Das ganze Jahr Weihnachten? Das ist das Café Yucca für seine Gäste

Im Café Yucca sind vor allem die willkommen, die nicht ins Zürcher Stadtbild zu passen scheinen. Über das Angebot, die Gäste und die Entwicklung erzählen im Gespräch mit Natali Abou Najem der Theologe und Leiter Kurt Rentsch zusammen mit der Sozialarbeiterin Angela Lagler – und warum die Adventszeit die schwierigste im ganzen Jahr ist.

 

Das Café Yucca öffnet täglich für seine Gäste in der Zürcher Altstadt an der Häringstrasse 20. Seit wann gibt es diesen Ort für Menschen in Notlage?

Kurt Rentsch: In der Form, wie es heute ist, gibt es uns noch nicht so lange. Im Jahre 1973 hat die Zürcher Stadtmission im Anschluss auf die 1968er-Bewegung ein Jugendcafé eingerichtet: Die Jugendlichen hatten damals keinen Ort für sich, damals hat das Jugendcafé JuCa am Limmatquai versucht, diesen Raum zur Verfügung zu stellen. 

 

Angela Lagler: Zu dieser Zeit hat sich auch die erste offene Drogenszene beim Limmatquai entwickelt, die Riviera. Das Jugendcafé JuCa wollte damals etwas bieten, damit die Jugendlichen nicht einfach an die Riviera gehen. 

 

Heute heisst es ja Café Yucca – wie kam es zu dieser Namensänderung?

Lagler: Mit der Zeit wurden die Besucher des Jugendcafés älter und da passte der Name nicht mehr. Der Name JuCa hatte sich jedoch etabliert und da hat es sich ergeben, die Yucca-Palme als Logo zu nehmen. So konnten wir den Namen erhalten, ohne den Bezug zu Jugendlichen im Namen zu haben. Früher war es schon komplett anders: Es wurde Tischfussball gespielt, man konnte gemeinsam Jassen, es war ein Treff, der am Rande Beratungen und Entlastungsgespräche anbot.

 

Was führte zur Entwicklung bei, dass sich das Angebot von Jugendlichen hinweg zu Menschen in schwierigen Lebenssituationen verschoben hatte? 

Rentsch: Es ist seit Beginn an so, dass das Café für Menschen in schwierigen Lebenssituationen offensteht. Das Publikum ist einfach älter geworden und die Jugendkultur hat sich gewandelt. Schon vor dem 20-jährigen Jubiläum wanderte die Jugendkultur ab. Zudem hatte die Schliessung des Platzspitzes seine Einflüsse auf den Wandel gehabt. Gleichgeblieben ist seit der Gründung der Grundsatz, dass das Angebot niederschwellig und nicht an Verpflichtungen gebunden ist – ausser sich an die Hausordnung zu halten. Die Gäste mussten sich nicht offenbaren, wer sie sind, sie mussten auch bei keinem Programm mitmachen und es bestand kein Konsumationszwang – wir bieten einfach Menschen einen Platz an, die niemand haben will und bei denen alle wegschauen. Mit der Zeit wurde das Publikum auch älter – in den 1990ern waren unsere Gäste zwischen 30 und 50 Jahre alt – heute sind sie überwiegend über 50. 

 

Sie haben die Hausordnung erwähnt, was ist denn im Café Yucca nicht erlaubt? 

Rentsch: Der erste Punkt besagt, dass alle herzlich willkommen sind! Zweitens darf man keine Gewalt anwenden und auch die Konsumation von Rauschmitteln ist hier nicht erlaubt, und zuletzt sollte man sich an die Anweisungen des Teams halten. Diese Regeln sind grundsätzlich fest, es gibt aber andere Punkte, die sich mit der Zeit verändert haben. Hunde waren eine Zeitlang hier nicht erlaubt, dem ist nicht mehr so. Es gab zeitweise auch eine Kleintiervorschrift: Kleintiere ohne Käfig waren nicht erlaubt. In den 1980ern haben viele Gäste Ratten gehalten und im Café sind die dann frei auf den Tischen gewandert (lacht). 

 

Sie haben gesagt, dass die Gäste mit der Zeit gealtert sind – welches Publikum trifft man heute hier an? 

Lagler: Heute gibt es zwei Kategorien: Schweizer und Niedergelassene sowie Europawanderer. Das Yucca+ ist unter anderem ausgerichtet auf die Europawanderer, das ist ein koordiniertes Angebot der kirchlichen Passantenhilfe. Die Passantenhilfe der Landeskirchen wurde auf städtischem Gebiet von insgesamt 55 reformierten und katholischen Kirchen vom Yucca übernommen. Dieses Angebot existiert seit 2009, ein Jahr nach der Personenfreizügigkeit. Die Einführung der Passantenhilfe hat das Publikum verändert. 

