Eine klassische Autobiographie ist das Buch nicht und eines gleich vorneweg: Es ist auch nicht das Buch einer brillanten Schreiberin, wie es etwa die Erinnerungen von Wolfgang Schäuble sind. Von sich als Person erzählt sie wenig; am meisten im ersten Kapitel, in dem sie schildert, wie sie ihr in Washington D.C. am 28. Oktober 2022 am frühen Morgen mitgeteilt wird, dass ihr Mann zuhause in San Francisco überfallen wurde und in bedrohlichem Zustand im Spital liegt. Der Angriff galt ihr und war eindeutig politisch motiviert. Ihr war – nebst der Sorge um den Mann, mit dem die 84-Jährige fast ein Leben lang zusammenlebt – extrem wichtig, dass sie ihre fünf Kinder selber benachrichtigen konnte, dass sie es nicht aus den Medien erfuhren. Sehr viel mehr, abgesehen vom Schrecken, den die Tat nicht nur in ihrer Familie auslöste, sagt sie dazu nicht. Auch weil ihr Mann, darüber nicht sprechen wollte und will.
1987 wurde sie im Wahlkreis San Francisco ins Repräsentantenhaus gewählt, in dem sie innerhalb der demokratischen Fraktion rasch aufstieg und 2007 als erste Frau zur Speakerin des Repräsentantenhauses gewählt wurde. In dieser Funktion hat sie viel Einfluss. Ohne Zusammenarbeit mit der Speakerin hat es ein Präsident ausgesprochen schwer. Sie arbeitete mit Georg W. Bush, Barack Obama, Joe Biden und Donald Trump zusammen. Abgesehen vom letzten war die Zusammenarbeit mit allen gut.
Auch wenn nicht nur mir das Bild sehr präsent bleibt, wie Nancy Pelosi nach der jährlichen Rede zur Lage der Nation die Seiten des Manuskripts von Donald Trump einzeln zerriss, war ihr die überparteiliche Zusammenarbeit im Repräsentantenhaus ein zentrales Anliegen. Nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aus Notwendigkeit. Senat und Repräsentantenhaus waren selten in der Hand einer Partei und der Präsident gehörte längst nicht immer zur Mehrheitspartei im Kongress. Dazu gingen – abgesehen von der Zeit ab 2016 – in vielen Fragen die Differenzen durch die Fraktionen. Ein Beispiel liefert sie beim Gesetz zur Überwindung der Finanzkrise 2008. Sie machte mit ihrem republikanischen Partner ab, dass die Demokraten 200 und die Republikaner 100 Stimmen für die Mehrheit lieferten. Das nahm Rücksicht darauf, dass viele Demokrat:innen nicht bereit waren, die verantwortungslose Gier der Wall Street mit einem hohen Kredit zu reparieren, während viele Republikaner:innen nicht daran dachten, die Macht der Banker einzuschränken oder gar die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der Kompromiss war in ihren Augen zentral, um die Wirtschaft wirklich zu retten und gleichzeitig den Schaden für die vielen Hausbesitzer:innen in Grenzen zu halten. Das Ganze gelang nur halbwegs. Die Wirtschaft wurde gerettet, aber ganz viele Hausbesitzer:innen verloren Haus und Geld, kein Bankmanager wurde zur Rechenschaft gezogen und auch die Aufsicht, respektive die Wahrscheinlichkeit, dass Verantwortliche künftig ihre Verantwortung für Fehlgriffe aus Gier persönlich tragen müssen, wurde unwesentlich grösser.
Selbstverständlich schildert sie, wie die grundlegende Änderungen des Gesundheitswesen mehr als halbwegs gelangen und wie stolz sie darauf ist. Persönlich interessant fand ich, wie stark sie in der Kontrolle der Sicherheit und der Geheimdienste involviert war. Sie beteiligte sich an vorderster Front bei der Aufarbeitung von 9/11 und kam zum Schluss, dass sich das Attentat mit besserer Kommunikation eventuell hätte verhindern lassen. Nur war dies kein böser Wille, sondern es nahm einfach niemand an, dass ein derartiges Attentat in den USA selber stattfinden könnte. Ganz im Gegensatz zum Irakkrieg. In diesen schlitterten die USA, weil die Bush-Administration ganz bewusst falsch informierte. Eine grosse Rolle spielte für sie die Ermordung der kritischen Chines:innen auf dem Tiananmenplatz. Sie wehrte sich stets gegen den Handel mit China ohne Eingriffe in die Menschenrechtssituation auch gegen eigene Präsidenten. Mit bescheidenem Erfolg.
Sonst aber war sie sehr oft erfolgreich. Auch dank ihrem Fleiss, ihrer Hartnäckigkeit und ihrem Willen zu Lösungen. Dazu kannte sie die Menschen im Kapitol, konnte sie einschätzen und wollte auch nie etwas anderes, als ein einflussreiches Mitglied des Repräsentantenhauses zu sein. Und in dieser Funktion die Situation der ‹normalen› Amerikaner:innen verbessern und für eine inklusive Gesellschaft streiten.
Nancy Pelosi: Woman of Power (auf Deutsch). Goldmann Verlag, 2014, 384 Seiten, ca. 30 Franken.