«Das ist Voodoo-Economics nach dem Prinzip Hoffnung»

 

Mit der Steuervorlage 17 setzt der Kanton Zürich die Vorgaben des Bundesgesetzes über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) in seinem kantonalen Steuergesetz um. Weshalb die SP für die Abstimmung vom 1. September die Nein-Parole gefasst hat, erklärt Kantonsrat Tobias Langenegger im Gespräch mit Zara Zatti.

 

 

Die STAF wurde im Mai auf nationaler Ebene angenommen, die SP Schweiz hat im Vorfeld der Abstimmung die Ja-Parole beschlossen. Die kantonale Umsetzung in Zürich bekämpft die Partei nun vehement, dabei lag die kantonale Umsetzung zum Zeitpunkt der nationalen Abstimmung bereits auf dem Tisch. Wieso hat die SP dennoch ja gesagt zur STAF?

 

Tobias Langenegger: Schon vor der nationalen Abstimmung hat die SP deutlich gemacht, dass die Partei bei den kantonalen Umsetzungen ganz genau hinschauen wird. Dabei hat die SP klar kommuniziert, dass sie nicht austarierte Vorlagen auf kantonaler Ebene nicht unterstützen wird. Die Vorlage des Kantons Zürich ist definitiv nicht austariert. Bei Steuervorlagen gibt der Bund ja nur die Rahmenbedingungen vor, matchentscheidend ist dann, wie sie die Kantone anwenden. Bei der STAF überliess der Bund den Kantonen einen grossen Spielraum bezüglich der Ausnutzung, der Kanton Zürich hat diesen maximal ausgeschöpft. Die SP hat sich für ein Ja zur Bundesvorlage entschieden, auch mit Blick auf den AHV-Teil. Auf kantonaler Ebene war von Beginn weg klar, dass wir keiner Vorlage zustimmen werden, welche den Normalverdienenden schaden wird.

 

Das heisst im Vergleich zur USR III, wo die SP noch dagegen war, hat sich vor allem der AHV-Teil geändert?

In der Bundesvorlage wurden einerseits die sogenannten Instrumente leicht abgeschwächt. Die Definitionen zur zinsbereinigten Gewinnsteuer, der Abzug für Forschung und Entwicklung und die Patentbox sind nun etwas enger gefasst. Dann gibt es noch die weniger bekannten Massnahmen der Entlastungsgrenze und die Erhöhung der minimalen Dividendenbesteuerung. Im Vergleich zur USR III sind die Steuerschlupflöcher etwas eingedämmt, und zusätzlich erhielten wir zwei Milliarden für die AHV. Das zusammen hat die SP dann zu einem Ja bewogen zur nationalen Vorlage.

 

Wie stark hat der Kanton Zürich die einzelnen Instrumente ausgenützt?

Wenn wir uns nun die kantonale Vorlage anschauen, zeigt sich ein desaströses Bild. Bei der Patentbox hat der Bund einen Range zwischen null und 90 Prozent vorgegeben. Die Vorlage im Kanton Zürich sieht 90 Prozent vor. Das heisst, 90 Prozent des Gewinns durch Patente müssten in Zukunft nicht versteuert werden! Die zinsbereinigte Gewinnsteuer kann man einführen oder nicht, der Kanton Zürich führt sie ein. Das dritte Instrument, den Abzug auf Forschung und Entwicklung, der momentan bei 100 Prozent liegt, kann man um null bis 50 Prozent erhöhen. Der Kanton Zürich erhöht um 50 Prozent, geht also insgesamt auf 150 Prozent. In der Summe bedeutet das für Konzerne, dass sie nur noch auf einen Bruchteil ihres Gewinns überhaupt Steuern bezahlen müssen.

Eine Möglichkeit, den Schaden der neuen Privilegien einzugrenzen, ist die Festlegung einer Entlastungsgrenze. Diese sagt, wie viel vom gesamten Gewinn minimal besteuert werden muss. Die Bundesvorlage lässt einen Spielraum von null bis 70 Prozent. Der Kanton Zürich wählt 70 Prozent, das heisst, künftig müssen nur noch 30 Prozent des Gewinns versteuert werden, wenn man die besagten Instrumente anwendet. Profitieren werden davon einerseits die SteuerexpertInnen und andererseits die grossen Konzerne. Es ist überaus naiv zu glauben, dass diese nicht von allen Instrumenten maximal profitieren werden.

 

Hätte man konsequenterweise nicht schon bei der nationalen Vorlage nein sagen müssen, wenn man mit den möglichen Instrumenten nicht einverstanden ist?

