir das ernst nehmen.» Dazu brauche es nicht zuletzt die «Überzeugung, dass das, was wir hier machen, richtig ist». Das anschliessende Fest ging im Hunziker-Areal über die Bühne und bot den 34 Neugewählten, auch das ein Rekord, eine gute Gelegenheit fürs erste Kennenlernen.

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