«Das Wasserschloss Afrikas droht zu vertrocknen»

Im Kampf gegen die ökologische Krise in seinem Herkunftsland Guinea hat Sadou Bah 2020 ein Projekt zur Wiederaufforstung ins Leben gerufen. Im Gespräch mit Tim Haag gibt er vier Jahre nach dem Startschuss Einblicke in die Herausforderungen und Erfolge seiner Initiative.

Sie sind 2002 als Asylsuchender von Guinea in die Schweiz gekommen, 2016 kehrten Sie das erste Mal in Ihr Heimatland zurück. Was haben Sie bei dieser Rückkehr erlebt?

Sadou Bah: Als ich nach Koubia zurückkehrte, in die Region, in der ich aufgewachsen bin – etwa 50 Kilometer von Labé in Mittelguinea entfernt – erkannte ich die Landschaft kaum wieder. Guinea, einst als «Wasserschloss Afrikas» bekannt, droht zu vertrocknen. Der Bergwald, in dem ich als Kind spielte, war grösstenteils abgeholzt. Haustiere und die etwa 4000 Einwohner:innen der vier benachbarten Dörfer ringen um das knappe Wasser. Frauen müssen oft über eine Stunde bis zur nächsten Wasserquelle laufen und dann wieder zurück. Diese Veränderungen haben viele junge Menschen dazu gezwungen, die Region zu verlassen, in der Hoffnung, anderswo bessere Lebensbedingungen zu finden. Auch die Tierwelt leidet erheblich: Wildtiere, darunter die Affen, die einst das Gebiet bevölkerten, sind weitgehend verschwunden. Der Wassermangel hat die gesamte Natur und die Tierwelt dramatisch beeinflusst.

Wie kam es dazu?

Die dramatischen Veränderungen in meiner Heimatregion sind vor allem auf den Klimawandel und die intensive Abholzung zurückzuführen. Um mehr Ackerland für den Reisanbau zu gewinnen, wurden viele Wälder gerodet. Das hat das lokale Klima stark beeinträchtigt und zur Folge, dass kaum noch Lebensgrundlagen vorhanden sind. Trotz der Ausweitung des Reisanbaus reicht die Nahrung nicht aus, um die lokale Bevölkerung zu ernähren. Der Boden ist nicht fruchtbar genug, und das Klima ist zu instabil, um eine verlässliche Ernte zu gewährleisten. Der mit Steinen bedeckte Boden macht es unmöglich, mit Maschinen effektiv zu arbeiten. Stattdessen müssen die Menschen mit traditionellen Methoden und kleinen Werkzeugen arbeiten, was ineffizient und anstrengend ist. Früher, als die Wälder noch intakt waren, gab es natürliche Ressourcen, die den Boden fruchtbar hielten. Mit modernen Werkzeugen wie Kettensägen wird heute jedoch deutlich mehr abgeholzt, besonders in der Nähe von Flüssen und Wasserquellen. Dies hat die Lage erheblich verschlimmert, weil das Ökosystem aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Also haben Sie beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.

Genau. Wir gründeten den Verein Cruped (Citoyens de Roundebowal unis pour la protection de l’environnement et le développement) mit dem Ziel, die Wassereinzugsgebiete wiederherzustellen. Per Crowdfunding sammelten wir 2020 30 000 Franken, und in den letzten zwei Jahren erhielten wir zusätzlich je 20 000 Franken von einer Stiftung. Schnell erkannten wir jedoch, dass die Wiederaufforstung allein nicht ausreicht. Es mussten Begleitmassnahmen umgesetzt werden, die den Menschen direkt zugutekommen. Unsere erste Massnahme war der Kauf von Drahtzäunen, um die Dörfer zu schützen. Traditionell wurden die Dörfer mit Holzzäunen vor Kühen und anderen Nutztieren bewahrt. Doch das führte dazu, dass jedes Jahr weitere Bäume gefällt wurden, um die Zäune zu erneuern. Die Drahtzäune bieten hier eine langfristige Alternative. Zweitens stampfen die Frauen bis heute Reis und Getreide von Hand, was extrem zeitaufwändig ist. Um ein Kilo Reis zu stampfen, kann es bis zu zwei Stunden dauern. Daher haben wir Getreidemühlen installiert, die den Aufwand erheblich reduzieren. Drittens entschieden wir uns für den Bau von Brunnen, damit die Frauen nicht mehr so weite Strecken zurücklegen müssen, um Wasser zu holen. Nun können wir mit der Wiederaufforstung beginnen. Unser Ziel ist, entlang der Wassereinzugsgebiete 160 000 Bäume auf 65 Hektaren zu pflanzen.

Steinig, steil und nährstoffarm – in Mittelguinea wird das Hauptnahrungsmittel Reis auf unwirtlichem Untergrund angepflanzt. (Bild: Sadou Bah)

70 000 Franken klingt nicht nach besonders viel, um ein Projekt dieser Grösse umzusetzen. Wie stellen Sie eine langfristige Finanzierung sicher?

Das ist eine echte Herausforderung, die mehr als einmalige Mittel erfordert. Dieses Jahr habe ich die Idee entwickelt, das Projekt so zu gestalten, dass wir CO2-Zertifikate erhalten können. So würde uns eine zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit eröffnet. Die grösste Herausforderung besteht jedoch im Aufbau von Vertrauen. Wir haben bereits viele Stiftungen angeschrieben, insbesondere solche, die sich gegen den Klimawandel einsetzen, aber bisher konnten wir keine Spenden von ihnen erhalten. Ich glaube, das liegt daran, dass unser Verein noch nicht sehr bekannt ist und es daher an Vertrauen mangelt. Durch den Erhalt von CO2-Zertifikaten wollen wir das Vertrauen stärken und eine kontinuierliche Finanzierung sicherstellen.

