Demo, Basishilfe, Genderstern
Der Zürcher Gemeinderat befasste sich gestern mit der Demo vom letzten Samstag, mit einem neuen Instrument und mit ‹alten Bekannten›.
Die erste Dreiviertelstunde seiner Sitzung vom Mittwochabend widmete der Zürcher Gemeinderat erwartungsgemäss einer ganzen Reihe von Fraktions- und persönlichen Erklärungen, hauptsächlich zur Demo vom Samstagabend (siehe auch P.S. vom 6. April). Vorab betonte aber Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart, dass sechs Polizisten und eine Polizistin verletzt worden seien, mache sie «tief betroffen». Sie sei verantwortlich dafür, dass die Polizist:innen ihren Job «sicher und gut machen können und unverletzt zurückkommen». Es befremde sie, wenn unpersönlich über die Polizei geredet werde, als ob sie «weit weg von den Leuten» sei.
Die SP verurteile die «Gewalttaten», sagte ihr Fraktionspräsident Davy Graf. Er betonte aber auch, anders als es die SVP im Kantonsrat behauptet habe, würden Demonstrant:innen, die Gewalt ausübten, in Zürich durchaus bestraft. Für die FDP sind «Gewalt und Anarchie nicht unvermeidlich, sondern Folge politischer Verantwortungslosigkeit», wie Andreas Egli ausführte. Er wiederholte auch, was Bürgerliche am Montag im Kantonsrat behauptet hatten, nämlich dass die linke Mehrheit im Gemeinderat nur im gewalttätigen Rechtsextremismus ein Problem sehe, nicht aber bei gewalttätigem Linksextremismus. Allerdings wurde beispielsweise am 11. Januar ein Postulat der SP- und Grüne-Fraktion, das eine Untersuchung und einen Bericht zu den in letzter Zeit erfolgten rechtsextremen Angriffen verlangt, nicht tel quel überwiesen: Der Rat stimmte einem Textänderungsantrag von Ronny Siev (GLP) zu. Damit wird der Stadtrat aufgefordert, eine Untersuchung in Auftrag zu geben, die unter anderem «künftige Handlungsmöglichkeiten – auch präventive – gegen Rechtsextremismus ‹sowie andere Formen gewaltbereiten Extremismus›» aufzeigen soll (siehe auch P.S. vom 13. Januar). Neu war an der gestrigen Sitzung hingegen, dass die FDP befand, nicht bloss für Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart, sondern auch für Stadtpräsidentin Corine Mauch sei nun der Zeitpunkt gekommen, «Verantwortung zu übernehmen, oder zurückzutreten».
Die Grünen wandten sich «gegen Gewalt sowie deren Instrumentalisierung». Mit Verweis auf die Debatte von letzter Woche fügte Luca Maggi an, wer sachlich einzuordnen versuche, «wird der Mittäterschaft beschuldigt oder beschimpft». Dabei liessen sich «Analyse und Lösung (…) nicht in einfachen Erklärungen verlesen»: «Wir verbitten uns, Vorfälle wie jene vom vergangenen Samstag politisch zu instrumentalisieren, um unseren Einsatz für Grundrechte oder unseren demokratiepolitisch notwendigen kritischen Blick auf die Polizei in ein zweifelhaftes Licht zu rücken oder zu delegitimieren.» Das hinderte den nächsten Redner, Stephan Iten (SVP), natürlich nicht daran, zu erklären, das «linke Stadtparlament» handle «im Sinne der Linksextremen»: Der Stadtrat habe «keine Strategie», ja «schlimmer noch: Jahrelang ist der Stadtrat der militanten Besetzerszene entgegengekommen». Wie genau das gemeint ist – und vor allem, was das mit der ausgearteten Demo vom letzten Samstag zu tun hat –, liess er offen.
