«Das eine tun,das andere nicht lassen»

Michèle Dünki-Bättig und Jean-Daniel Strub sind das neue Co-Präsidium der SP Kanton Zürich. Warum sie das ideale «Co» bilden und welche Themen ihnen am Herzen liegen, erklären die beiden im Gespräch mit Nicole Soland.
Michèle Dünki-Bättig und Jean-Daniel Strub sind das neue Co-Präsidium der SP Kanton Zürich. Warum sie das ideale «Co» bilden und welche Themen ihnen am Herzen liegen, erklären die beiden im Gespräch mit Nicole Soland.

Wer ein Parteipräsidium übernimmt, legt sich damit einen Verschleissjob zu: Warum tun Sie sich das an?

Michèle Dünki-Bättig: Also von «antun» kann keine Rede sein, im Gegenteil: Es ist eine grosse Ehre, dieser Kantonalpartei vorzustehen. Es war am Samstag auch sehr berührend, zu spüren, wie die SP als Bewegung zusammensteht. Das haben wir spätestens im letzten Herbst im Nationalratswahlkampf gemerkt. Es ist wie eine politische Heimat, und wenn wir dazu etwas beitragen können, ist das definitiv nichts, was man sich «antut».

Jean-Daniel Strub: Ich sehe das genauso. Das Amt Parteipräsidium wird zudem völlig zu Unrecht schlechtgeredet und geschrieben: Die richtigen Gefässe zu schaffen, damit wir unsere Ideen voranbringen, Konzepte daraus entwickeln und dann, wenn das gefragt ist, auch das Gesicht sein können, das für diese Ideen und Konzepte steht, finde ich eine hoch attraktive Funktion.

Sie mussten also nicht zweimal überlegen?

J.-D.S.: Die Frage lautete nicht, ob wir das wollen, sondern: Hat das Amt Platz in unserem Leben?, und das konnten wir bejahen…

M.D.-B.: … zum Glück konnten wir beide Platz dafür machen in unseren Leben.

War es von Anfang an klar, dass Sie sich zusammen als Co-Präsidium zur Verfügung stellen? Oder hätten Sie sich das Amt auch allein bzw. mit jemand anderem vorstellen können?

J.-D.S.: Für dieses Amt war es klar, dass wir das zusammen machen. Wir haben den Nationalratswahlkampf zusammen bestritten, es war sehr intensiv, aber auch immer lustig, und wir hatten nie Abspracheprobleme. Dementsprechend hat es uns sehr gefreut, als wir von der Findungskommission für dieses Amt angefragt worden sind.

M.D.-B.: Mir war klar, dass ich es nicht allein machen würde und wenn, dann mit Jean-Daniel. Denn wir hatten wirklich einen coolen Nationalratswahlkampf zusammen, und wir ergänzen uns gut.

Sie hatten einen guten Wahlkampf, wurden aber beide nicht gewählt: Das tönt doch eher demotivierend.

M.D.-B.: Wir hatten Spass, und die SP hat zugelegt. Auch wenn ich persönlich nicht Nationalrätin geworden bin, war der Wahlkampf eine durchweg schöne Erfahrung. Natürlich war ich enttäuscht, aber das hat für mich nichts mit dem jetzigen Amt des Co-Präsidiums zu tun.

J.-D.S.: Es gibt einen Unterschied zwischen der Partei, die uns bestmöglich nominiert hat, und den Wähler:innen, die ihre Interessen und Motive haben und ihre berechtigten Entscheidungen treffen, jemanden einer anderen Person vorzuziehen. Ich kann jedenfalls sehr gut nachvollziehen, dass dieses Mal für viele Inklusion und Diversität wichtige Faktoren waren. Zudem ist all das innerhalb der SP passiert, was für das Angebot spricht, das unsere Partei den Wähler:innen machen kann. Wir hatten mit der Nomination die grösstmögliche Unterstützung aus unserer Partei, und es gibt keinen Grund zur Annahme, daran habe sich etwas geändert.

Mit Ihnen beiden stehen wieder eine Frau und ein Mann an der Spitze. Sie, Michèle Dünki, die Jüngere von Ihnen beiden und Gemeinderätin aus Glattfelden, sind ausserdem Kantonsrätin und Gewerkschafterin, und Sie, Jean-Daniel Strub, Städter und ehemaliger Zürcher Gemeinderat, engagieren sich unter anderem in der Bildungspolitik: Fahren Sie eins zu eins dort weiter, wo Ihre Vorgänger:innen aufgehört haben?

J.-D.S.: Ein Running Gag am Parteitag lautete, dass wir nicht in der Findungskommission waren wie damals Priska und Andi… Wir kennen deshalb auch die Checkliste der Findungskommission nicht. Doch wir können uns ungefähr vorstellen, was darauf gestanden haben wird, und wir decken sicher vieles davon ab.