Bei der nationalen Vorlage handelt es sich um einen Werkzeugkasten, das heisst, man wählt das aus, was am besten passt. Der Kanton Zürich wählt aber nicht das, was am besten passt, sondern schlicht alles maximal. Christian Levrat betonte schon im Vorfeld der Abstimmung zur nationalen Vorlage, dass die Partei kantonale Umsetzungen, die nicht austariert sind, nicht akzeptieren wird.

 

Wie sieht es denn in den anderen Kantonen aus? Wurden die Instrumente ähnlich stark ausgereizt?

Nein, kein Kanton hat sie gleich stark ausgereizt wie Zürich. Basel etwa hat die zinsbereinigte Gewinnsteuer nicht eingeführt und die Entlastungsgrenze bei 40 Prozent festgelegt, es werden also mindestens 60 Prozent des Gewinns besteuert. Genf ging beim Abzug von Forschung und Entwicklung ein bisschen weiter als Basel, führte aber eine Entlastungsgrenze von neun Prozent ein, es werden also mindestens 91 Prozent des Gewinns besteuert.

Das Problem im Kanton Zürich ist, dass die Rechnung nicht aufgehen wird. Die bürgerliche Mehrheit argumentiert immer damit, dass die heute privilegiert besteuerten Konzerne abwandern würden, wenn wir die Steuern nicht für alle massiv senken. Doch heute bezahlen privilegiert besteuerte Unternehmen nur 16 Prozent der gesamten Unternehmensgewinnsteuer. Mit der kantonalen Vorlage sollen nun die Unternehmenssteuern für alle massiv gesenkt werden – wobei ja das Schein-Argument der «Abwanderung» für die allermeisten Unternehmen überhaupt nicht zählen kann. Wenn für alle neu der zu versteuernde Anteil am Gewinn von 100 auf 30 Prozent (Stichwort Instrumente) reduziert werden wird, dann werden die Ausfälle für den Kanton Zürich gewaltig werden.

 

Man liest immer wieder die Zahlen von 200 bis 275 Millionen Franken prognostizierter Steuerausfälle für den Kanton Zürich. Gibt es da verschiedene Prognosen?

Diese Zahlen sind schlicht unglaubwürdig. Sie beruhen auf sogenannten dynamischen Modellschätzungen vom Kanton Zürich. Dynamisch bedeutet, dass man auch eine Schätzung, wie viel neue Unternehmen durch die Steuersenkung in den Kanton Zürich ziehen, in die Berechnungen mit einfliessen lässt. So hat der Kanton Zürich etwa berechnet, dass wenn man den Gewinnsteuersatz von 8 auf 7 Prozentpunkte senkt, die Verluste 240 Millionen betragen, bei einer Senkung von 8 auf 6 Prozente jedoch lediglich 205 Millionen. Das ist schlicht Voodoo-Economics nach dem Prinzip Hoffnung. Oder böser formuliert: Wir werden schlicht getäuscht.

Gerade hat die Stadt Zürich nämlich eine dringliche Anfrage der Grünen und der SP bezüglich der prognostizierten Steuerausfälle für die Stadt beantwortet. Die Stadt rechnet in der Antwort bereits 2022 mit 30 Prozent höheren Ausfällen als vom Kanton geschätzt – wir sprechen hier von jährlich total 100 Millionen Franken. Ich traue den Zahlen des Kantons also nicht, und das macht nicht einmal der Kanton selbst. Dieser hat in seiner Finanzplanung für das Jahr 2022 450 Millionen Verlust als Folge der Steuervorlage einberechnet.

 

Hätte man Ihrer Meinung nach alle angesprochenen Instrumente weniger ausnützen müssen oder gibt es vor allem einen relevanten Punkt, weshalb die SP die Vorlage nun ablehnt?

Matchentscheidend ist für mich die Entlastungsgrenze, denn dabei handelt es sich um den Fallschirm der Vorlage. Es kann nicht sein, dass Grosskonzerne in Zukunft nur noch 30 Prozent ihres Gewinns überhaupt besteuern müssen. Man muss dabei betonen, dass es der Kanton Zürich, im Vergleich zu anderen Kantonen, gar nicht nötig hat, den Werkzeugkasten derart auszunutzen.

 

Wieso?