 

Rentsch: Diese Klientel hat auch zugenommen durch die Grenzöffnung, früher war es eine überschaubare kleine Gruppe in der Schweiz. 

 

Warum wurde das Angebot um die Passentenhilfe erweitert? 

Lagler: Duchreisenden, die bei der Kirche anklopften und nach Hilfe baten, hat man in der Regel einen 20-Franken-Gutschein überreicht und sie weiterziehen lassen. Dies hinterliess den MitarbeiterInnen oft ein unbefriedigendes Gefühl, weil man nicht wusste, ob diese Hilfestellung angemessen war. Aber auch die Frage, ob sie sich wirklich in einer hilfsbedürftigen Situation befinden, stellte sich immer wieder, da es viele Professionelle gibt, die auf Durchreise sind und betteln. Es gibt teilweise klassische Wanderarbeiter, die von Land zu Land, von Arbeit zu Arbeit ziehen. Doch viele wandern in Europa umher auf der Suche nach Ressourcen auch von Sozialinstitutionen. Sehr häufig sind das Osteuropäer, aber auch Südeuropäer und Drittstaatenbürger mit europäischer Niederlassung. Beispielsweise Südamerikaner mit spanischem Pass, aber auch viele Deutsche mit prekärer psychischer Verfassung. 

 

Wie können Sie diesen Menschen dann konkret helfen? 

Lagler: Vor allem mit Nothilfe und damit verbunden Abklärungen zu kostenfreien Schlaf-, Verpflegungs- und Körperpflegemöglichkeiten. In einem weiteren Schritt klären wir Wanderarbeiter über Aufenthaltsbestimmungen, Ansprüche und Rechte auf. Mit dem Touristenstatus haben sie keinen Zugang zum Sozialsystem und somit auch keine Ansprüche. Die Schaffung dieser Realität nennen wir Perspektivenberatung und die ist von Fall zu Fall anders. Viele können weder Deutsch noch Englisch und sind ungelernt. Manche sind sogar Analphabeten – in solchen Fällen können wir nur aufklären. 

 

Rentsch: Sie dürfen aber wie alle anderen auch den Raum unter Beachtung der Hausordnung nutzen. Unsere deutschen Gäste haben in Deutschland beispielsweise oft Anspruch auf Hartz IV oder ihre Rente. Teilweise sind sie von dieser Versorgung weggelaufen, weil sie mit ihren Betreuern nicht ausgekommen sind. Wir versuchen, mit diesen Personen diesen Lebensschritt und Alltag zu teilen. 

 

Sie haben bereits einige Angebote aufgezählt, was bieten Sie den BesucherInnen des Café Yucca sonst noch an? 

Rentsch: Einen Platz, hier verweilen zu dürfen, und Zuwendung. Diese beginnt bereits beim Hereintreten mit einer freundlichen Begrüssung: Sie werden wahrgenommen, anständig bedient, und wenn sie wünschen, wird auch ein Gespräch ermöglicht. Sie können unser Konsumationsangebot nutzen, das bedeutet, wir bieten kostenfrei Tee, Suppe und Sirup an. Viermal pro Woche kochen wir für einen moderaten Preis Abendessen. An zwei weiteren Tagen gibt es Resteessen – das ist aber auch kostenlos. Und jenachdem, was wir erhalten, kann es sein, dass wir etwas zum Weitergeben haben. Dann schauen wir uns ihren gesundheitlichen Zustand etwas genauer an und leiten sie jenachdem anderen Stellen weiter. Für viele ist das Café Yucca ihr sozialer Punkt im Leben, ihr Zuhause und ihre Familie. 

 

Wie sieht der Alltag im Café Yucca aus? 

Lagler: (lacht) Alltag gibt es bei uns nicht.

Rentsch: Es ist immer wieder anders, wir wissen nie, was auf uns zukommt, wenn wir hier zur Arbeit kommen.

 

Lagler: Wir arbeiten niederschwellig, ohne Termine. Wenn wir die Türe öffnen, stehen manchmal bereits viele Personen draussen an, die herein wollen, nur um sich aufzuwärmen. An anderen Tagen möchten viele eine Beratung in Anspruch nehmen, dann erstellen wir eine Liste und unsere Gäste kommen dann der Reihe nach dran.

Rentsch: Manchmal müssen wir auch priorisieren und den Menschen sagen, dass sie Morgen erst wieder kommen sollen, da sich eine andere Person in einer dringlicheren Lage befindet und versorgt werden muss. 

