«Das grosse Thema in Uster ist zurzeit die Stadtentwicklung»

Bei den Stadtratswahlen in Uster vom 15. April möchte die SP das Stadtpräsidium erobern und den Sitz der nicht mehr antretenden Esther Rickenbacher verteidigen. Warum auch Uster nach links rücken sollte, erklären die Sozialvorsteherin und Stadtpräsidiumskandidatin Barbara Thalmann und Stadtratskandidat Stefan Feldmann im Gespräch mit Nicole Soland.

 

In der Stadt Zürich entsprechen die Exekutiv-ämter 100-Prozent-Stellen. Wie sieht es in Uster aus?

Barbara Thalmann: Das Präsidium ist als 80-Prozent-Stelle oder «Hauptamt» definiert, womit man theoretisch noch etwas nebenbei arbeiten darf, aber in der Praxis kaum mehr die nötige Zeit finden dürfte. Als amtierende Stadträtin bin ich zu 40 Prozent angestellt.

 

Sie, Herr Feldmann, würden demnach als gewählter Stadtrat Ihre eigene Firma im Bereich PR und Kommunikation weiterführen?

Stefan Feldmann: Selbstverständlich. Ich werde mich allerdings stärker auf meine bisherigen, langjährigen Kunden konzentrieren und weniger Einzelaufträge annehmen.

 

Frau Thalmann, Sie sind seit bald zwölf Jahren Sozialvorsteherin – lange genug, um mit der Kandidatur fürs Stadtpräsidium etwas Neues zu wagen?

Barbara Thalmann: Ich habe bereits vor vier Jahren fürs Präsidium kandidiert. Es kam zum zweiten Wahlgang, in dem es mir ganz knapp nicht reichte. Mein Interesse ist somit nicht neu. Es ist aber umgekehrt auch beileibe nicht so, dass mir mein Ressort verleidet wäre, im Gegenteil: Ich finde es nach wie vor sehr spannend. In meiner Zeit als Stadträtin habe ich aber auch je länger, je mehr Einblick in andere Gebiete erhalten, die mich ebenfalls sehr interessieren und in die ich auch meinen Hintergrund und meine Erfahrung als selbstständige Architektin einbringen könnte. Darunter fallen namentlich die Stadtplanung und -entwicklung, aber auch die Kultur.

 

Warum möchten Sie, Herr Feldmann, Stadtrat werden?

Stefan Feldmann: Ich habe in 14 Jahren im Gemeinderat und 10 Jahren im Kantonsrat das politische Handwerk von der Pike auf gelernt. Nach dieser langen Zeit als Mitglied von Legislativen möchte ich nun gerne ein Exekutivamt übernehmen. Das bedeutet mehr Verantwortung, aber auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Mit dem frei werdenden Sitz von Esther Rickenbacher bietet sich mir nun die Gelegenheit, mich zu bewerben.

 

Auf welchen Gebieten würde Uster speziell profitieren, wenn der Stadtrat am 15. April linker und grüner würde?

Barbara Thalmann: Das grosse Thema in Uster ist zurzeit die Stadtentwicklung. Im kantonalen Richtplan ist vorgegeben, dass unsere Stadt künftig mehr EinwohnerInnen haben soll. Es werden zwar nicht so viele mehr sein wie in Zürich, doch die vorgesehene Steigerung von aktuell 35 000 auf neu 42-43 000 Einwohnerinnen und Einwohner ist doch markant: Sie bedeutet gegenüber heute einen Zuwachs um rund einen Fünftel. Dies wird Konsequenzen haben, nicht zuletzt für die Mobilität und die Infrastruktur.

 

Mehr BewohnerInnen gleich mehr Kinder gleich mehr Schulhäuser?

Barbara Thalmann: Der Schulraum ist sicher ein Thema, der Grünraum ebenso, und es braucht auch im Sozialen ein Konzept. Wichtig ist die Gesamtschau: Es geht nicht nur darum, einfach zwei Stockwerke höher zu bauen. Wir müssen uns überlegen, was es für die Stadt bedeutet, wenn wir sie nach Innen verdichten. Ich zweifle nicht daran, dass es uns gelingen wird – aber wir müssen uns gut überlegen, was es dazu alles braucht. Es geht um Qualität und darum, den menschlichen und sozialen Teil im Auge zu behalten: Wie funktionieren die Menschen in den neuen Quartieren, wie gestalten sich die Mietpreise, wie finden alle ihren Platz? Und was heisst die Bevölkerungszunahme konkret für den Verkehr in der Stadt? Wir haben dazu im Stadtrat ein Projekt gestartet, das auch die Mitwirkung der Bevölkerung vorsieht. Denn die Themen sind nicht neu, doch wir müssen sie jetzt anpacken.