Laut der NZZ werden die Juso nicht mehr erreicht, weil man bei der Mutterpartei erst damit beschäftigt sei, richtig gendern zu lernen…

M.D.-B.: Gleichzeitig schreibt die NZZ aber auch, wir seien am äusseren linken Rand zu verorten… ich finde, sie sollte sich mal entscheiden. Ich habe es in den letzten Jahren immer so erlebt, dass die Juso in der Partei gut repräsentiert ist – das soll auch so bleiben.

J.-D.S.: Uns ist, wie Priska und Andi, der enge Austausch mit der Juso wichtig. Umso mehr hat es uns gefreut, dass sie es via Communiqué begrüssten, als bekannt wurde, dass wir das Präsidium übernehmen möchten, und wir finden es auch wichtig, dass sie uns auf die Finger schauen wollen, wie am Parteitag angekündigt…

M.D.-B.: … das war schliesslich immer schon ihr ‹Job›.

Kommen wir zu den Themen: Was ist Ihnen diesbezüglich wichtig?

M.D.-B.: Ein erster Schwerpunkt wird weiterhin die Kaufkraft sein beziehungsweise deren Erhalt, auch nach der Abstimmung vom Wochenende über unsere Prämienentlastungsinitiative: Nebst den Krankenkassenprämien steigen auch die Mieten stetig, und die Löhne können nicht Schritt halten damit. Viele Menschen haben Angst davor, sich künftig ihr Leben nicht mehr finanzieren zu können. Wir haben kantonale Initiativen zur Wohn- und Bodenpolitik, die bald zur Abstimmung kommen. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

J.-D.S.: Nebst den Krankenkassenprämien und den Mieten ist es uns wichtig, beim Thema Klima und Umwelt Taktgeberin zu sein und zu bleiben, und dasselbe gilt für die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs, die es nicht nur zu erhalten, sondern zu erhöhen gilt. Wir müssen den Autoverkehr endlich ernsthaft reduzieren, und wir brauchen Tempo 30, um die Menschen vor den schädlichen Auswirkungen des Autoverkehrs wie zu viel Lärm zu schützen. In einigen Agglomerationsgebieten wie aktuell im Limmattal stellen sich überdies grosse raumplanerische Fragen, weil ganze Wohngebiete vor der Erneuerung stehen. Hier gilt es die Chance zu nutzen, Wohnen und Arbeiten näher zueinander zu bringen…

M.D.-B.: … das macht einem das Leben ebenfalls leichter.

J.-D.S.: Dieser zweite Schwerpunkt zielt darauf, dass ökologische und soziale Politik konsequent zusammenzudenken sind.

M.D.-B.: Einen dritten Schwerpunkt setzen wir bei der Inklusion, die es grundsätzlich zu stärken gilt. Im Speziellen geht es darum, Selbstvertretung zu fördern, aber auch um den Schutz vor Diskriminierung. Am vergangenen Montag hat die SP-Fraktion im Kantonsrat Interpellationen zum neuen Polizeigesetz eingereicht, das per 1. Juli umgesetzt wird. Wir möchten beispielsweise wissen, ob und wie die Kantonspolizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte diesbezüglich geschult werden.

Kurz: Im Vordergrund steht das Parteiprogramm?

J.-D.S.: Unser Parteiprogramm ist unglaublich aktuell! Es ist eine unserer Aufgaben, als Präsidium eine klare Vorstellung davon zu haben, wo die SP hingehört, wo sie steht, wo wir sie noch stärken möchten – und dass wir das riesige Potenzial unserer Mitglieder und Amtsträger:innen in Stadt und Land abholen. Ich war am Montag erstmals in der Sitzung der Kantonsratsfraktion, und mir wurde noch einmal bewusst, wie viele Menschen dort sind, die, wie Michèle als Finanzvorsteherin in Glattfelden, in Gemeindeexekutiven und Stadtparlamenten sitzen. Von ihnen können wir viel lernen und viele Themen abholen. Wir müssen Gefässe schaffen und ihnen den Rücken stärken …

M.D.-B.: … und unsere Ideen austauschen, damit sie in unsere Arbeit einfliessen können. Ein Beispiel: Die SP Furttal fand, wir müssten mehr zum Einbürgerungsthema machen. Jetzt bietet sie einen Beratungsmorgen an, wo ein:e Genoss:in mit juristischem Fachwissen durch den Paragraphendschungel hilft und ein:e andere Genoss:in beim Ausfüllen der Formulare und Beschaffen der nötigen Unterlagen. Natürlich gibt es auch andere zivilgesellschaftliche Anbieter:innen solcher Dienste, aber ich finde es sehr wichtig und richtig, dass sich die SP Furttal diesem Thema so konkret und vor Ort annimmt. Es kann für kleinere Sektionen zudem interessant sein, mal etwas (mehr) Öffentlichkeit zu generieren und dem Dorf zu zeigen, «wir sind hier und setzen uns für euch ein». Wenn eine kleine Sektion dank Vernetzung und Unterstützung etwas anbieten kann, was sie nicht allein stemmen könnte, ist das auf jeden Fall ein Gewinn. Das sage ich als Vertreterin einer Landgemeinde – unser Dorf hat 5300 Einwohner:innen –, und ich bin sehr froh, wenn von der SP Kanton Zürich solche Anregungen kommen.