Das Argument der Befürworter lautet ja immer, dass bei einer plötzlichen ordentlichen Besteuerung der Unternehmen, die jetzt noch privilegiert besteuert werden, alle wegziehen werden. Aus diesem Grund müsse man neue Privilegien schaffen, um die Unternehmen halten zu können. Dabei sind nur drei Prozent der gesamten Unternehmen von der Abschaffung der Privilegien betroffen. Andere Kantone haben viel mehr privilegierte Unternehmen, und haben die Instrumente trotzdem nicht so stark ausgenutzt wie Zürich. Um die drei Prozent, die im Kanton Zürich betroffen sind, nicht vor den Kopf zu stossen, schaffen wir für die anderen 97 Prozent riesige Reduktionsmöglichkeiten. Das ist nicht nötig. Das Steuerbelastungsmonitoring des Kantons Zürich, eine Studie, die jährlich erscheint, kommt selbst zum Schluss, dass andere Faktoren viel zentraler sind als einfach der Gewinnsteuersatz. Der Kanton Zürich ist attraktiv aufgrund seiner guten Infrastruktur, seiner hohen Lebensqualität, die wiederum Fachkräfte anlockt, und seiner renommierten Hochschulen. Diese Qualität hat aber ihren Preis, und wir gefährden sie mit dem Produzieren von Steuerausfällen. Wenn wir andauernd Steuersubstrat vernichten, werden wir uns die hohe Qualität irgendwann nicht mehr leisten können.

 

Die Vorlage will die Gewinnsteuer in zwei Schritten um je einen Prozentpunkt senken. Dabei ist nur die Senkung des ersten Prozents im Gesetz verankert. Das zweite Prozent kommt also nicht sicher?

Schlussendlich soll die Gewinnsteuer von acht auf sechs Prozent gesenkt werden, also um einen Viertel. Wichtig zu sagen ist, dass dabei die verheerende Zusatzwirkung noch ausgeblendet ist. Bei der USR III sollte dies bei der kantonalen Umsetzung in einem Schritt passieren. Unterdessen hat man aber gemerkt, dass dies schlicht nicht finanzierbar wäre, es würde zu viel zu hohen Steuerausfällen führen. Aus diesem Grund folgt das zweite Prozent bei der jetzigen Vorlage erst drei Jahre nach der Umsetzung.

Das zweite Prozent steht zwar nicht im Gesetz, die Regierung steht aber hinter der zweiten Senkung. Der zweite Prozentpunkt wird enorm schädlich, denn bei der jetzigen Vorlage hat man immerhin noch die 200 Millionen mehr von der direkten Bundessteuer. Eine solche Abfederung gibt es beim zweiten Schritt nicht mehr.

 

Die Senkung um den zweiten Prozentpunkt müsste aber nochmals durch den Kantonsrat und nochmals durch eine Volksabstimmung. 

Ja. Es bräuchte eine zweite Vorlage, die referendumsfähig ist. Ich bin überzeugt, dass der Support dann ganz zusammenbrechen wird. Der zweite Schritt dient ganz offensichtlich nur den Grosskonzernen, die Städte und Gemeinden sowie der Kanton werden enorme Verluste erleiden.

 

Die Städte Zürich und Winterthur stehen hinter der Vorlage, da die 200 Millionen der direkten Bundessteuer an die Städte und Gemeinden fliesst. Klingt doch nach einem guten Deal für die Städte. 

Mit diesen 200 Millionen hat man sich schlicht das Ja der Städte und Gemeinden gekauft. Wenn man sich anschaut, wer die Umsetzung der USR III bekämpft hat, dann waren das die SP, die Städte und die Kirche. Aus diesem Grund erhält in der aktuellen Vorlage auch die Kirche noch fünf Millionen. Es ist also sicherlich ein guter Deal für die Kasse der FinanzvorsteherInnen der betroffenen Städte und Gemeinden, nur bringt es ihnen nichts. Es ist zu kurzfristig gedacht. Wenn das finanzielle Loch beim Kanton wächst, dann wird er anfangen, Kosten vom Kanton auf die Gemeinden abzuwälzen. Das hat man auch beim letzten grossen Sparpaket Lü16 gesehen. Für die SteuerzahlerInnen ist die Vorlage ein grosser Bschiss, denn für sie spielt es keine Rolle, ob das finanzielle Loch beim Kanton oder der Gemeinde liegt. Die Bevölkerung wird die Ausfälle schlussendlich bezahlen, sei es mit höheren Steuern, weniger Leistungen oder mehr Gebühren. Bereits in den letzten Jahren gab es eine Verlagerung von Steuern hin zu Gebühren, das wird zunehmen. Damit wird das Steuersystem ungerechter, da bei den Gebühren die Progression wegfällt.

 

Was passiert, wenn die Vorlage vom Volk abgelehnt wird?

Dann wird eine neue Vorlage ausgearbeitet. In Bezug auf die Abschaffung der Privilegien wird man diese bis 2020 abschaffen müssen, egal, ob die SV 17 nun angenommen wird oder nicht. Zürich ist diesbezüglich auch nicht so stark unter Druck, da er nicht gleichermassen abhängig ist von den privilegierten Unternehmen wie andere Kantone.

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