 

Stefan Feldmann: Dem kann ich nur beipflichten. Was beispielsweise die Stadtentwicklung im Zentrum betrifft, sind seit langem politische Prozesse im Gange, doch diese kommen nur sehr langsam voran. Hier ist zusätzlicher «Drive» gefragt. Mit der Entwicklung des Zeughausareals und dem dort geplanten Kulturzentrum bekommt Uster einen weiteren Urbanisierungsschub. Es gilt aber auch, die verschiedenen Areale sinnvoll zu verbinden: Würde etwa die Unterführung Winterthurerstrasse gebaut, dann würde eine vielbefahrene Strasse Zeughausareal und Zentrum voneinander trennen. Doch das Bauliche ist trotz allem nur ein Aspekt, wir brauchen eine urbane Weiterentwicklung als Ganzes. Ein Beispiel: Wir haben zurzeit eine Tagesschule in Niederuster, ein Pilotprojekt, das nun verlängert wurde. In einer urbaner werdenden Stadt wird das nicht reichen, es wird in allen Schulhäusern Tagesschule-Angebote brauchen. Uster wird vom Lebensgefühl her urbaner, dann braucht es auch eine urbane Infrastruktur. Und diese Weiterentwicklung unserer Stadt wollen wir nicht den Bürgerlichen überlassen, denn wir wollen eine menschen- und umweltfreundliche Stadt, die mit Augenmass entwickelt wird, so dass am Ende ein stimmiges grosses Ganzes entsteht.

 

Barbara Thalmann: Wenn wir als Stadt weiter wachsen wollen, müssen wir uns meines Erachtens auch an den grösseren Städten orientieren. Wir funktionieren als eine Art Scharnier zwischen der Agglomeration, der Stadt Zürich sowie dem Zürcher Oberland, mit dem uns von alters her viel verbindet. Früher bildeten das Zürcher Oberland und Uster eine Einheit, nicht zuletzt wegen der Industrie. Heute ist der Sog gross, den die Stadt Zürich auf Uster ausübt.

 

Die zusätzliche Verdichtung wird Uster, negativ formuliert, noch mehr zur Schlafstadt machen?

Barbara Thalmann: Das hängt unter anderem von den Ressourcen ab, also davon, wieviel wir beispielsweise in die Kultur, in den Sport und in weitere Angebote investieren. Das wiederum ist eine Frage des politischen Willens.

 

Stefan Feldmann: Wir sind keine Schlafstadt, sondern eine Wohnstadt. Barbara und ich sind beides gebürtige UstermerInnen, und wenn ich das Angebot an Kultur und Sport von damals, als ich zur Schule ging, mit dem vergleiche, was es heute gibt, dann ist der Unterschied gewaltig. Heute lässt es sich in Uster sehr gut wohnen. Was die Arbeitsplätze betrifft: Solche sind in Uster natürlich wünschenswert, aber letztlich werden auch in Zukunft viele Menschen nach Zürich zur Arbeit pendeln und gleichzeitig weiterhin gerne in Uster wohnen. Deshalb sollten wir unser Potenzial als Wohnstadt weiterentwickeln.

 

Barbara Thalmann: Mit Arbeitsplätzen sind zudem längst nicht mehr nur die ‹klassischen› in der Industrie gemeint. Heute gibt es andere Unternehmen mit anderen Ansprüchen, und für diese sind wir durchaus attraktiv, für solche aus der Kreativwirtschaft etwa oder aus dem Gebiet der neuen Technologien. Diese Firmen wollen nicht auf die grüne Wiese, und sie brauchen auch nicht viel Platz, sondern vor allem eine «coole Location» und schnelles Internet. Im übrigen haben wir in Uster auch Arbeitsplätze in Institutionen, die schon seit vielen Jahren hier ansässig sind, beispielsweise im «Wagerenhof» oder auch in unserem Spital.

 

Urbane Menschen sind oft velo-mobil: Anfang November 2009 gab es in Uster eine Medien-Velofahrt, an der die damaligen SP-Gemeinderät-Innen Maja Burger und Peter Grob die Lücken im Velowegnetz anprangerten und ein Postulat einreichten, das eine Analyse des Ist-Zustandes sowie Verbesserungsvorschläge forderten. Wie velofreundlich ist Uster heute?

Stefan Feldmann: Die damals geforderte Analyse hat der Stadtrat geliefert, aber seither ist leider herzlich wenig passiert. Deshalb haben wir im Januar unsere Volksinitiative «für sichere und durchgängige Velowege» lanciert. Sie fordert einen Rahmenkredit von fünf Millionen Franken für Planung und Bau eines flächendeckenden und sicheren Velowegnetzes sowie zur Verbesserung der Veloinfrastruktur in der Stadt Uster. Wir haben zwei Sammeltage durchgeführt und die benötigte Unterschriftenzahl von 600 bereits erreicht. Wir sammeln aber noch weiter, denn eines wurde an den Sammeltagen klar: Die mangelhafte Veloinfrastruktur beschäftigt die Leute, sie brennt ihnen unter den Nägeln. Schwierig ist auch die Situation beim Bahnhof: Dort hat es jetzt schon zu wenig Veloabstellplätze, doch die SBB bauen zurzeit weitere ab, denn sie benötigen Platz für den Umbau zu einem behindertengerechten Bahnhof. Dagegen ist natürlich gar nichts einzuwenden, aber es geht nicht an, dass man Menschen mit Behinderungen und VelofahrerInnen gegeneinander ausspielt. Der Stadtrat hat sich in diesem Konflikt bisher nicht gross engagiert, ihm scheint der Abbau egal zu sein.

