- Gedanken zur Woche
Das Ganze, nicht nur das Supplement
Das Zuger Kantonsgericht hat auch materiell im Streitfall zwischen Jolanda Spiess-Hegglin und dem ‹Blick›, respektive dem Verlagshaus Ringier entschieden. Das Urteil ist sehr eindeutig: Ringier muss den mit Artikeln über sie erzielten Gewinn von 309 531 Franken an sie bezahlen. Sie war mit ihrer Modellrechnung auf 431 525 Franken gekommen, Ringier mit seinen Berechnungen auf 4900 Franken. Dass sie entschädigt werden muss, hatte das Gericht bereits früher mit einem Urteil über vier Artikel entschieden, in denen der ‹Blick› ihre Persönlichkeitsrechte verletzte, was Ringier anerkannte. Das Urteil könnte, falls es bei Weiterzugbestehen bleibt, den Ringier bereits angekündigt hat, für alle Schweizer Medien wegweisend werden. Es bedeutet salopp ausgedrückt: Wer Mist publiziert, muss damit rechnen, dass er den damit erzielten Gewinn ganz abliefern muss. Zur Berechnung des Gewinns hatte Jolanda Spiess vor allem in Zusammenarbeit mit ihrer Anwältin und Hansi Vogt, dem ehemaligen Chefredaktor von ‹Watson› ein Modell entwickelt, das auf den Klicks pro Artikel samt den damit vor allem Online verbundenen Inseraten basiert. Ringier hatte dieses Modell mit einem Gutachten des Wirtschaftsprüfers PwC gekontert. Diese Berechnung konzentriert sich auf den Extragewinn, den ‹Blick› mit den Artikeln über Jolanda Spiess erzielte. Konkret ausgedrückt: ‹Blick› veröffentlicht jeden Tag einen Frontartikel oder einen Artikel, der am meisten Klicks erzielt und damit auch am meisten Werbung. Das ergibt einen täglichen durchschnittlichen Gewinn und Ringier wollte nur jenen Teil am Gewinn abtreten, den er mit den Artikeln über Jolanda Spiess über dem Schnitt erzielt hatte. Das Gericht gab ihr recht, korrigierte lediglich ein paar Rechenfehler. Nach dem Motto: Wer eine faule Ware verkauft, muss den ganzen Erlös zurückerstatten und darf nicht jenen Anteil zurückbehalten, den er mit einer korrekten Ware erzielt hätte.
Bevor ich mich hier weiter kritisch mit dem ‹Blick› und dessen Stellungnahme von Ladina Heimgartner, CEO Ringier Medien Schweiz, unter dem Titel «Ein fataler Schlag für den freien Journalismus» befasse, deklariere ich meine Interessensbindung: Ich lese seit gut 50 Jahren täglich den ‹Blick›. Zu meinem Vergnügen und kaum aus beruflichen Gründen, auch wenn ich die Fähigkeit der meisten ‹Blick›-Redaktor:innen, einen Sachverhalt mit verständlichen Worten auf den Punkt zu bringen, oft bewundere. Zudem hat der ‹Blick› keinen systematischen Rechtsdrall. Kurz gesagt: In einem Café mit einem Espresso und dem ‹Blick› den Tag beginnen, ist mir eine liebe Gewohnheit.
Die Stellungnahme von Ladina Heimgartner im ‹Blick› vom Dienstag hat in meinen Augen zwei Kernpassagen: «Die Berichterstattung über die Ereignisse rund um die ehemalige Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin und die Landamman-Feier 2014 zählt nicht zu den publizistischen Sternstunden dieses Landes und des ‹Blicks›. Die Art und Weise, wie vor 10 Jahren über die Ereignisse berichtet wurde, ist Ausdruck eines harten Boulevardstils, den ‹Blick› längst nicht mehr praktiziert, und das ist gut so.» Die andere Passage: «Dieses erstinstanzliche Urteil gefährdet die Medienfreiheit in unserem Land: Journalistinnen und Journalisten werden unter dem Vorzeichen des ‹Risiko› einer personenbezogenen Berichterstattung kaum mehr eingehen wollen. Der Schweizer Journalismus hat auch die Aufgabe, die Mächtigen und die Machtzentren dieses Landes zu überwachen und Fehlverhalten an die Öffentlichkeit zu tragen.»