 

Mit welchen Fragestellungen werden Sie in den Beratungen konfrontiert?

Lagler: Oftmals sind es ganz banale Sachen, die wir abklären müssen. Aber es gibt auch immer wieder komplexere Angelegenheiten: Personen wieder ins System einzubringen. Bei SchweizerInnen, die sich aus dem System ausgeklinkt haben, ist es beispielsweise einfacher, als bei Personen, die hier geboren sind und ihre Niederlassung verloren haben. Ich hatte einmal einen Fall mit einem Stadtzürcher, der keine Krankenversicherung hatte. Er hatte seine Krankenkasse vor der Einführung des Obligatoriums 1998 gekündigt. Ihn wieder ins System einzubringen ist eine ziemlich schwierige Geschichte gewesen. Solche Fragestellungen machen den Beruf aber spannend und herausfordernd. 

 

Wird das Café Yucca immer noch von der Zürcher Stadtmission getragen?

Rentsch: Dieses Jahr gab es eine Namensänderung: Das Café Yucca wird vom Verein Solidara Zürich getragen. Die Namensänderung von Zürcher Stadtmission zu Solidara Zürich erfolgte, da die Sockelfinanzierung anders aufgestellt worden ist. Der Name Solidara, weil der Verein solidarisch mit Menschen in Notlage steht. Auch mit der Stadt Zürich gibt es eine Leistungsvereinbarung, die in den letzten Jahren stark erhöht wurde. Um das Café, die Beratungsstelle und die drei Notzimmer betreiben zu können, benötigen wir aber weitere Spenden und Zuwendungen.

 

Lagler: Wir wollen damit auch eine ökomenische Öffnung. Die Zürcher Stadtmission war evangelisch geprägt.Wir werden auch von katholischen und christkatholischen Kirchen unterstützt. Für unsere Arbeit gilt: Wir sind offen für alle, egal welcher Herkunft und Religion.

 

Wir sind mitten in der Adventszeit und die Nächte werden immer kälter – spüren Sie diese wetterbedingten Veränderungen in der Nachfrage? 

Rentsch: Dieses Jahr spüren wir es besonders stark! Der November hat schon mit schlechten Wetterverhältnissen begonnen und das wirkt sich nicht nur auf unsere Stimmung bedrückend aus, sondern auch auf die unserer Gäste. Generell sind unsere Gäste über die Wintermonate etwas gereizter. Aber sobald die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet wird, verschlechtert sich ihre Stimmung deutlich. Paradoxerweise sind Menschen in der Adventszeit freigiebiger als sonst, wenn sie auf der Strasse um Geld angesprochen werden. Unsere Gäste erhalten zu dieser Zeit öfters mehr als sonst – auch von anderen Stellen, da Hilfsangebote hochgefahren werden. Sie sind auch oft übersättigt vom Essen, aber das Januarloch bahnt sich dann für sie an. Sobald der Rummel um die Festtage vorbei ist, entspannt sich aber wiederum ihre Stimmung.

 

Warum ist das so?

Lagler: Nicht nur diejenigen, die draussen schlafen müssen, sind schlechter gelaunt, sondern auch jene, die ein Obdach haben. Aus der Soziologie ist allgemein bekannt, dass die Weihnachtszeit schwieriger für arme Menschen in reichen Ländern ist als in ärmeren Weltregionen. Hier wird der ganze Luxus so richtig zur Schau gestellt und den Menschen vor die Augen geführt, dass sie nicht daran teilhaben können. Nicht teilnehmen zu können an diesem privilegierten, luxuriösen Leben ist frustrierend und auch verletzend.

 

Wird im Café Yucca auch Weihnachten gefeiert, um die Teilhabe an diesem Fest doch irgendwie zu ermöglichen? 

Rentsch: Wir organisieren ein gutes und schönes Essen. Nicht so ausführlich, wie in den Zeiten vor Corona, da es aufgrund der Massnahmen nicht möglich ist. 27 Personen haben in unserem Räumlichkeiten Platz wegen den Coronaregeln, zu Weihnachten können es bis zu 70 Pers onen werden. Dieses Jahr werden wir die Weihnachtsfeier in zwei Schichten aufteilen, damit auch für Menschen in Notlage Weihnachten einkehrt. Wir versuchen aber generell ein Stück Weihnachten das ganze Jahr hindurch auszutragen: Die Krippe, bei der man einkehren kann: Dort wo Esel und Ochse stehen, dort wird Gott Mensch – wie die Weihnachtsgeschichte das erzählt.

 

 

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