Warum muss überhaupt ein spendenfinanzierter Verein von der Schweiz aus die Selbstzerstörung Mittelguineas verhindern? Wäre das nicht Aufgabe des Staats? 

In Guinea existiert de facto kein funktionierender Staat. Guinea hatte nie das Glück, eine stabile Demokratie zu erleben. Der aktuelle ‹Staat› besteht aus einer Übergangsregierung, die nach einem Putsch an die Macht kam und sich weigert, demokratische Wahlen abzuhalten. Diese Regierung verfolgt die Bevölkerung, erpresst sie und nimmt ihnen das Geld ab, aber sie trägt kaum zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Guineaner:innen bei und vernachlässigt ihre grundlegenden Aufgaben. In Mittelguinea beispielsweise werden die Schulen von den Dorfbewohnern selbst organisiert, weil die Regierung dafür keine Mittel bereitstellt. Dasselbe gilt für den Strassenbau, den die Menschen ebenfalls in Eigenregie vorantreiben. Daher müssen Organisationen wie unsere einspringen, um grundlegende Projekte zum Umweltschutz und zur Verbesserung der Lebensbedingungen zu realisieren, denn der Staat ist dazu nicht in der Lage oder willens.

Apropos Eigenregie: Wie sind die Menschen in der Region ins Projekt involviert?

Viele vergleichbare Projekte in Afrika sind gescheitert, weil sie von aussen aufgezwungen wurden. Unser Projekt unterscheidet sich dadurch, dass die lokalen Gemeinschaften selbst die Probleme identifizieren und praktikable Lösungen vorschlagen. Es handelt sich um ein echtes Selbsthilfeprojekt, das die Menschen aktiv einbindet. Sie setzen sich in ihrer Freizeit ein und sind bereit, die harte Arbeit zu leisten, weil sie das Ausmass ihrer Probleme genau kennen und wissen, dass nur ihre eigene Initiative helfen kann.

Inwiefern fördert Ihr Ansatz die Selbstständigkeit der Gemeinschaften vor Ort, sodass die Menschen langfristig unabhängig von externer Hilfe sind?“

Unser Projektansatz zielt darauf ab, den Gemeinschaften zu helfen, sich selbst zu helfen. Zum Beispiel werden die Getreidemühlen gemeinschaftlich genutzt. Jede Person leistet einen kleinen Beitrag, um die Mühle im Falle eines Defekts eigenständig reparieren oder ersetzen zu können. Bei den Drahtzäunen ist es ähnlich: Diese müssen etwa alle zehn Jahre ersetzt werden, aber wenn die Dörfer umzäunt sind, können sie innerhalb dieser sicheren Grenzen Obstbäume und andere Pflanzen anbauen, ohne dass sie von Kühen oder Wildtieren zerstört werden. Dies ermöglicht es ihnen, zusätzliche Einnahmen zu generieren. Wir haben ausserdem vorgeschlagen, Bienenzucht zu betreiben. Honig ist in der Region sehr beliebt und lässt sich gut verkaufen, wodurch die Menschen weiteres Einkommen erwirtschaften können. Die Bewohner sind im Verein organisiert und haben bereits ein Bankkonto eingerichtet, auf dem sie Geld für die langfristige Selbstständigkeit sparen.

Wie steht es beim Wiederaufforstungsprojekt um Ökologie und Biodiversität?

Wir achten darauf, nur einheimische Baumarten zu nutzen, die im nährstoffarmen, steinigen Boden der Region gedeihen. Die Aufforstung geschieht so naturnah wie möglich.

Besteht die Gefahr, dass die von Ihnen gepflanzten Bäume in ein paar Jahren illegal gerodet werden?

Nein, das glaube ich nicht. Wenn die Menschen erkannt haben, welche Vorteile die Wälder für ihre Lebensqualität und die Lebensqualität aller Wild- und Nutztiere haben, werden sie sie stehen lassen. 

War das Wissen, was passiert, wenn man Wälder rodet, früher nicht auch schon da?

Leider nein. Das Wissen über die negativen Auswirkungen der Abholzung war nicht weit verbreitet, hauptsächlich wegen der hohen Analphabet:innenrate. Viele Menschen verstanden die Zusammenhänge nicht. Unser Projekt diente und dient deshalb auch als Bildungsinitative.

Vor vier Jahren haben Sie das Projekt lanciert. Was wollen Sie in den nächsten vier Jahren erreicht haben?

In den nächsten vier Jahren wollen wir die 65 Hektaren aufgeforstet haben und wir hoffen, dass das Projekt Schule macht. Denn das Gebiet, das aufgeforstet werden muss, ist riesig und die Nachbarschaft sieht die Erfolge, die wir erzielt haben, mit Wohlwollen. Viele von denen haben mich letztes Jahr angesprochen, dass sie ihre Wasserquellen auch schützen wollen.

Zur Person:

Sadou Bah ist Mitbegründer und Leiter der Autonomen Schule Zürich und engagiert sich für mehr Gerechtigkeit im Asylwesen.