Die beiden Journalisten Gernot Bauer und Robert Treichler
befassen sich in ihrem Buch mit Herbert Kickl, dem Vorsitzenden der Freiheitlichen in Österreich, einem Rechtspopulisten mit intakten Chancen, die kommenden Nationalratswahlen zu gewinnen. Im zweiten Teil geht es um Rechtspopulismus in Europa.
Das Buch bietet im ersten, weitaus längeren Teil sehr viele Fakten zum Lebenslauf des 1968 in Kärnten Geborenen, der in einer Arbeitersiedlung aufwächst, dank der politisch gewollten Förderung und seiner Intelligenz mit Unterstützung seiner Familie die Matura macht. Nach dem Militärdienst als Gebirgsjäger geht er nach Wien an die Universität, befasst sich mit Philosophie (Hegelzitate benutzt er noch heute in seinen Reden) und Geschichte, studiert Publizistik und Politikwissenschaften, bricht das Studium schliesslich ab und heuert 1995 bei der FPÖ an, wird Mitarbeiter der «Freiheitlichen Akademie». Er selber spricht über seine Herkunft und über sein Privatleben (er ist verheiratet, hat ein Kind) sehr wenig, ebenso wenig über Freundschaften. Er sah sich immer rechts, die Herkunft gab ihm allerdings eine leichte Distanz zur klassischen FPÖ-Mitgliedschaft. Diese bestand vorwiegend aus Akademikern mit einer Burschenbrüderschaft, die sich als patriotische Elite empfand und den guten alten Nazizeiten nachträumte. Antisemit war er zeitweise auch, aber sein Nationalismus hatte immer eine soziale Komponente: Einfach nur für die Österreicher:innen und ja nicht für die Zugewanderten vor allem aus dem Osten und erst noch mit Schleier.
Ab 1995 legte er eine klassische Karriere als Parteifunktionär hin, wobei seine Waffe das Wort war. Er formulierte die meisten Werbeslogans der Partei, führte im Hintergrund die Wahlkämpfe. Er sorgte für den Biss, die Aggressivität, entwickelte sich zur rechten Hand zuerst von Jörg Haider und später von Heinz-Christian Strache, dem er nach der Spaltung der Partei 2005 als Generalsekretär diente. Persönlich bewunderte er zwar Haider und dessen neuen Stil, aber er gehörte zur Entourage. Während diese um die Häuser zogen, auch ins Ausland reisten, blieb er am liebsten zu Hause, kletterte in den Bergen und besuchte im besten Fall eine traditionelle Beiz, in der er viel Bier trank. Aber er schrieb für Haider viele Reden, formte auch die Programme. Dass er 2005 bei der Spaltung der Partei nicht zur neuen Haider-Partei ging, hatte vermutlich damit zu tun, dass er sich bei der FPÖ unter Strache bessere Karrierechancen versprach. Möglicherweise auch damit, dass Haider zu viele Sympathien für die Altnazis zeigte. Was Kickl nicht störte, aber ihm war recht früh bewusst, dass die Zukunft der Rechten bei jenen lag, die sich aktuell in ihrer Existenz bedroht sahen: Die ‹kleinen› Leute ohne grosse Aufstiegschancen, denen es nicht mehr automatisch besser ging, und ein Teil des traditionellen Mittelstandes, der sich auch durch die Einwanderung bedroht fühlte.
Kickl war so etwas wie der Aggressiv-Leader der Partei, immer unzufrieden, stets die Nummer 2 im Hintergrund. Er führte für Norbert Hofer einen Wahlkampf, der diesen fast zum Präsidenten machte und wurde schliesslich Innenminister. Das Ministerium verlor er im Zuge des berühmten Ibiza-Skandals, an der die Koalition der ÖVP unter Sebastian Kurz mit der FPÖ zerbrach und weil er sein Ministerium so geführt hatte, dass ihm die Umsetzung des Parteiprogramms wichtiger als Recht war, was sich vor allem in der Asylpolitik zeigte. Die grosse Stunde für Kickl kam mit Corona und natürlich mit dem Sturz von Kurz. Die Regierung hatte einen Impfzwang ausgerufen, Kickl setzte sich an die Spitze der Gegnerbewegung und hielt an der grossen Demonstration am 6. März 2021 eine gefeierte Rede. Er ist nun Parteivorsitzender und die Wahlumfragen sehen ihn an der Spitze mit rund 30 Prozent. Dabei ist er keineswegs milde oder staatsmännischer geworden. Eines aber haben er und viele andere rechtspopulistische Parteien und Bewegungen in Europa begriffen: Der Antisemitismus hat ausgedient. «Daham statt Islam» lautet Kickls Motto. Die zentralen Feinde sind heute neben dem Fremden vor allem die linke Elite, die mit dem System gleichgesetzt wird, die dies befördert, mit Gender die Leute erziehen will, die traditionellen Familien und die Gesellschaft zerstören. Am besten zeigt sich dies beim Klima: Die Erwärmung wird nicht mehr geleugnet, aber es gelingt, dass viele mehr Angst vor den Massnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise als vor dieser haben. Der Umschwung nach rechts ist beachtlich und er hat mit dem alten Faschismus und Nazitum sehr wenig zu tun. Er wird von den Rechtspopulisten geduldet und natürlich bei der Einwanderung und Wiederauswanderung unterstützt.
Gernot Bauer, Robert Treichler: Kickl und die Zerstörung Europas. Zsolnay Verlag 2024, 251 Seiten, ca. 39 Franken.