Für die Mitte-/EVP-Fraktion appellierte Christian Traber (Die Mitte) an alle Parteien, «sich einen Ruck zu geben und bei kommenden Budgetdebatten der Stadtpolizei die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen». Die AL hingegen möchte «den Teufelskreis von Provokation/Repression brechen», sagte Mischa Schiwow. Er sagte, die Aussage der Sicherheitsvorsteherin, die Gewalt sei massiv und erschreckend gewesen, könne die AL teilen. Karin Rykart habe diese Aussage allerdings mit dem Statement verknüpft, sie verurteile die Angriffe auf Polizist:innen «aufs Schärfste». Das jedoch «blendet die von der Polizei ausgehende Gewalt vollständig aus», sagte Mischa Schiwow. Die GLP verlas keine Fraktionserklärung, dafür stellte Patrick Hässig in einer persönlichen Erklärung klar, es gehe nicht, dass «ein grosser Teil der Menschen hier drin diese Taten verharmlost» beziehungsweise «nicht sehen will». AL und Grüne wärfen mit ihren Vorstössen zudem «der Polizei Knüppel zwischen die Beine».
Parlamentarische Initiativen
Zum ersten Mal behandelte der Rat sodann drei Parlamentarische Initiativen – dieses Instrument steht ihm erst seit letztem Jahr zur Verfügung (siehe P.S. vom 13. Mai 2022). Die erste, die der Rat an jener Sitzung vorläufig unterstützt hatte, stammt von der AL, die damit eine Änderung der Verordnung über die familienergänzende Kinderbetreuung gefordert hatte: Konkret ging es um die Erhöhung des Normkostensatzes für Kitas. Das Geschäft gab trotz Premiere nicht viel zu reden – aus einem aus Sicht der InitiantInnen erfreulichen Grund: Der Satz wurde per 2023 erhöht, der Zweck der Initiative sei damit weitgehend erfüllt, sagte Kommissionssprecher Marcel Tobler (SP). Entsprechend stellte die Kommission einstimmig den Antrag, auf die Parlamentarische Initiative nicht einzutreten. Dem kam der Rat mit 105:0 Stimmen nach.
Mehr zu reden gaben hingegen zwei weitere Parlamentarische Initiativen – wobei das Thema ein alter Bekannter war: Mit der einen forderten die SP-, Grüne- und AL-Fraktion einen Rahmenkredit für ein dreijähriges Pilotprojekt «zur Schaffung einer Überbrückungshilfe für Ausländerinnen und Ausländer ohne gültigen Aufenthaltsstatus». Mit der anderen verlangten dieselben drei Fraktionen einen weiteren Rahmenkredit für ein dreijähriges Pilotprojekt «Wirtschaftliche Basishilfe für Ausländerinnen und Ausländer mit gültigem Aufenthaltsstatus, die keinen risikofreien Zugang zur Sozialhilfe haben». Die Debatte bewegte sich entlang derselben Argumente wie schon bei früheren Debatten zum ursprünglichen Pilotprojekt, das Sozialvorsteher Raphael Golta im Mai 2021 vorgestellt hatte (siehe P.S. vom 14. Mai 2021). Gegen dieses Projekt war am 15. Juli eine Aufsichtsbeschwerde beim Bezirksrat eingegangen, die dieser gutgeheissen hatte. Der Stadtrat war jedoch der Meinung, die wirtschaftliche Basishilfe verletze kein übergeordnetes Recht, und die Betroffenen seien dringend auf Unterstützung angewiesen. Deshalb beschloss er, Rekurs gegen den Entscheid des Bezirksrats einzulegen, verpasste jedoch wegen eines Fehlers in der Stadtkanzlei die Rekursfrist.
Inhaltlich war man sich gestern im Rat anlässlich der Behandlung der beiden Parlamentarischen Initiativen entsprechend uneins darüber, ob das Anliegen nach wie vor «richtig und wichtig» sei, wie Hannah Locher (SP) betonte – oder ob es sich, wie Mélissa Dufournet (FDP) ausführte, um Vorhaben handle, die gegen übergeordnetes Recht verstiessen und über die der Rat deshalb gar nicht beschliessen könne. Nach ausführlicher Debatte stimmte der Rat der ersten Parlamentarischen Initiative mit 62:57 Stimmen zu und der zweiten mit 62:54 Stimmen.
Zum ‹krönenden Abschluss› gab es anhand eines Postulats und zweier Interpellationen schliesslich noch eine Genderstern-Debatte. Die verlief allerdings auch nicht anders als ihre Vorgänger:innen und endete damit, dass das Postulat von Samuel Balsiger und Sebastian Zopfi, die den «Verzicht auf die Revision des Reglements über die sprachliche Gleichstellung» gefordert hatten, mit 41:69 Stimmen bachab ging.