Frau Minne, eine wohlhabende Witwe und Geschäftsfrau wohnte mit ihren beiden Söhnen Mosche und Gumprecht und einer namenlosen Tochter in ihrem eigenen Haus an der Brunngasse 8. Mosche war Rabbiner, der den Zürcher Semak (einer ausführlichen Kommentierung der jüdischen Gebote) schrieb und wie seine Mutter Gelder verlieh. Sie gaben 1332 mit grosser Wahrscheinlichkeit den Auftrag, den grossen Saal im ersten Stock des Hauses zu bemalen. Der Saal diente der Familie als Repräsentations- und Gesellschaftsraum. Die Synagoge der damaligen jüdischen Gemeinde befand sich im Nachbarhaus an der Froschaugasse 4, und man kann davon ausgehen, dass die Familie in der jüdischen Gemeinde eine Rolle spielte. Die Wandmalereien entsprachen dem Kunstgeschmack der Zeit. Neben Wappen von führenden Familien erkennt man einen Tanz dreier edler Damen mit wilden Kerlen, ein Motiv, in dem eine Dame mit einem wilden Kerl auf Falkenjagd geht. Es sind Bilder und Motive, die sich von Malereien in christlichen Häusern wenig unterschieden. Katrin Kogman-Appel beleuchtet in ihrem Beitrag ausführlich, wie sich diese Wandmalereien mit dem jüdischen Gebot «Du sollst dir kein Bildnis machen» vertrug. Kurz zusammengefasst. Zweidimensional war tendenziell im Gegensatz zu Dreidimensional kein Problem.
Ein Grossteil der Beiträge – neben jenem von Andreas Motschi und Felix Wyss zur Zürcher Synagoge im Mittelalter, die nachweisen, dass es an der Froschaugasse 4 mitten im jüdischen Viertel eine gab – widmet sich dem Schicksal der Juden in Zürich, wobei der Bezug zu anderen europäischen Ländern immer wieder gemacht wird. Die erste Zürcher Gemeinde, die von Mitte des 12. Jahrhunderts bis 1349 existierte, umfasste rund 100 Leute, wovon einige recht wohlhabend waren und sich ihr Geld mit Geldverleih verdienten, da ihnen die in Zünften organisierten Handwerke und der Handel verboten waren. Julie Mell weist in ihrem Artikel «Juden, Geld, Mythos» daraufhin, dass die meisten Jüd:innen (insbesondere in England) zu den Armen gehörten, kein Geld zum Ausleihen hatten und keineswegs die einzigen waren, die Gelder verliehen. In Zürich waren sie zwar auch nicht die einzigen, aber sie spielten bei diesem Geschäft eine wichtige Rolle. Die Stadt setzte die Höhe der Zinsen fest, übernahm auch das Eintreiben von Schulden, gewährte Schutz und kassierte dafür hohe Steuern. Das Geld kam bei den wohlhabenden Juden auch zum Verleih zusammen, weil sie es anders nicht nutzen konnten. Zwar durften sie für sich Liegenschaften erwerben, aber alle Tätigkeiten, die mit Herrschaft und damit auch mit Gewinnmöglichkeiten verbunden waren, standen ihnen nicht zu. Die Verteilung der Geschlechterrollen unterschied sich bei den Jüd:innen nicht gross von der Zeit. Als Witwen durften sie die Geschäfte ihrer verstorbenen Gatten weiterführen und damit sie dies konnten, beteiligten sie sich oft auch bei Lebzeiten des Mannes daran. Frau Minne war nicht die einzige Frau, die in eigener Kompetenz Geld verlieh. Oft betrieben die Frauen die kleine Ausleihe. Zudem beteiligten sich viele Christen als stille Teilhaber am Geldverleih.
1349 verbrannte die Stadt die männlichen Juden, die Frauen und Kinder vertrieb sie. Die Begründung, die Jüd:innen seien schuld an der Pest und würden Kinderritualmorde verüben und seien durch einen Aufstand des Mobs erledigt worden, trafen schon damals nicht zu. Sie wurden von den Oberen systematisch aus Gier ermordet und vertrieben. So erloschen die Schulden und konnten die Vermögen kassiert werden. Später erlaubten die Stadtoberen eine kleinere zweite Gemeinde, aber bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde sie wieder vertrieben. Für einige Hundert Jahre lebten in Zürich nur noch vereinzelte Juden.
Die mittelalterliche Geschichte holte die Stadt beim Erweiterungsbau des Kunsthauses beinahe ein. Es wurde auf dem Erweiterungsareal der alte jüdische Friedhof vermutet. Mit den Zürcher jüdischen Gemeinden fand man eine komplizierte Lösung zur Bewahrung der ewigen Ruhe, mit dem internationalen Judentum wäre es schwieriger geworden. Zum Glück stiess man auf keine menschlichen Knochen.
Brigitta Rotach, Dölf Wild, Ron Epstein-Mil, Ehud M. Landau (Hg).: Frain Minne und die Zürcher Juden. Chronos Verlag 2024, 287 Seiten mit vielen Illustrationen, ca. 50 Franken.