 

Barbara Thalmann: Für den Stadtrat durchaus ein Thema ist der Modalsplit, also die Frage danach, wie häufig die Ustermer-Innen die einzelnen Verkehrsmittel nutzen. Dazu macht der Kanton übrigens Vorgaben: Grundsätzlich soll der motorisierte Verkehr ab- und der Langsamverkehr zunehmen. Der Strassenraum in Uster ist grundsätzlich gebaut und kaum erweiterbar, weshalb die verschiedenen Verkehrsteilnehmer diesen begrenzten Raum teilen müssen, wobei der Langsamverkehr weniger Platz braucht und klar ökologischer ist.

 

Stefan Feldmann: Auch in Uster bewegt man sich langsam weg von der Vorstellung, das Auto sei das einzig wahre Verkehrsmittel. Die SP fordert schon seit Jahrzehnten ein autofreies Zentrum und blieb mit diesem Wunsch bisher allein. Unterdessen finden sogar die Bürgerlichen die Idee nicht schlecht – nur zum Handeln konnten sie sich bisher noch nicht aufraffen.

 

Barbara Thalmann: Ein weiteres wichtiges Thema ist die Parkplatzverordnung. Heute ist es in Uster noch nicht möglich, zu einem Wohnhaus weniger Parkplätze zu erstellen, als die Parkplatzverordnung im Minimum vorsieht. Dabei besteht auch bei uns der Wunsch nach autoarmem Wohnen. Die Änderung dieser Verordnung ist unterdessen aufgegleist.

 

Stefan Feldmann: Im Parlament wurde ein Vorstoss für vier autofreie Wochenenden im Zentrum überwiesen. Seither herrscht grosse Aufregung beim Gewerbeverband – dabei könnte man den Auftrag, ein Konzept zu erstellen, auch als Chance sehen, um Erfahrungen im Hinblick auf ein autofreies Zentrum zu sammeln.

 

Barbara Thalmann: Wir waren einer vernünftigen Verkehrspolitik noch nie so nah wie jetzt: Im Parlament ist die Mitte aus BDP, CVP, GLP und EVP velofreundlich, sozial und grün gestimmt, womit es zusammen mit der SP in solchen Fragen zu einer Mehrheit reicht.

 

Stefan Feldmann: Ja, in solchen Fragen spielt die Allianz sehr gut. Anders sieht es dann allerdings bei den Finanzen aus. Dort stimmt die Mitte dann oft mit den Bürgerlichen.

 

Welche weiteren Ustermer Themen liegen Ihnen speziell am Herzen?

Barbara Thalmann: Eine Motion der SP und der EVP verlangt die Förderung der Inklusion, wie es auch die Behindertenkonvention vorgibt. Das Ziel ist, dass Menschen mit Einschränkungen in Uster einfach dazugehören, dass es im täglichen Zusammenleben keine Rolle mehr spielt, ob jemand blind ist, im Rollstuhl sitzt oder psychisch beeinträchtigt ist. Die Motion wurde angenommen, der Auftrag ist erteilt, Geld für die Umsetzung ist gesprochen. Nun geht es in einem nächsten Schritt darum, herauszufinden, wo wir vermehrt etwas tun können. Denn grundsätzlich sind wir in Uster dank den hier ansässigen Institutionen wie dem Wagerenhof, dem Werkheim, aber auch Einrichtungen für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen den Umgang mit Menschen mit Behinderung gewohnt. Aber es gibt Bereiche mit Handlungsbedarf! So befassen wir uns beispielsweise auch mit dem Thema «Leichte Sprache».

 

Stefan Feldmann: Politik hat ja letztlich die Aufgabe, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Das wollen wir auch in Uster schaffen. Und ich meine, das ist bei uns gut möglich: Unsere Stadt hat eine Grösse, die genug gross ist, um etwas gestalten zu können, und klein genug, so dass man sich noch kennt und im Gespräch miteinander zu einem Ausgleich der Interessen kommen kann.

 

Barbara Thalmann: Uster ist die Stadt der kurzen Wege, sowohl rein physisch als auch im übertragenen Sinne. Bei uns läuft man nicht Gefahr, sich im Dschungel der Bürokratie zu verlaufen, sondern kann mit relativ wenig Aufwand etwas erreichen.

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