CVP im Kulturkampf

Als Gerhard Pfister bei der CVP das Zepter übernahm, stellte sich die Frage, ob er versuchen würde, die CVP auf seinen rechtskonservativen Kurs zu ziehen, oder ihn die gemässigten Kräfte eher zu einer Einmittung bewegen könnten. Was mit der CVP schliesslich passiert, ist offen. Klar ist allerdings, dass Pfister ersteres versucht.

 

Cédric Wermuth

 

Vor zwei Wochen hat Gerhard Pfister dem Boulevardblatt ‹Blick› ein bemerkenswertes Interview gegeben. «Pfister fordert Verteidigung des Abendlandes», titelte die Zeitung. Darin wird der CVP-Präsident mit Blick auf die «Gefahr des radikalen Islamismus» wie folgt zitiert: «Wir müssen definieren, was in unserem Land gilt und was unter keinen Umständen gelten darf. Seit einigen Jahren ist der Westen konfrontiert mit Menschen und Gruppierungen, die unser Wertesystem fundamental in Frage stellen.» Und weiter: «Die Schweiz ist ein christliches Land. Dazu sollten wir wieder stehen. Und wir sollten klarmachen, dass wir bereit sind, dieses Erbe zu verteidigen. Wer bei uns lebt, muss lernen, diese christlichen Werte anzuerkennen.»

 

Rassismus ohne Rasse

Abgesehen davon, dass die «westlichen Werte», die Pfister meinen dürfte, allesamt gegen die früheren Vertreter seiner Partei durchgesetzt worden sind, bergen seine Aussagen einen brandgefährlichen Kern. Die Sozialwissenschaft kennt seit 30 Jahren den Begriff des «kulturellen Rassismus» oder des «Rassismus ohne Rasse». Gemeint ist damit das Phänomen, dass in modernen Gesellschaften Exklusion und Diskriminierung nicht mehr über den Begriff der Rasse erfolgen, sondern über Konzepte von Kultur oder Religion. Kultur und Religion werden dabei als fixes und weitgehend unveränderbares Kriterium definiert («christliche Werte»), ohne die man nicht dazu gehören kann. Wer die falsche Kultur oder Religion hat, kann folglich nie ganz dazu gehören. Diese Kultur wird zur unüberwindbaren Schranke zwischen den ‹Richtigen› und den ‹Falschen›.

Was Pfister versucht, ist offensichtlich: Nach dem vermeintlich zu ‹linken› Kurs seines Vorgänger Christoph Darbellay will er das an die SVP verloren geglaubte Elektorat zurückgewinnen. Was er tut, ist brandgefährlich. Die Selbstdefinition des Westens als «christliches Abendland», als ein Ort also, an dem Muslime (und andere) nie so richtig dazugehören werden, ist genau das, was radikale Islamisten mit ihrer Gewalt zu erreichen versuchen. «Contradiction sharpening» – eine Schärfung der Widersprüche – nennt der US-Historiker Juan Cole von der Universität Michigan diese Strategie. Mit Gewalt und Terror soll erreicht werden, dass die westliche Gesellschaft Muslime ausschliesst – was dann wiederum als Beweis gilt, dass die Radikalen eben Recht haben. Der kulturelle Rassismus beiderseits ist jeweils nur die Kehrseite der gleichen Medaille.

 

Bedrohte Identität?

Zu unterschätzen ist dieser Versuch jedenfalls nicht. Pfister versucht jene anzusprechen, die sich in ihrer ‹Identität› bedroht sehen. Und wir sollten nicht den Fehler des Linksliberalismus wiederholen, diese Leute als vorgestrig und dumm abzustempeln. Die Denkfiguren des ‹Identitätsverlustes› und der ‹christlichen Werte› dienen als Formel für ein diffuses Gefühl des Kontrollverlustes über die eigene Lebensrealität. Und dieser Kontrollverlust ist real: Klimakrise, Flüchtlingskrise, Finanzkrise… Die Welt scheint geradezu über uns herein zu brechen. Anonyme Kräfte wie ‹die Finanzmärkte› übernehmen scheinbar das Zepter. Den Folgen sind wir hilflos ausgeliefert. Unsicherheit über die eigene Zukunft und politische Ohnmacht sind die Folge.

Das Absurde besteht darin, dass genau jene, die mit ihrem Programm der wirtschaftlichen und sozialen Destabilisierung, gemeinhin Neoliberalismus genannt, vermeintliche Sicherheiten in unseren Gesellschaften Stück um Stück zerstören, nur um deren Verlust gleich wieder zu beklagen und auf eine Bedrohung ‹von aussen› zurückzuführen. Dort setzt eine erste Antwort der Linken an: Es muss uns gelingen aufzuzeigen, dass die Bedrohung für die ‹westliche Lebensweise› – wenn es sie denn gibt –  von innen kommt. Sie kommt von den Marktradikalen und der neuen Rechten, die alles in Frage stellen, was eine gemeinsame europäische Kultur an fortschrittlichen Elementen enthält: Soziale Sicherheit, Demokratie, Menschenrechte. Die grösste Bedrohung für die ‹westlichen Werte› in der Schweiz ist nicht der radikale Islam. Denn der ist kulturell kaum anschlussfähig. Und schon gar nicht der Islam an sich. Die grösste Bedrohung für Freiheit und Demokratie ist die SVP. Und all jene aus der politischen ‹Mitte› die sich aus opportunistischen Gründen bei ihr anbiedern.

Zweitens glaube ich, bleibt der Linken nichts anderes übrig, als diesen ‹Kulturkampf› bis zu einem gewissen Grad aufzunehmen. Nicht in den Kampf um das ‹Wir› gegen ‹Sie›, sondern in den Kampf um die Definition des ‹Wir›. Darum, dass dieses Land endlich anerkennt, dass es längst von seiner multikulturellen Realität eingeholt wurde. Die homogene, christlich-abendländische Gesellschaft der vierköpfigen Familie existiert längst nicht mehr. Und darum, dass wir selber noch viel vor uns haben, wenn wir das Versprechen der Freiheit für alle Wirklichkeit werden lassen wollen. Denken wir nur schon an das fehlende Adoptionsrecht für homosexuelle Paare.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.