- Gedanken zur Woche
Das feministische Paradox
Letzten Freitag hatten wir die feministische Journalistin und Autorin Susanne Keiser als Gast in der Nationalratsfraktion. Sie ist auch Gast im Podcast Meyer:Wermuth in einem empfehlenswerten Gespräch. Der Anlass für die Einladung war eine Diskussion über den sogenannten Backlash, also den Rückschritt bei den Frauenrechten, sowie dem gleichzeitigen Aufkommen von maskulinistischen Bewegungen gerade bei jungen Männern. Der ‹Tages-Anzeiger› hat dazu auch eine Recherche gemacht über junge Männer, die einen Onlinekurs bei Andrew Tate besuchen, einem der grössten Influencer der sogenannten Mannosphäre. Dort wird den jungen Männern in erster Linie gesagt, dass sie mit eiserner Disziplin (hart arbeiten, viel trainieren, keinen Sex, keine Drogen) einmal reich (und sexy) werden können. Reich dabei wird in erster Linie Andrew Tate. Diese Botschaft der Disziplin findet sich auch bei Jordan Peterson, der eine Art Vorgänger war, auch er ein rechtskonservativer Influencer, dessen simple Botschaften, wie (r)echte Männer sein sollten, ebenfalls eine Zeitlang auf grossen Anklang stiessen. Nun ist diese Verknüpfung von Disziplin und Männlichkeit nicht etwas grundsätzlich Neues, wenn man beispielsweise an das Militär oder an Spitzensport denkt. Genauso wenig in der Verknüpfung von Männlichkeitsidealen mit rechter Politik und Frauenfeindlichkeit. Dennoch ist es erstaunlich, dass nach Jahrzehnten gleichstellungspolitischer Fortschritte solch reaktionäre Botschaften auf offene Ohren stossen. Andrew Tate werden von mehreren Frauen Vergewaltigung und Körperverletzung vorgeworfen, er wird auch wegen Verdachts auf Menschenhandel gesucht. Dem konnte er sich bis anhin entziehen, in dem er in die USA ging. Dessen Präsident ja auch seine Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen hat.
Susanne Keiser beschreibt diesen Angriff auf die Frauenrechte nicht nur als Backlash also als Rückschritt, sondern als Gleichzeitigkeit. Es ist keine Pendelbewegung, bei der auf einen Fortschritt einen Rückschritt erfolgt. Heute werden Fortschritt und Rückschritt gleichzeitig erlebt. Während auf der einen Seite Frauen erfolgreicher und sichtbarer geworden sind, nimmt gleichzeitig die Gewalt gegen Frauen zu. Das nennt Keiser das «feministische Paradox». Der Gamechanger dafür sei das Internet gewesen, meint Keiser in einem Interview mit der WOZ. Durch das Netz hätten sich Frauen Räume erkämpft und Unrecht sichtbar gemacht, sich gegenseitig vernetzt. Das berühmte Beispiel dafür ist #MeToo. Auf der anderen Seite hat sich auch die Gegenbewegung das Netz zueigen gemacht: «Daraus entsteht dann eben diese Gleichzeitigkeit, also ganz direkt Aktion und Reaktion. Und Männer haben die digitale Macht inne. Techberufe sind immer noch männlich, und wir nutzen in Europa die Dienstleistungen einer Handvoll Milliardäre, die die Regeln machen.»
Die Gewalt gegen Frauen könne nicht allein auf die Zunahme von Anzeigen zurückgeführt werden, sagt Keiser im Gespräch mit Cédric Wermuth. Es gäbe schon den positiven Effekt, dass das Dunkelfeld kleiner werde. Aber ihre Recherche mit Expert:innen bei Frauenhäusern, Beratungsstellen und Strafverfolgungsbehörden habe ergeben, dass die Zahl auch insgesamt zunimmt. Das führt Keiser auch darauf zurück, dass es einen Widerspruch gibt zwischen der «diskursiven Überwindung des Patriarchats und seinem faktischen Fortbestehen», wie sie der WOZ gegenüber ausführt. Einerseits ist die Welt faktisch noch auf Männer ausgerichtet, aber der Mann ist in gesellschaftlichen Debatten nicht mehr die Norm, nach der sich alles richtet. Auch wegen diesen Widersprüchen seien diese «Menfluncer» erfolgreich. Jungen Männern seien mit ambivalenten Erwartungen konfrontiert: «Einerseits lernen sie früh, dass sie Grenzen einhalten müssen, dass Männlichkeit toxisch sein kann. Man verspricht ihnen dafür andererseits, dass sie alles dürfen: Sie können Rosa mögen, Balletttänzer werden, sich als schwul outen. Das stimmt aber nicht – und hier sind wir wieder beim Unterschied zwischen den diskursiven und den realen Machtverhältnissen.»
Gleichzeitig gibt es das Phänomen, dass junge Frauen und Männer politisch immer weiter auseinanderdriften. Dies auch weil sie in unterschiedlichen Welten unterwegs sind: Die Inhalte, die von Jugendlichen auf Social Media konsumiert werden, sind ganz klar geschlechtergetrennt (siehe auch P.S. vom 11.4.2025). Und weil sich immer mehr Leben auf diese Plattformen verlagert, gäbe es immer weniger soziale Kontakte zwischen Jungen und Mädchen. Das heisst, es gäbe viel weniger gemischte Freundesgruppen als früher.
Nun muss man ein wenig aufpassen, dass man nicht in ein nostalgische Verklärung verfällt. In den 1990er-Jahren, die mich sozialisiert haben, gab es eine unglaubliche Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen in der Popkultur, die mir erst viel später aufgefallen ist. Ich fand aber für mich tatsächlich immer entscheidend, dass es auch ein freundschaftlicher Umgang mit dem anderen Geschlecht möglich ist, in denen man sich in erster Linie als Mensch begegnen kann.
Das ist letztlich auch das Ziel von Susanne Keiser. Der Feminismus ist dabei nicht das Endziel, sondern ein Mittel, um eine Gesellschaft zu erreichen, in der das Geschlecht keine übergeordnete Rolle mehr spielt. Dass die Frage der Geschlechter wie eine ist der Augenfarbe, bei denen zwar Differenzen bestehen, wir dieser aber keine Bedeutung zuschreiben.
In den letzten Jahren wurde die Debatte über Stärken und Schwächen der Identitätspolitik heftig geführt. Es schien mir immer klar, dass die Klassierung als Nebenwiderspruch der Bedeutung nicht gerecht wird. Diskriminierungserfahrung ist sowohl prägend für die eigene Identität als auch immer mit handfesten ökonomischen Auswirkungen verbunden. Natürlich gibt es auch reiche Frauen: Aber Frauen sind weit mehr von Armut gefährdet, weil sie schlechter verdienen und mehr unbezahlte Arbeit leisten. Das gilt auch für andere Gruppen, die heute in der Gesellschaft schlechter gestellt sind. Mehr abgewinnen konnte ich immer der Sorge, dass der Universalismus in all diesen Kämpfen zu kurz kommen könnte. Denn das Ziel ist schliesslich nicht die Gleichstellung einer Gruppe, sondern die Gleichstellung aller Menschen. Das ist zwar klar, wird aber vielleicht zu wenig gesagt. Wir müssen in der Gleichstellungspolitik – und nicht nur da – auch immer formulieren, was das Ziel des Kampfes ist. Weil dieses Ziel auch wirklich alle ansprechen kann.