J.-D.S.: Es ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie wir die SP positionieren möchten: Wir möchten den Fokus stärker auf die Schnittstellen zwischen institutioneller Politik und zivilgesellschaftlichem Engagement richten. Die Menschen sollen wissen, dass die SP eine gute Anlaufstelle ist, um ein progressives Anliegen zu deponieren – auch wenn man es nicht parteipolitisch organisiert haben möchte. Denn auch mit Mitteln ausserhalb der Parlamente lässt sich viel bewirken, und deshalb möchten wir auch eine gute Nähe zu ausserparlamentarischen Organisationen und Akteur:innen pflegen.

Ist das eine Kritik an Ihren Vorgänger:innen, haben sie diesbezüglich zu wenig gemacht?

J.-D.S.: Nein, so ist das sicher nicht gemeint. Doch wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass für einen wachsenden Teil der Bevölkerung die Mainstream-Politik nicht mehr zuoberst auf der Traktandenliste steht.

In der Stadt Zürich ist vor allem die AL dafür bekannt, mit ihren ausserparlamentarischen Verbindungen und Vorstössen zu werben…

J.-D.S.: Es ist doch nicht falsch, wenn wir die Wichtigkeit von ausserparlamentarischem Engagement wahrnehmen, dadurch buhlen wir noch lange nicht mit der AL für mehr Aufmerksamkeit um die Wette. Wir müssen alle gute und tatkräftige Ansprechpartner:innen sein. Am Ende wissen die Bewegungen am besten, an wen sie sich wenden möchten. Die SP ist auf städtischer Ebene beispielsweise bei den Themen Wohnen und Velo sehr aktiv.

M.D.-B.: Es mag jetzt frech tönen, doch bei uns auf dem Land ist die SP die Ansprechpartnerin für gesellschaftspolitisch progressive Anliegen. Und bei uns auf dem Land ist die AL halt nicht so stark vertreten… Ich erinnere mich beispielsweise an die Situation der geflüchteten Menschen in Embrach, wo die Zivilgesellschaft Strukturen geschaffen hat wie etwa den Bahnwagen als Treffpunkt. Dies geschah auf Initiativen hin, die aus der SP gekommen sind.

J.-D.S.: Wir können aber durchaus noch präsenter sein, etwa auch an Demos…

M.D.-B.: …und gleichzeitig den Druck, aber auch die Energie von dort mitnehmen und in unsere Arbeit einfliessen lassen.

Kommen wir zum Schluss: Gibt es ein Thema, mit dem Sie als erstes anfangen, oder sind Ihnen alle gleich wichtig?

M.D.-B.: Es sind alle gleich wichtig – doch ohne eine gute Umweltpolitik müssen bzw. dürfen wir uns nicht mehr lange um die Kaufkraft kümmern. Diversität und Inklusion sind dabei gleich brennend, einfach auf einer anderen Ebene.

J.-D.S.: Wir machen Politik im Kontext sich verengender Zeitfenster: Das gilt nicht nur für das Klima. Auch beim Gesundheitssystem etwa müssen wir uns nicht überlegen, was wäre, wenn die Kosten noch 15 Jahre weiterstiegen. Lassen wir das zu, wird die Prämienbelastung für noch mehr Haushalte unerträglich – und die Versorgung gerät noch mehr aus den Fugen. Wir müssen folglich griffige Lösungen anbieten.

Welche?

J.-D.S.: Die Prämieninitiative sei «Symptombekämpfung», sagen die Bürgerlichen. Natürlich ist sie das, doch wir können nicht nur an den Ursachen arbeiten – es braucht immer beides: Das eine tun und das andere nicht lassen. Wer zu einer guten Ärztin geht, bekommt nicht nur Physio verordnet, sondern auf kurze Sicht auch ein Schmerzmittel. Auf diese Weise sind zurzeit in der Politik aber nur wir Linken unterwegs: Uns ist bewusst, dass wir die Zeit nicht mehr haben, um die Menschen mit dem Verweis auf die langfristige Ursachenbekämpfung hinzuhalten – aber wir lassen deswegen nicht die Köpfe hängen und handeln trotzdem. Sonst müssen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen empfänglich werden für sehr einfache Lösungen und am liebsten alles so lassen wollen, wie es vorgestern war.

M.D.-B.: Nichtstun ist keine Option. Gleichzeitig haben wir, gerade im Gesundheitswesen, schlicht nicht die Zeit, zuzuwarten – deshalb bringt es, «das eine tun, das andere nicht lassen» sehr gut auf den Punkt.