«Sisis Zuflucht» von Michael van Orsouw beschreibt
detailreich die verschiedenen Aufenthalte der österreichischen Kaiserin Elisabeth in der Schweiz. Dabei handelte es sich um Aufenthalte, die entweder der Erholung oder der Pflege der Verwandtschaft dienten. Politisch wurde nur ihre Ermordung 1898 in Genf.
Das Buch ist – das ist keineswegs despektierlich gemeint – im Wesentlichen eine Zusammenfassung der heutigen letzten Seite «Leute» des ‹Blicks›, in der es vorwiegend um Geschichten und Klatsch von Prominenten geht. Sisi, seit 1854 durch Heirat Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn galt als eine der schönsten und mächtigsten Frauen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch wenn der Grad des Einflusses auf den Kaiser umstritten ist und noch heute im Zentrum von Filmen und Serien steht. Recht gesichert ist, dass ihre Ehe, obwohl sie sich oft monatelang nicht sahen, mehr als eine Vernunftehe gewesen war. Sisi hatte durch ihre Heirat innerhalb des Adels einen grossen Gump in der Hierarchie nach oben getan. Kaiser Franz Joseph sorgte dafür, dass sie zu einem eigenen Vermögen kam, das sie mit Hilfe der Genfer Bank Rothschild gut anlegte. Die Verwaltung ihres Geldes war auch ein Grund für ihre Besuche in der Schweiz, die sie meist inkognito absolvierte.
Das mit dem Inkognito hatte allerdings seine Grenzen: Erstens konnte sie als Kaiserin von Österreich nicht in die Schweiz einreisen, ohne die Behörden und die Polizei zu verständigen. Zweitens reiste sie meist in einem an einen Zug angehängten Sonderwagen, und drittens war sie etwa so bekannt wie heute Roger Federer. Auch wenn sie ihr Gesicht fast immer verhüllte und sie sich kaum fotografieren liess. Tauchte sie irgendwo auf, gab es zumindest nachträglich in den Zeitungen eine Notiz. Sie war geschickt darin, sich der öffentlichen Aufmerksamkeit zu entziehen. Es gelang ihr immer wieder, Hotels und auch Bahnhöfe durch Hintertüren zu verlassen und zu betreten und sich so die Freiheit zu nehmen, allein mit ihrer Hofdame durch die Zürcher Bahnhofstrasse zu promenieren.
Ihre hervorstechendsten Merkmale – in der Schweiz, in der sie sich privat aufhielt – waren sicher ihr Bewegungsdrang und ihre Ernährungsgewohnheiten, die man heute Richtung Magersucht deuten würde. Sie wanderte viel, gerne auch in den Bergen; insofern entsprechen die Szenen in den berühmten Sissifilmen mit Romy Schneider, in denen sie in den Alpen über Stock und Stein springt, durchaus einer Realität.
Die Geschichte mit der Schweiz beginnt 1857, zehn Jahre vor ihrem ersten Schweizer Aufenthalt, mit einer Tragödie. Sisi verliert ihre zweijährige Tochter und sucht Zuspruch durch das Kloster Einsiedeln, wofür dieses eine Reliquie erhält und ein Bild vom Kaiser und Sisi. Der erste reale Besuch hat einen verwandtschaftlichen Grund: Sie unterstützt ihre Schwester Mathilde, die in der Dependance des Hotel Baur au Lac vor einer Woche ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte. Im August kommt sie wieder und bleibt wegen der Cholera länger als geplant in Zürich und in Schaffhausen, wo sie auch den Kaiser trifft. Der nächste Besuch erfolgt 1890, wobei sie in Luzern und Lugano weilt. Dabei versucht sie den Selbstmord ihres Sohnes und Thronfolgers zu verarbeiten. 1892 reist sie mehrere Wochen durch die Schweiz, besucht dabei Zürich. Luzern, die Rigi, Interlaken und Bern. Sie logiert in den besten Hotels, die ihrerseits ihre Aufenthalte als Werbung für sich nutzen.
1893 macht sie auf ihrer langen Reise durch Europa einen längeren Aufenthalt in Territet bei Montreux im «Hotel des Alpes», wo sie neben langen Ausflügen mit Wanderungen auch vom Kaiser besucht wird. Hierhin kommt sie 1897 nochmals für mehrere Wochen und auch 1898 besucht sie wiederum die Region des Genfersees. Am 10. September verletzt sie in Genf am Seeufer der Anarchist Luigi Lucheni mit einem Messerstich so schwer, dass sie auf dem Schiff stirbt. Sie war insofern ein Zufallsopfer, als der Täter einfach eine Adlige ermorden wollte.
Es versteht sich, dass das Attentat – durchaus vergleichbar mit heute – den zuständigen Behörden und Polizeien beträchtliche Vorwürfe eintrug und dass die recht liberale Ausländerpolitik und die tiefe Polizeiüberwachung infrage gestellt wurde. Dass die Kaiserin selbst auf Polizeischutz fast immer verzichtet hatte, spielt nach dem Attentat keine grosse Rolle mehr.
Das Buch ist in erster Linie eine chronologische Schilderung der Aufenthalte Sisis mit möglichst vielen Details. Der historische Erkenntnisgewinn ist klein, aber das Lesen macht Spass.