CoroNasowas!

Anfang der neunziger Jahre arbeitete ich als Sekretärin in einer Film- und Fotobude, deren Broterwerb aus der Herstellung von Hygieneschulungs-Tonbildschauen bestand. Man sah darin die Interieurs von Lebensmittel- und Pharmafirmen, Spitalküchen, Kantinen von Grossbanken etc. mit ihrem Personal in hygienetauglicher Aufmachung. Mein Chef fand, die Leute hätten keine Kinderstube mehr, und man müsse ihnen auf der Arbeit beibringen, wie Hände waschen geht, oder dass man sich nicht am Kopf kratzt oder in der Nase grübelt und allsowas. Lauter Dinge, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts als bünzlig uncool aus dem pädagogischen Kanon gefallen waren. Kaum hundert Jahre davor war jedoch die Entdeckung und Vermeidung von Mikroben Louis Pasteurs bahnbrechende Methode gewesen, mit der nicht nur die Kindsbett-Todesrate bei den Müttern, sondern ganz allgemein die menschliche Sterblichkeit in nie dagewesener Weise reduziert werden konnte. Heute tragen also nicht nur  Spitalangestellte, sondern auch Heerscharen von Lebens- und Arzneimittelfabrik-ArbeiterInnen selbstverständlich tagaus, tagein einen Mundschutz. Und Handschuhe. Und eine Haube auf dem Kopf. Und manchmal einen Ganzkörperanzug, mit dem sie durch eine Schmutzschleuse hindurch müssen. Ich bin ihnen von Herzen dankbar dafür. Mir ist es recht, wenn in meinen Medikamenten, auf der Fertigpizza und im Tirami-Sù keine Colibakterien The Life abfeiern. Ich bin überzeugt, dass auch Emma Normalverbraucherin recht happy damit ist, dass das Toastbrot nicht schon vor dem Ablaufdatum verschimmelt und die Milch auch mal einen Tag länger hält. Nun gut, ich bin ja dank meinem leider kläglichen Immunsystem sowieso Seismografin für Keime aller Art. Fertigsalat? Poulet-Curry? Aufgewärmter Reis? Durchfall! Kürzlich sah ich fasziniert den Angestellten eines Take-Aways bei der Zubereitung meines Essens zu – bis mir aufging: Die tragen weder Maske noch Handschuhe. Darf man das während einer Pandemie überhaupt? Das Essen war passabel, aber als ich zuhause ankam: D…– Sie wissen schon. Seit Jahrzehnten fasse ich keine Liftknöpfe, WC-Türfallen oder Mülleimer-Klappen mehr mit der blossen Hand an. Das kann auf einem Zugsklo in ein komplexes Prozedere ausarten. Aber so bin ich trotz permanentem Kontakt mit freigiebig niesenden und hustenden Teenagern mit weniger als einer Grippe alle zwei Jahre davongekommen.

Ich verstehe daher diese Corona-Protestierenden immer noch nicht. Sind die nicht froh, dass die Lepra, die Pocken und die Pest hierzulande ausgerottet sind? Würden die auch mit Tuberkulose- oder Ebola-Kranken eine Telefonzelle teilen? Macht es ihnen keinen Eindruck, dass in Schweden, wo kaum Schutzmassnahmen getroffen wurden, die Sterblichkeit dieses Jahr so hoch war, wie seit über 150 Jahren nicht mehr? Mich irritiert diese irrationale Verantwortungslosigkeit einer wohlstandsverwöhnten Gesellschaft, die sich keiner Einschränkung beugen will. Noch heute trugen in Zürichs Hauptbahnhof an keinem einzigen Essensstand die VerkäuferInnen Mundschutz. All die vielen Geschäfte waren voller Kundschaft, die weder Abstand hielt, noch Maske aufhatte. Darauf zu pochen, scheut sich der Detailhandel wohl aus Angst vor Umsatzverlust. Wenn solche Sorglosigkeit aber drastischere Massnahmen auslöst, wird die Schuld an einer möglichen Rezession sicher wieder der bösen Obrigkeit zugeschoben. 

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