Care-Arbeit endlich anerkennen 

Betreuungsarbeit findet im Privathaushalt statt. Es ist Tabu, dort genauer hinzuschauen, geschweige denn zu kontrollieren oder gar zu sanktionieren.

 

Elvira Wiegers*

Zwischen 10 000 und 30 000 Personen, vorwiegend Pendelmigrantinnen aus Osteuropa, betreuen in der Schweiz ältere Menschen zuhause. Sie tun dies oft rund um die Uhr und unter prekären Arbeitsbedingungen. Sie tun dies häufig in der Annahme, ihre Arbeit innerhalb eines gesetzlichen Rahmens zu verrichten. Tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall und ihr Arbeitsalltag von Ausbeutung und Missbrauch geprägt. Wie kann das sein? Es kann sein, nein, es geschieht, weil die Betreuungsarbeit im Privathaushalt stattfindet und es Tabu ist, dort genauer hinzuschauen, geschweige denn zu kontrollieren oder gar zu sanktionieren. Wir wissen ja bis heute nicht einmal, wie viele Tausende Betreuerinnen konkret in Schweizer Haushalten arbeiten und leben. Es hat auch damit zu tun, dass diese Arbeit von Frauen verrichtet wird und dass auf diese Arbeit heruntergeschaut wird. Und es hat auch damit zu tun, dass immer weniger Frauen in der Schweiz ihre Angehörigen selbst betreuen, da sie zunehmend erwerbstätig sind und/oder Privat- und Berufsleben schlecht unter einen Hut bringen. 

 

Verpasste Chance hin zu einer transparenten nationalen Regulierung

2017 verpasste der Bundesrat die Chance, die Betreuung älterer Menschen zuhause national zu regeln. Die Service-public-Gewerkschaft VPOD wie auch weitere wichtige Akteure hatten dies dezidiert gefordert mit der Begründung, dass nicht nur Betreuende und seriöse Arbeitgeber von transparenten und einheitlichen Regeln profitieren, sondern vor allem auch die zu betreuenden Personen. Konkret fordern wir die Unterstellung der Betreuerinnen unter das Arbeitsgesetz (ArG), das Minimalstandards bezüglich wöchentlicher Höchstarbeits- und Ruhezeiten sowie des Gesundheitsschutzes setzt.

Stattdessen kennen wir heute 26 verschiedene kantonale Normalarbeitsverträge (NAV, Anstellung durch Privathaushalt oder durch private Spitexfirma) und einen Gesamtarbeitsvertrag (Anstellung durch eine Personalverleihfirma), die zur Anwendung kommen. Bezüglich der NAV ist anzumerken, dass diese durch die Arbeitgeber gar noch verschlechtert werden können. Immerhin schreibt der Bund zwingende Mindestlöhne vor, doch niemand kontrolliert deren Einhaltung. Kein Wunder, bekommen wir regelmässig Anrufe von Betreuerinnen, Angehörigen sowie SeniorInnen- oder PatientInnenorganisationen, die Rat suchen und völlig überfordert sind vom Vorhaben, eine geeignete Betreuerin zu finden und faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Die Entscheidung für die kantonale Regulierung wurde übrigens damit begründet, dass eine Unterstellung unter das ArG zu teuer käme und sich niemand mehr eine private Betreuerin leisten könne bzw. die Firmen aussteigen würden, da sich zu wenig Geld verdienen liesse. 

 

Mangelnde Umsetzung des ILO-Übereinkommens

Die aktuelle Regulierung steht im Übrigen im Widerspruch zum Ende 2015 in Kraft getretenen  ILO-Übereinkommen 189 zum Schutz der Haushaltsangestellten. Gemäss dem Übereinkommen müssen Haushaltsangestellte allen anderen Arbeitnehmenden gleichgestellt werden. Dies würde bedeuten, die Haushaltsangestellten ebenfalls unter das Arbeitsgesetz zu stellen. Eine konsequente Umsetzung des ILO-Übereinkommens 189 würde des Weiteren bedeuten: konkrete Massnahmen zum Schutz der Haushaltsangestellten, wirksame Kontrollen, Möglichkeit zu Kollektivverhandlungen bezüglich der Arbeitsbedingungen und Einbezug der Sozialpartner.

 

Zeitgemässe Alterspolitik und -planung dringend notwendig

Es ist politisch gewollt, dass die Menschen so lange wie möglich zuhause wohnen bleiben. Die Politik verspricht sich dadurch massive Kosteneinsparungen. In der Konsequenz bedeutet dies:

• Die Betreuung älterer Menschen zuhause ist Teil der Langzeitpflege, welche ihrerseits aus einer Hand geplant, organisiert und finanziert werden muss. 

• Die Betreuung und Pflege vulnerabler Menschen darf nicht der demokratischen Kontrolle entzogen werden. Die Gesellschaft muss entscheiden, wie wir im Alter leben und versorgt werden sollen. 

• Die Langzeitpflege bzw. generell der gesamte Gesundheitsbereich darf nicht marktwirtschaftlich bzw. profitorientiert organisiert sein. Vulnerable Menschen sind keine Ware, die sie pflegenden und betreuenden Menschen keine Kostenfaktoren.

Es braucht also dringend eine zeitgemässe Alterspolitik und einen gut funktionierenden, modernen Service public für ältere Menschen sowie faire Arbeitsbedingungen für alle in der Langzeitpflege tätigen Personen.

 

Kleiner Lichtblick am Horizont

Seit den letzten Nationalratswahlen ist der Frauenanteil im nationalen Parlament deutlich gestiegen. Dass Frauen sich verstärkt für die Carearbeit einsetzen, sehen wir aktuell an den Bestrebungen, die Kinderbetreuung besser zu regeln. Auch in einigen kantonalen Parlamenten haben sich durch eine Zunahme weiblicher Parlamentarier die Chancen hin zu besseren und damit gerechteren Rahmenbedingungen verbessert. 

Carearbeit ist wichtig, systemrelevant und stiftet einen riesigen volkswirtschaftlichen Nutzen. Es wird Zeit, diese Arbeit endlich anzuerkennen mit anständigen Arbeitsbedingungen und Löhnen.

 

*Zentralsekretärin Gesundheit beim VPOD

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