Die erste Passage ist eine krasse Untertreibung, die zweite eine krasse Übertreibung. Das Paradebeispiel dafür lieferte gerade der letzte «Sonntagsblick». Auf der Front «Bundesbeamte absolvierten Workshops in Wellnesshotels.» Im Text werden die Verdächtigen mit ihrer Funktion, aber ohne Namen, ohne Bild und ihr Vergehen (Spesenreiterei) genannt. Sie haben – immer vorausgesetzt es trifft zu – sich auf Kosten der Steuerzahler:innen etwas geleistet, das ihnen nicht zusteht und darüber kann man auch künftig ohne Angst berichten.
Ende Dezember 2014 erfuhr der ‹Blick›, dass an der Landammannfeier in Zug zwischen der grünen Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin und einem SVP-Kantonsrat etwas Sexuelles vorgefallen sei, womöglich mit K.o.-Tropfen. Dass dies nicht nur für ein Boulevardblatt eine gute Geschichte sein kann, liegt auf der Hand. Aber ebenso, dass eine Veröffentlichung die Betroffenen tief trifft, und ob ein öffentliches Interesse an einem privaten sexuellen Ereignis zwischen Politiker:innen besteht, ist alles andere als klar. Politiker:innen haben zumindest in meinen Augen auch ein Recht auf eine Privatsphäre und sogar auf Privatverfehlungen, solange diese nicht ihr politisches Mandat betreffen. Das Argument der Überwachung der Mächtigen greift bei zwei neuen Zuger Kantonsrät:innen kaum. Kommt hinzu, dass die möglichen K.o.-Tropfen zu einem Strafverfahren führen können und man mit einer Berichterstattung dieses gefährden und beeinflussen kann. Ich kann mir vorstellen, dass man bei der Abwägung zum Schluss kommt, die Geschichte zu veröffentlichen. Auch weil eine Zeitung auch Geld verdienen will. Der ‹Blick› ignorierte indes sämtliche Warnzeichen und kam am 24. Dezember mit der Frontschlagzeile «Hat er sie geschändet?». Dazu Bilder von ihr und ihm. Der Artikel war keineswegs gut recherchiert, sondern nur gross aufgemacht, mit allen ‹Gerüchten› die herumgingen. Es folgten weitere Artikel, die sich intensiv damit beschäftigten, ob ein Sexualdelikt vorlag oder ob es sich um eine Ausrede für einen Seitensprung handelte. Dass nicht nur der ‹Blick› eifrig und mit oft mehr als fragwürdigen Fakten und Meinungen berichtete, sei nicht verschwiegen. Das Pech des ‹Blick›: Jolanda Spiess-Hegglin wehrte sich: In den Sozialmedien und mit Klagen beim Gericht, wo sie sowohl gegen ‹Blick› wie auch gegen Tamedia gewann (siehe dazu P.S. vom 14. Januar.)
Das Zuger Gericht hat den Journalist:innen und auch dem ‹Blick› keinen Strafzettel verpasst. Es hat lediglich entschieden, dass bei unrechtmässig erworbenem Gewinn ein feuchter Händedruck mit Entschuldigung nicht genügt, sondern dass dieser zurückerstattet werden muss. Dass Ringier die Berechnungsart in der nächsten Instanz überprüft, ist legitim. Nur handelt er dabei nicht im Interesse des freien Journalismus, sondern lediglich im Interesse seines Geldbeutels. Guten und harten Journalismus verhindert das Zuger Urteil nicht, höchstens etwas das leichtfertige Spekulieren mit der Privatsphäre. Was keineswegs ein Übel ist. Ganz im Gegenteil.